# taz.de -- Berliner Straßen (Teil I): Hufelandstraße: Wo sich die Milieus no… | |
> Die Berliner Mischung geht auf Stadtplaner James Hobrecht zurück. Die | |
> Stadt hat noch heute was davon. Spaziergang durch die Hufelandstraße in | |
> Prenzlauer Berg. | |
Bild: Auf der Sonnenseite: ein Teil der bekannten wie beliebten Hufelandstraße… | |
Es stand schlecht um Berlin vor 150 Jahren. Dank Industrialisierung | |
explodierte die Einwohnerzahl, es war nicht genug Wohnraum da. Die Kloake | |
schwamm zusammen mit dem Regenwasser durch die Rinnsteine der Stadt und | |
sorgte neben dem üblen Gestank für katastrophale hygienische Verhältnisse. | |
Krankheiten breiteten sich aus, an den Rändern campierten die Armen vom | |
Land, die auf ein besseres Leben in der Stadt hofften. | |
Doch dann trat ein gewisser James Hobrecht (1825–1902) in Erscheinung, ein | |
junger Ingenieur, der die Stadt im Auftrag des preußischen | |
Innenministeriums neu entwerfen sollte. Oft wurde sein Plan gescholten, oft | |
wurde er dafür verantwortlich gemacht, dass Berlin so steinern und die | |
größte Mietskasernenstadt der Welt wurde. | |
In letzter Zeit wird James Hobrecht aber wieder mehr gewürdigt. Immerhin | |
veranlasste er den Bau einer Kanalisation, von breiteren Straßen, | |
öffentlichen Plätzen. Vor allem aber ist er dafür verantwortlich, dass zu | |
den Straßen hin bürgerliche Wohnhäuser entstehen konnten, mit Wohnraum für | |
Arbeiter und Werkstätten in den Innenhöfen – eben die sogenannte Berliner | |
Mischung. | |
Hobrecht hoffte, dass so verschiedene Bevölkerungsschichten zusammenleben | |
könnten, er erwartete „gemütliche Beziehungen zwischen den gleichgearteten | |
und wenn auch noch so verschieden situierten Bewohnern“. Vor allem dieser | |
Satz von ihm ist berühmt geworden: „In der Mietskaserne gehen die Kinder | |
aus den Kellerwohnungen in die Freischule über denselben Hausflur wie | |
diejenigen des Rats oder Kaufmanns, auf dem Wege nach dem Gymnasium.“ | |
## Bohemiens und Bäcker | |
Der Plan von Hobrecht hat in Berlin eine Marke entwickelt, und selbst in | |
den schicksten Kiezen der Stadt hallt er noch immer nach, sei es auch noch | |
so leise. So auch in der Hufelandstraße in Prenzlauer Berg, der wir den | |
ersten Teil unserer Serie über Berliner Straße widmen. Anlass sind die | |
Arbeiten von Harf Zimmermann, die ab nächstem Wochenende in Berlin | |
ausgestellt werden. Er hat die Hufelandstraße und ihre Bewohner Mitte der | |
80er Jahre fotografiert – und dann wieder ab 2009. | |
Seine Fotos erzählen: Vor der Wende lag die Hufelandstraße in einem totem | |
Winkel, die Obrigkeit der DDR war zu sehr mit dem Bau neuer | |
Plattenbauviertel vor den Toren der Stadt beschäftigt. Hier konnten sich | |
Bohemiens und Bäcker, Professoren und Schuhmacher in Ruhe begegnen. Der | |
Putz bröckelte, es wurden alternative Lebenskonzepte ausprobiert. | |
Nach der Wende war die Straße eine der ersten in Prenzlauer Berg, die von | |
der Welle der Gentrifizierung überrollt wurde. Die Fassaden, die Anwohner | |
und ihre Geschichten: Sie wurden ausgetauscht, es ist nichts von ihnen | |
übrig. | |
Doch das ist nur die eine Seite der Geschichte. Die andere ist, dass hier | |
noch immer Leute leben, die den dörflichen und trotzdem toleranten Charme | |
der „Hufe“ schätzen – die genau wissen, wo sich die verbliebenen | |
interessanten Milieus jenseits von Latte-Macchiato-Müttern und | |
Fernsehsternchen aus der dritten oder vierten Reihe noch treffen. Sie | |
bewahren das Erbe von Hobrecht nach wie vor. – Und wenn angesichts der | |
astronomischen Mieten auch nur, so gut es eben geht. | |
Der Text ist Teil eines Schwerpunktes in der taz.Berlin-Printausgabe vom | |
Wochenende 22./23. April 2017 – und zugleich Auftakt einer Serie über | |
bekannte wie beliebte Straßen Berlins. | |
23 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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