| # taz.de -- Die Wahrheit: Der heilige Löffel | |
| > Auch für hartgesottene Berufsversager gibt es Hoffnung, wenn sich die | |
| > Tochter einer waschechten Pizzakönigin ihrer annimmt. | |
| Allmählich hatte Rick alles versucht. Er hatte als Manager im Kulturzentrum | |
| „Z42“ angeheuert, war Reporter bei einem Lokalsender gewesen und Redakteur | |
| bei einem Fußballportal. | |
| Kaum aber hatte er die ersten Bundesligaberichte online gestellt, wurde das | |
| Portal von einem Konkurrenten geschluckt und geschlossen. Kaum hatte er | |
| sein Büro im „Z42“ bezogen, brannte der Laden bis auf die Grundmauern | |
| nieder. Und leider stand auch seine Reporterkarriere unter keinem | |
| glücklicheren Stern: Als er das Mikrofon zum ersten Mal in die Hand nahm | |
| und ungeschminkt die Wahrheit über eine Kunstausstellung in der Galerie | |
| Bröhlsen sagte, stellte sich heraus, dass Frau Bröhlsen beste Kontakte zum | |
| wichtigsten Werbekunden des Senders hatte und eine Weiterbeschäftigung | |
| Ricks leider ruinöse Folgen für das Radio hätte. | |
| So erging es ihm mit jeder Arbeit, längst hatte er mehr Jobs gemacht, als | |
| Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen brannten, und immer, wenn er irgendwo | |
| einen neuen Posten antrat, wurden im Café Gum Wetten darüber abgeschlossen, | |
| warum er diesmal rausfliegen würde. | |
| „So kann das nicht weitergehen, Riccardino“, seufzte Nonna Emilia. Sie war | |
| keineswegs Ricks Oma, sondern nur seine Nachbarin, kümmerte sich aber seit | |
| dem Tod ihres Mannes mit entschiedener Zuneigung um den Unglücksraben. | |
| „Hier“, sagte sie, „das sind die Geheimrezepte meiner Mamma, sie war die | |
| Pizzakönigin von Pozzulano, und das ist ihr heiliger Kochlöffel: Mach eine | |
| Pizzeria auf, figlio, mit il cucchiaio santo und den Rezepten kann gar | |
| nichts schiefgehen!“ | |
| Rick hätte der Nonna gern gestanden, dass seine Erfahrung als Pizzabäcker | |
| sich bislang auf das Erwärmen von Tiefkühlprodukten beschränkte. Weil sie | |
| aber Widerspruch grundsätzlich nicht duldete und ihm das Startkapital | |
| vorschoss, gab er seufzend nach. Was keiner glaubte – der Plan ging auf: | |
| Rick hängte den heiligen Löffel wie eine Reliquie über den Tresen, walkte | |
| den Teig nach der Anleitung der Pizzakönigin, und binnen kaum einer Woche | |
| drängte sich Tag für Tag ein hungriges Menschenknäuel in seiner Pizzeria. | |
| Natürlich zog der Erfolg auch Neider an, sodass eines Abends ein gellender | |
| Schrei durch die Straße schallte. In Windeseile sprach sich im Viertel | |
| herum, dass ein von der Konkurrenz gedungener Halunke das Gewühl des Abends | |
| ausgenutzt haben musste, um den heiligen Löffel in seinem Mantelaufschlag | |
| verschwinden zu lassen. Schon sah man im Café Gum Dollarzeichen in den | |
| Augen einiger Wettteilnehmer blinken. | |
| Diesmal indes träumten sie nur kurz vom spektakulären Gewinn, denn eine | |
| lebenskluge Frau wie Nonna Emilia legt sich nicht mit den Schicksalsgöttern | |
| an, ohne einen ganzen Schrank voller wundertätiger Küchengeräte im Keller | |
| stehen zu haben, und so kam es, dass sich auch am nächsten Tag ein | |
| hungriges Menschenknäuel um Ricks Tresen drängte und die einzige | |
| Veränderung darin bestand, dass an der Stelle des Löffels nun das heilige | |
| Nudelholz der Pizzakönigin von Pozzulano hing. | |
| 12 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Joachim Schulz | |
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