# taz.de -- Gartenausstellung in Berlin-Marzahn: Bahnt sich da was an? | |
> Am Donnerstag eröffnet die IGA. Zwei Millionen Besucher wollen die | |
> Veranstalter an den Stadtrand locken und das Bild des Bezirks bunter | |
> machen. | |
Bild: Damit sollen Besucher an den Stadtrand gelockt werden: Berlins einzige Se… | |
Fast geräuschlos schnurrt die Kabine der Seilbahn heran, wird so langsam, | |
dass man einsteigen kann, und macht sich dann auf den Weg Richtung Gipfel. | |
Der Kienberg ist tatsächlich genau 102 Meter hoch, und auf der | |
dreiminütigen Fahrt dorthin blickt man auf den Wuhleteich, einen neuen | |
Spielplatz, frisch angelegte Wege, viele noch mit rot-weißem Absperrband | |
markiert. Es hat etwas von Bergatmosphäre, wie die für bis zu zehn | |
Menschen ausgelegte Kabine durch die Luft gleitet. So beginnt die | |
Internationale Gartenausstellung – kurz IGA – in Marzahn-Hellersdorf. | |
Die Seilbahn ist das Lockangebot für die erhofften 2 Millionen Menschen, | |
die bis Mitte Oktober die IGA besuchen sollen. Sie überquert das 100 Hektar | |
große Gelände, bestehend aus den erweiterten Gärten der Welt und dem neuen | |
Kienbergpark. Versprochen sind neben unbegrenzten Fahrten mit der Bahn | |
„Blumenmeere“, „sonnenbeschienene Hangterrassen“, „stimmungsvolle | |
Wassergärten“ und ganz allgemein „atemberaubende Landschaft“. Dafür bra… | |
es an diesem Freitag bei der Vorbesichtigung für die Presse allerdings noch | |
eine gute Portion Fantasie. | |
Denn es ist eine undankbare Aufgabe, im kontinentalklimakühlen Berlin zu | |
Ostern eine Gartenschau zu eröffnen. Der Wind pfeift um die Büsche, viele | |
Bäume sind noch kahl, die Blumenpracht auf dem Kienberg ist, sagen wir, | |
dezent. Doch egal ob es zu Ostern frühlingshaft sonnig wird oder bösartig | |
schneit (derzeit ist noch alles drin): Am kommenden (Grün-)Donnerstag | |
eröffnet die IGA mit Bürgerfest und Feuerwerk. | |
So richtig sexy sei der Name IGA zwar nicht, bekennt Umweltsenatorin Regine | |
Günther (parteilos, für die Grünen) am Freitag. Aber davon dürfe man sich | |
nicht täuschen lassen: Dahinter verberge sich „ein erstaunliches, | |
verblüffendes Gartenfestival“. Und es gehe um weit mehr als Blumen: Man | |
könne hier lernen, wie wichtig es sei, die biologische Vielfalt zu | |
erhalten, „nicht nur am Amazonas, auch in Marzahn-Hellersdorf“. In den | |
Gärten der Welt würden zudem – besonders wichtig in der heutigen Zeit – d… | |
verschiedenen Religionen „in intensiven Dialog zueinander treten“. | |
## 186 Tage Blumen | |
Das ist nicht der einzige Dialog, auf den viele Politiker in Bezirk und | |
Land hoffen: Mit den Blumen soll auch das doch eher triste Image von | |
Marzahn-Hellersdorf aufblühen. Nach 186 IGA-Tagen soll, so der Wunsch, der | |
östliche Stadtrand in der Vorstellung von Berlinern und Berlinbesuchern | |
nicht mehr vornehmlich grau, sondern bunt sein. | |
Tatsächlich empfängt Berlins touristisches Jahresereignis einen, nun ja, | |
ortsgemäß. Wer in Marzahn den U-Bahnhof Kienberg verlässt, kann sich auf | |
der einen Seite im Corso-Einkaufszentrum vergnügen, bei Mäc-Geiz, im | |
Textildiscounter KiK oder in der Cocktailbar Arizona. Auf der gegenüber | |
liegenden Seite aber lockt die Talstation der Seilbahn, direkt am | |
U-Bahnhof. Die Botschaft: Es soll aufwärts gehen mit dem Plattenbaubezirk. | |
## Marzahn war nur zweite Wahl | |
Anders als die IGA 2015 im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, auch so einem | |
schwierigen Gelände, war Marzahn-Hellersdorf für die IGA zweite Wahl. | |
Ursprünglich sollte die Gartenschau auf dem stillgelegten Flughafen | |
Tempelhof stattfinden. Dass der damalige Stadtentwicklungssenator und | |
heutige Regierende Bürgermeister Michael Müller 2012 die Reißleine zog, hat | |
ihn wohl vor einer Peinlichkeit bewahrt. 2014 stimmte die Mehrheit der | |
Berlinerinnen und Berliner dafür, das Tempelhofer Flugfeld zu belassen, wie | |
es ist. Die Abstimmung richtete sich hauptsächlich gegen den Bau von 4.700 | |
Wohnungen. Sie hätte aber auch einer Gartenschau gegolten. | |
Tilmann Heuser findet den Umzug der IGA heute richtig. „Das Tempelhofer | |
Feld war kein Standort für eine klassische Gartenschau“, sagt der | |
Geschäftsführer des Berliner BUND, der im Auftrag des Senats auch das | |
Bürgerbeteiligungsverfahren in Tempelhof nach dem Volksentscheid | |
organisiert hat. Mit dem Kienberg als IGA-Standort kann Heuser leben. „Im | |
Vergleich zu anderen Gartenschauen sind dort die Eingriffe gering. Der | |
Kienberg und das Wuhletal bleiben weitgehend bewahrt.“ | |
Und Christian Gaebler (SPD), inzwischen Sportstaatssekretär und seit 2011 | |
Aufsichtsratschef der IGA, bekennt am Freitag, dass das Gelände in | |
Marzahn-Hellersdorf viel mehr Möglichkeiten bot als Tempelhof. | |
Wie sehr die IGA das Image von Marzahn und Hellersdorf verändern wird, wo | |
es in der Vergangenheit immer wieder zu rechtsradikalen Angriffen auf | |
Flüchtlingsheime kam, will Heuser nicht prognostizieren. Er hofft aber, | |
dass der Bezirk eine „höhere Aufmerksamkeit“ bekommt. „Ich würde mir | |
wünschen, dass der Westen den Osten künftig anders wahrnimmt.“ | |
## Touristen tun sich schwer mit Marzahn | |
Trotz der Gärten der Welt, die aus dem Erholungspark Marzahn hervorgingen – | |
der zur 750-Jahr-Feier 1987 seine Tore öffnete –, ist Marzahn kein | |
klassischer Touristenort. Die Zahl der Übernachtungen ist in den letzten | |
Jahren von 85.000 auf 80.000 gesunken, die der Hotels und Pensionen von 24 | |
auf 19. Umso mehr setzt das örtliche Bezirksamt auf die IGA. Ein weiteres | |
Highlight der Schau ist der „Wolkenhain“ auf der Bergstation mit einem | |
360-Grad-Rundumblick, von dem man Berlin aus der Perspektive Marzahns | |
beobachten kann. Am Freitag blickt man vor allem ins Graue, immerhin die | |
Plattenbauten ringsum sind zu sehen. | |
Sogar ein Stadtführer wurde herausgeben, im April öffnet eine neue | |
Tourismusinformation im Plattenbaubezirk, und am U-Bahnhof Kienberg wird | |
das kulinarische Angebot erweitert: Ein neuer Asia-Imbiss und eine | |
Expressbackstube auf dem Bahnsteig entstehen derzeit. | |
Viele der neuen Gärten, Spielplätze und die Seilbahn werden auch über Mitte | |
Oktober hinaus nutzbar bleiben – Letztere zumindest für drei Jahre, die | |
anderen noch länger. Nachhaltig sei das, betont Umweltsenatorin Günther, | |
und spricht von Spuren, die im Bezirk von der IGA sichtbar bleiben. Das | |
alles kostet 40 Millionen Euro, 10 Millionen schustert das Land Berlin zu | |
– man hofft auf 30 Millionen Euro Einnahmen. | |
Doch dass mit der Gartenschau nicht nur das IGA-Gelände, sondern ganz | |
Marzahn und Hellersdorf zu einer blühenden Landschaft wird, ist nicht zu | |
erwarten. Auch mit der IGA bleibt der Bezirk ein Ort der Gegensätze, wie er | |
sich am U-Bahnhof Kienberg zeigt. Ob zwischen beiden Extremen Brücken | |
geschlagen werden, ist eine der spannenden Fragen. | |
Dieser Text ist Teil des Wochenendschwerpunkts der taz.Berlin zum Thema | |
Wandel in Marzahn-Hellersdorf. Darin außerdem: Ein Essay und fünf | |
Protokolle von BewohnerInnen. Ab Samstag am Kiosk oder in Ihrem | |
Briefkasten. | |
7 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
Bert Schulz | |
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