Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Schuld und Waschmaschine
> Seit Jahren stehen da 99 Gefallen auf der Sollseite im großen Buch der
> Hilfsleistungen. Doch jetzt ist die Stunde der Wiedergutmachung gekommen
> …
Ich war Bernie viele Gefallen schuldig. Er hatte mir bei grob geschätzt 99
Umzügen geholfen, mir auf Coras legendärem Sommerfest mit einem genialen
Ablenkungsmanöver das Leben gerettet, als ich ahnungslos die Freundin eines
hitzköpfigen Karate-Champions in einen Flirt zu verwickeln versuchte. Und
er war es auch, der damals 500 Kilometer durch die Nacht gefahren war, als
ich mich mit Sven und Bo auf dem Weg nach Wien so sehr gestritten hatte,
dass sie mich kurzerhand ohne Geld und Gepäck auf dieser Raststätte bei
München ausgesetzt hatten.
„Wenn ich mich revanchieren kann – ein Wort genügt!“, hatte ich schon oft
zu ihm gesagt. Aus unerfindlichen Gründen aber hatte es nie geklappt, denn
jedes Mal, wenn er einen Garten umgraben, einen Speicher entrümpeln oder
tonnenweise Kohlen in den Keller seiner Eltern schaffen musste, war
kurzfristig die Seuche über mich gekommen: Mal traf mich just vorher ein
Hexenschuss, mal zog ich mir beim Müllruntertragen einen Muskelfaserriss
zu, und einmal verhedderte sich auf dem Weg zum Kohlenschleppen ein
Schnürsenkel so tückisch in der Kette meines Fahrrads, dass ich die
folgenden fünf Tage mit einem Verbandmullturban auf dem Schädel in der
Uniklinik verbringen musste.
Diesmal durfte nichts dazwischenkommen. Vor ein paar Wochen hatte er mir
von einer neuen Kollegin berichtet, und aus der Ausführlichkeit, mit der er
mir ihr bezauberndes Lächeln schilderte, schloss ich schon damals, dass ich
nicht zum letzten Mal von ihr hören würde.
Jetzt war es so weit. „Sie hat sich eine neue Waschmaschine gekauft“, hatte
er am Telefon gesagt: „Wir holen das Ding am Samstag im Baumarkt ab, tragen
es ihr in die Wohnung, bringen das alte Gerät ins Recyclingzentrum, und
fertig – keine große Sache!“
Ich schwor mir, bis zum Wochenende weder Müll runterzubringen noch Fahrrad
zu fahren, ja das Haus am besten gar nicht mehr ohne den alten Bauhelm zu
verlassen, der noch im Keller rumliegen musste. Als wir am Samstag indes
vor dem Block vorfuhren, in dem sie wohnte, fragte ich mich, ob das so
schlau gewesen war.
„Lass mich raten“, seufzte ich: „Sie wohnt ganz oben. Und der Fahrstuhl i…
kaputt.“ Bernie lächelte nur recht bedeutsam und sagte: „Am besten, wir
tragen zuerst einmal das ausgediente Teil nach unten.“
Als wir eine knappe Stunde später auch die neue Maschine in diese Wohnung
knapp unter der Wolkendecke hinaufgeschafft hatten, spürte ich zwar meine
Arme nicht mehr, wusste aber, dass damit zumindest die Schuld von 99
Umzügen ausgeglichen war. Und weil daraufhin auch noch ein arg
spindeldürrer Kerl auftauchte, der wahrscheinlich nicht mal eine volle
Brötchentüte die vielen Treppen hinauftragen konnte, aber trotzdem, wie
sich herausstellte, mit dem bezaubernden Lächeln verheiratet war, konnte
ich in der folgenden wodkalastigen Nacht, als Bernie mir bis zum
Morgengrauen die Ohren voll heulte, auch noch die Sommerfest- und die
Raststättenschuld abarbeiten.
20 Apr 2016
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Freunde
Bier
Liebe
Fotografie
Herr der Ringe
Europa
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Lautloser Killer im Naturdarm
Ein mysteriöser Auftragsmörder im zu engen Beinkleid sorgt an den Tresen
der Stadt jahrelang für Gesprächsstoff.
Die Wahrheit: Knallwaldo, der Schreckliche
Was wollte man als Kind nicht alles werden – später im wirklichen Leben.
Einer der Freunde strebte sogar die Weltherrschaft an …
Die Wahrheit: Die Meerjungfrauenkrankheit
Ein Rendezvous, das beim Arzt beginnt, verheißt nicht selten Seltsames…
Die Wahrheit: Der Weg zur Fritteuse
Wie ich mich durch ein blödes Fotoprojekt mal dermaßen beobachtet fühlte,
dass mir angst und bange wurde vor dem Jenseits.
Die Wahrheit: Saurons heilige Socke
Eines Tages tauchte sie im Café auf einer Fensterbank auf. Sie war rot und
hatte am Bündchen gelbe Streifen – und niemand wollte sie entfernen, bis …
Die Wahrheit: Europa in der Nacht
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die
Leserschaft an einem Poem über geschlagene Schlagbäume erfreuen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.