# taz.de -- Hausbesuch Prenzlauer Allee 45 in Berlin: Bezahlbar leben, noch | |
> Seit Investoren das Haus im Visier haben, schlossen sich BewohnerInnen zu | |
> einer Gemeinschaft zusammen. Sie wollen sich nicht vertreiben lassen. | |
Bild: Nina Zlonicky (fünfte von rechts) hatte beim Hausbesuch auch die Nachbar… | |
Zu Besuch bei Leuten, die in der Prenzlauer Allee 45, im Berliner | |
Prenzlauer Berg, wohnen. Noch. | |
Draußen: Die Knospen an den Linden entlang der Prenzlauer Allee sind dabei, | |
aufzuspringen. Das hört man nicht, wohl aber die Straßenbahn, deren | |
Schienen die Allee in zwei Teile trennt. Auf der östlichen Seite, den Berg | |
hoch, steht das Backsteinhaus mit den Nummern 45 und 45a. Auf einem roten | |
Transparent, das von der Fassade hängt, steht: „Hier haben 61 Menschen ein | |
bezahlbares Leben und das ist gut so.“ An anderen Balkonen hängen Banner | |
auf denen „Noch“ steht. „Noch“, „Noch“, „Noch“. Am Ende der Str… | |
Fernsehturm zu sehen. Viele, die im Klinkerhaus wohnen, lieben diesen | |
Anblick. „Mehr Berlin kann man nicht haben“, sagt einer. | |
Drinnen: Im Treppenhaus sind Spuren der letzten 120 Jahre: abblätternder | |
Putz, verblasste Farben – Grün, Rosa – und kaum noch sichtbare ornamentale | |
Friese (wie Höhlenmalereien), „die niemand anfassen darf“. Das sagt Nina | |
Zlonicky (50). Das Gebäude steht auf der Berliner Denkmalliste. | |
Mit Kaffee gelockt: Um 10 Uhr klopft es bei Nina Zlonicky und ihrem Mann, | |
dem Maler Martin Zuska (59). Zum Hausbesuch hatten sie auch die Nachbarn | |
geladen. Susanne Linzer Elsäßer (53) und Uli Elsäßer (55) – in Flipflops … | |
sind die Ersten, die kommen. Die Tür bleibt offen und es folgen Jochen | |
Müller (40), Silke (53) und Henri Meinokat (58) in Sportklamotten, Ulf | |
Ehrig (49) und Tochter Merle Lorenz (11). Später kommen Andreas Heuer (51) | |
und Veronika Wagner (68) dazu. Alle reden und lachen durcheinander. Über | |
den Mailverteiler wurden sie mit Kaffee gelockt. „So früh!“, beschweren | |
sich einige, andere machen Witze und konkurrieren miteinander: Wer am | |
schlimmsten verkatert ist. Wer am längsten letzte Nacht durchhielt. Bei | |
einer Nachbarin gab es eine Party, fast alle feierten mit. | |
Feiern und Kämpfen:„Feiern muss sein“, sagt der Tischler Ulf Ehrig. „Wir | |
sind gestresst, wir wissen nicht, ob wir an den Stadtrand verdrängt | |
werden.“ Anfang Februar bekamen alle einen Brief vom Notar: Der neue | |
Besitzer des Hauses kündigte an, er wolle die Mietwohnungen in | |
Eigentumswohnungen umwandeln, die Mieter haben zwei Monate, um ihr | |
Vorkaufsrecht in Anspruch zu nehmen, jetzt am Wochenende läuft die Frist | |
aus. Tun sie es nicht, können neue Eigentümer sie vertreiben – die | |
Rechtslage ist schwierig. Suspekt fand die Gruppe schon früher, dass immer | |
mehr Wohnungen im Haus leer standen. „Dazu ein zu hoher Verkaufspreis und | |
ein luxemburgischer Investor, der für Luxussanierungen bekannt war. Das | |
klang nach Spekulation“, sagt Nina Zlonicky – als Architektin wusste sie | |
die Zeichen zu deuten. Doch nicht von Anfang an war klar, dass alle sich | |
wehren wollten. „Ich hatte widersprüchliche Gefühle: Soll ich zum | |
Kapitalisten werden – ein Hammer wär das – und mir eine Wohnung kaufen?“, | |
fragte sich der Möbeldesigner und Musiker Uli Elsäßer. „Nö, um Gottes | |
Willen!“, war dann seine Antwort. | |
Der Schriftsteller: Jochen Müller kann dagegen vor lauter Sorgen nicht | |
schlafen. „Wie soll ich das schaffen, wenn die Miete steigt?“ Als Autor | |
wohnt er bescheiden in seiner Wohnung mit Kachelofen. „Über und unter mir | |
wohnt niemand, deshalb ist es noch kälter. Im Winter arbeite ich wie der | |
arme Poet von Carl Spitzweg: im Bett unter Decken und einem Regenschirm.“ | |
Die Dienstleistenden: Um die zweite Kanne Kaffee kümmern sich Silke und | |
Henri Meinokat. Sie könnten sich auch eine höhere Miete kaum leisten. Sie | |
arbeitet als Gebäudepflegerin und er in der Parkraumbewirtschaftung, die | |
Tochter ist gerade 18 geworden. „Wenn wir weg müssen, muss unsere Tochter | |
sich eine Bleibe suchen und wir landen in einer Miniwohnung“, sagt er. | |
Die Künstlerin: Veronika Wagners Kinder sind aus dem Haus, die Malerin | |
sorgt sich um ihr Wohnatelier, ihre Bilder, die sie seit 1989 hier malt und | |
lagert. „Soll ich meine Bilder aus dem Fenster werfen?“ Dann doch lieber | |
sich wehren. Sie war schon bei anderen Kämpfen dabei, sie gibt nicht sofort | |
auf. | |
Wut im Bauch: „Im Herbst 89 feierte ich hier Einweihungsparty und den | |
Untergang der DDR“, sagt Veronika Wagner. Sie erinnerte sich, wie eine Demo | |
am Haus vorbei zum Alexanderplatz zog und wie sie die Polizisten vom Balkon | |
aus als „Faschisten“ beschimpfte. „Wir kämpften für die Demokratie. Dass | |
sie Miethaie mitbringen, konnten wir uns nicht vorstellen“, sagt sie. | |
„Bonzen und einen Staat habe ich schon gestürzt, mir reicht’s!“, sagt si… | |
„Nein, du musst noch einen Investor stürzen!“, ruft einer. Die Runde | |
applaudiert. | |
Glück im Pech: Vor zwei Monaten kannten sich viele der 61 Bewohner des | |
Hauses kaum, mittlerweile sind sie eine „Hausinitiative“. Nina Zlonicky | |
sagt, „es ist ein schönes Gefühl, das Zusammenleben zu entdecken, wir | |
überlegen, eine Genossenschaft zu gründen“. Schnell haben sie sich in | |
Arbeitsgruppen organisiert, um „jede der 26 Wohnungen zu retten“. Es gebe | |
IT-Experten, Zuständige für Öffentlichkeitsarbeit, Architekten, Anwälte. | |
„Uns geht es trotz allem gut, wir sind berührt, wir leuchten“, sagt sie. | |
Auch viele der 15 Kinder im Haus machen mit. Wie die elfjährige Merle | |
Lorenz, die ihre ersten Protestaktionen erlebt, Kaffee trinken möchte – und | |
in eine Badewanne im Haus geboren wurde. | |
Ostberliner Esprit: Die Regisseurin Susanne Linzer Elsäßer ist auch in | |
Prenzlauer Berg geboren und bedauert, dass ihr Kiez sich „gewaltig | |
verändert“. Sie komme aus einer Theaterfamilie und sei in einem Milieu | |
aufgewachsen, wo Vielfalt die Normalität war. „Arbeiter, Intellektuelle und | |
Künstler wohnten zusammen. Nach der Wende hat sich dieser Esprit verstärkt | |
und später ist dann alles gekippt“, sagt sie und meint die Gentrifizierung. | |
Doch die Vielfalt bekomme sie jetzt in der Hausinitiative zurück. „Was | |
zwischen uns gerade passiert, ist sehr schön.“ Dann spielt Uli Elsäßer auf | |
der Tuba, am Fenster stehend, eine Melodie, die alle kennen. „Komm! Hier | |
ist etwas für dich: die Internationale!“, ruft Andreas Heuer seinem | |
fünfzehnjährigen Sohn zu, der gerade eintritt. Der nickt. „Wenn der | |
Kapitalismus abgeschafft wird, wäre ich glücklich“, sagt er. Sein Vater | |
lächelt. | |
Das Glück: „Wenn wir alle zusammen weiter hier wohnen dürfen“, antwortet | |
einer auf die Frage nach dem Glück. „Wenn diese Last von uns abfällt“, sa… | |
eine andere. Susanne Linzer Elsäßer will etwas Leichtigkeit reinbringen: | |
„Wenn die Linden blühen.“ Glück empfindet Veronika Wagner wiederum, wenn | |
sie Aretha Franklin hört. „So geht es Obama auch.“ Das Politikerdasein sei | |
doch nicht nur schlecht. | |
Okay, zum Politikersein noch eine Frage: Merkel oder Schulz? „Merkel“, sagt | |
Ulf. „Auch wenn ich nie CDU wählen würde.“ Andreas ist einverstanden. Nina | |
sieht es anders: „Schulz verspricht neuen Wind.“ | |
16 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
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