| # taz.de -- Die Wahrheit: Der Weg zur Fritteuse | |
| > Wie ich mich durch ein blödes Fotoprojekt mal dermaßen beobachtet fühlte, | |
| > dass mir angst und bange wurde vor dem Jenseits. | |
| Pete, der Gumwirt, seufzte. „Was ist“, fragte Raimund, „gefallen sie dir | |
| nicht?“ – „Na ja“, murmelte Pete, „ich …“ – „Er will sagen, d… | |
| schlecht sind!“, knöterte Rudi, der Blödmann: „Grot-tenschlecht!“ Die | |
| Neugier hatte ihn von seinem Platz am anderen Ende der Theke | |
| herübergetrieben. Natürlich wollte auch er die Fotos sehen, die Raimund | |
| Pete präsentierte, weil er sie im Café Gum ausstellen wollte, und natürlich | |
| ereiferten Theo und ich uns lautstark, dass nur ein ausgemachter Blödmann | |
| wie Rudi dermaßen unqualifizierte Kommentare zu diesen Fotos abgeben | |
| konnte. Insgeheim aber wussten wir: Er hatte recht. | |
| Knapp drei Wochen zuvor hatte Raimund mir aufgeregt von seiner neuesten | |
| genialen Idee erzählt. Es handelte sich um ein Fotoprojekt mit dem Titel | |
| „Das richtige Leben im falschen“, und er war überzeugt, dass es ihm binnen | |
| Kurzem eine Ausstellung im Guggenheim bescheren würde. Ich hatte leise | |
| gestöhnt. Raimund besaß außer seinem Handy nicht mal einen Fotoapparat und | |
| war der einzige Mittfünfziger, der sich von einem harmlosen Einfall noch | |
| immer so mitreißen lassen konnte, dass er wie ein leicht entflammbarer | |
| Jungspund sogleich von einer Weltkarriere träumte. Das Schlimmste aber war, | |
| dass mir eine tragende Rolle in seinem Projekt zukam, da er plante, mich in | |
| typischen Situationen an typischen Orten rund um den Goetheplatz zu | |
| knipsen. | |
| Rudi blätterte die Fotos spöttisch grinsend durch. Auf einmal aber hielt er | |
| inne und sagte: „Wobei die Idee mit dem dicken Knirps nicht schlecht ist.“ | |
| „Knirps?“, sagte Raimund. Er hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Doch als | |
| wir uns über die Fotos beugten, sahen wir, dass auf allen Bildern irgendwo | |
| im Hintergrund ein schwarz gekleidetes Kerlchen stand, dass mich | |
| beobachtete und Notizen machte. „Wer ist das?“, murmelte ich. „Hm …“, | |
| machte Raimund: „Sieht aus wie ein Mönch.“ – „Ein Buchhaltermönch“,… | |
| Rudi. „Ach ja?!“, fauchte ich ihn an: „Und was schreibt er auf? Wie viel | |
| Geld ich im Gum für Bier ausgebe?“ – „Wahrscheinlich“, grinste Rudi | |
| süffisant, „geht es eher um deine Verfehlungen. Sozusagen um die | |
| Anklageschrift, die dermaleinst beim Jüngsten Gericht dafür sorgen wird, | |
| dass man dir 99 Tauchgänge in Luzifers großer Fritteuse aufbrummt.“ | |
| Fortan fühlte ich mich beobachtet. Wenn ich die Zeitung holen ging oder | |
| Zähne putzte, hörte ich das Kritzeln eines Stifts. Doch wenn ich mich | |
| umdrehte, sah ich nichts. „Ich spüre, dass er da ist. Immer!“, sagte ich | |
| ein paar Tage später zu Raimund. Wir gingen die Adalbertstraße hinunter. | |
| „Aber jetzt“, fuhr ich fort, „kauf ich ihn mir!“ Ich machte ansatzlos | |
| kehrt, sprang um die Ecke in die Hölderlinstraße und wäre – wenn Raimund | |
| mich nicht irgendwie noch am Schlafittchen erwischt hätte – einen | |
| Sekundenbruchteil später von einem Imbisswagen briefmarkenplatt gewalzt | |
| worden, der – in eine Wolke aus Fritiertfett gehüllt – die Straße | |
| hinabgerauscht kam und, wie ich noch heute glaube, von einem kleinen | |
| Mönchlein gefahren wurde. | |
| 22 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Joachim Schulz | |
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