# taz.de -- Sci-Fi-Film mit Scarlett Johansson: Eine neue Stufe der Evolution | |
> „Ghost in the Shell“ ist das Remake eines Anime-Klassikers. Scarlett | |
> Johansson spielt einen Cyborg in einer perfekten Doppelgängerwelt. | |
Bild: „Ghost World“ war einmal. Jetzt ist „Ghost in the Shell“. Major (… | |
Wenn nun „Ghost in the Shell“ – das Realfilmremake des japanischen | |
Anime-Klassikers – weltweit in den Kinos anläuft, wird es im Vorfeld | |
einiges an Diskussion vor allem über ein Thema gegeben haben: Dass mit | |
Scarlett Johansson eine weiße US-Schauspielerin die Hauptrolle eines | |
Cyborgs spielt, der im Original den durch und durch japanischen Namen | |
Motoko Kusanagi trug. | |
Dieser politisch sehr korrekte Vorwurf, der seit einigen Jahren jede | |
größere Produktion trifft, die es wagt, bei Ethnie und oder Geschlecht | |
einer Rolle nicht dem Vorbild treu zu bleiben, ist in diesem Fall besonders | |
ironisch, geht es in „Ghost in the Shell“ doch genau um die Frage, was | |
eigentlich das Wesen eines Menschen ausmacht: Die körperliche Hülle (die | |
Shell des Originaltitels) oder doch das innere Wesen, die Seele, wie man im | |
christlichen Westen vielleicht sagen würde, der Geist, wie er im spirituell | |
etwas anders tickenden Japan sämtliche Wesen, aber auch Bäume oder Häuser, | |
ja, beseelt. | |
Ein paar Jahre in der Zukunft angesiedelt ist „Ghost in the Shell“, nicht | |
in einer komplett futuristischen Welt à la „Star Wars“, sondern in einer, | |
die noch als die unsere zu erkennen ist, nur mit einer Folie an Technologie | |
überzogen, die alles andere als utopisch wirkt: Riesige Hologramme schweben | |
über der Stadt, deren dichte Hochhausviertel wie eine nur leicht | |
übersteigerte Version einer Megastadt – Schanghai oder Hongkong – wirken. | |
Noch einmal mehr Leuchtreklamen als im gegenwärtigen Hongkong schon | |
strahlen einen ständigen Strom an Werbung in den Äther, oft auch direkt in | |
die Hirne der Menschen. | |
Diese sind durch ein neuronales Netz und die zunehmende Verwendung von den | |
Körper verändernden, implizit auch verbessernden, Cyber-Implantaten | |
konstant miteinander verbunden. Informationen können so direkt von einem | |
Gehirn in ein anderes gesendet werden, inklusive Emotionen und subjektiven | |
Erfahrungen des Trägers eines Gedankens. Genauso können aber auch | |
Erinnerungen künstlich hergestellt und implantiert werden, eine Idee – | |
manche würden es vermutlich Schreckensvision nennen –, die sich von Autoren | |
wie Isaac Asimov über „Blade Runner“ bis zur Manga-Vorlage von „Ghost in | |
the Shell“ durch literarische und filmische Science-Fiction zieht und bald | |
sogar Realität werden könnte. | |
## Modifikation des Körpers | |
Wenn man mag, könnte man mit den theoretischen Vorbildern schon bei Platos | |
Höhlengleichnis beginnen und müsste bei Jean-Luc Nancys Essay „Der | |
Eindringling“ nicht aufhören: Darin nimmt der französische Philosoph eine | |
Herztransplantation zum Anlass, darüber nachzudenken, ob er mit einem neuen | |
Herzen denn noch derselbe Mensch sei. | |
Nun sind Herztransplantationen fraglos nichts Alltägliches, doch die | |
Modifikation des Körpers schreitet unweigerlich voran und dürfte bald nicht | |
nur Äußerlichkeiten betreffen, sondern mit zunehmender Beherrschung der | |
Gentechnik irgendwann auch das Innere, das Wesen des Menschen. Fragen nach | |
der Identität und dem Wesen des Menschseins werden zunehmend wichtig | |
werden, und genau diese Themen durchziehen die atemberaubende Oberfläche | |
von Rupert Sanders’ Film. | |
Nicht nur thematisch erinnert „Ghost in the Shell“ an Ridley Scotts | |
Klassiker „Blade Runner“, in dem es sogenannte Replikanten waren, die über | |
ihr Wesen philosophierten. In die Tiefe gingen diese Überlegungen jedoch | |
kaum, was jedoch gerade dazu beitrug, den Film für so vielfältige | |
interpretatorische Ansätze zu öffnen. | |
Ähnlich funktioniert auch „Ghost in the Shell“, dessen Story, auf den | |
reinen Plot reduziert, kaum der Rede wert ist: Eine Mordserie ruft den | |
Elite-Polizeitrupp Sektion 9 auf den Plan, dessen fähigstes Mitglied der | |
Cyborg Major (Scarlett Johansson) ist. Deren menschliches Gehirn wurde in | |
einen künstlichen Körper eingesetzt und verkörpert die am weitesten | |
fortgeschrittene Verbindung von Mensch und Maschine. Im Laufe der | |
Ermittlung beginnt Major jedoch ihr Wesen und ihre Herkunft zu | |
hinterfragen, was sie bald zur Erkenntnis führt, dass sie weder Mensch noch | |
Maschine ist, sondern ein Zwischenwesen, eine neue Stufe der Evolution. | |
## Ikonische Momente des Science-Fiction-Kinos | |
Vielleicht liegt es an dieser abstrakten, spirituellen Thematik, dass | |
„Ghost in the Shell“ dennoch nie seine Leichtigkeit und das Wissen | |
verliert, dass er im Grunde seines Wesens Popcornkino ist. Wo allzu viele | |
moderne Hollywood-Blockbuster von „The Dark Knight“ über „Batman v | |
Superman“ bis hin zu all den Marvel-Filmen sich um Bedeutsamkeit mühen, | |
ihre „wichtigen“ Themen betont in den Vordergrund stellen, bleibt Sanders’ | |
Film scheinbar an der Oberfläche – und wird gerade dadurch viel | |
interessanter. | |
Ein wenig überrascht diese brillante Oberfläche schon, denn Rupert Sanders | |
hatte bislang nur die wenig interessante Schneewittchen-Variante „Snow | |
White and the Huntsman“ gedreht. Hier traf er jedoch die fraglos gute | |
Entscheidung, nicht nur dem Geist, sondern auch der Oberfläche der | |
Anime-Vorlage von „Ghost in the Shell“ treu zu bleiben und diese zum Teil | |
bis ins kleinste Detail getreu zu kopieren. | |
Viele Szenen des 1995 gedrehten Animes von Mamoru Oshii wurden zu | |
ikonischen Momenten des Science-Fiction-Kinos, die auch Menschen kennen, | |
die das Anime nie gesehen haben: Denn direkte Linien von „Ghost in the | |
Shell“ ziehen sich zu den virtuellen Welten der „Matrix“, aber auch zu | |
James Camerons „Avatar“, dessen Vorstellungen eines neuronalen Netzwerks, | |
über das alle Wesen verbunden sind, gerade in ihrer visuellen Umsetzung | |
direkt Oshii zitieren. | |
Man mag die nahezu bildgetreue Adaption eines Animes für überflüssig | |
halten, zumal einige der eindrucksvollsten Szenen ohnehin komplett in den | |
virtuellen Welten des Computers entstanden sind. Genau dies passt | |
andererseits wunderbar in die von Doppelgängern, Kopien und Originalen | |
durchzogene Welt von „Ghost in the Shell“ und kommt angesichts der | |
technologischen Entwicklungen zum perfekten Zeitpunkt. | |
## Virtuelle Identität perfektioniert | |
Auf der ständigen Suche nach neuen Einnahmequellen, die den veränderten | |
Marktbedingungen trotzen, liegt die Hoffnung Hollywoods im Moment auf VR, | |
der virtuellen Realität. Zunehmend günstig und immer besser werden die | |
klobigen Brillen, die ein immersives visuelles und akustisches Erlebnis | |
erzeugen, in andere Welten eintauchen lassen, je nach Wagemut der | |
Regisseure auch in fremde Gedankenwelten, ja, in andere Körper. | |
Hält man sich vor Augen, dass auch an Methoden gearbeitet wird, den | |
Tastsinn als weiteres Element in das virtuelle Erlebnis einzubauen, wird | |
deutlich, was die Zukunft bringen könnte. Die Pornoindustrie ist aus | |
offensichtlich Gründen an dieser Technik interessiert, doch das dürfte nur | |
der Beginn der Möglichkeiten der virtuellen Realität sein. | |
Bis es so weit ist, dass der menschliche Geist komplett digitalisiert ist | |
und durch die dann komplett vernetzte Welt schwebt, dürfte es noch lange | |
dauern, doch zu dieser Extremversion muss es gar nicht erst kommen. So | |
futuristisch die Welt von „Ghost in the Shell“ auch anmutet, im Kern bewegt | |
sich die Realität genau in diese Richtung: Mehr und mehr Zeit wird online | |
verbracht, das eigene Profil gepflegt, die virtuelle Identität | |
perfektioniert und möglichst attraktiv und interessant gestaltet, | |
Freundschaften, Beziehungen können via Internet am Leben erhalten werden – | |
wer es darauf anlegt, muss seine Wohnung kaum noch verlassen. | |
Ob die eigene Identität dann der Körper ist, der vor dem Computer sitzt | |
oder das künstliche Konstrukt im Computer, wird eine spannende Frage sein. | |
29 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Michael Meyns | |
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