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# taz.de -- Politische Kunst entlang der U5 in Berlin: Halt machen in Hellersdo…
> Mit dem Projekt „Mitte in der Pampa“ setzt die NGBK die Reihe Kunst im
> Untergrund fort. Die Themen: Kolonialgeschichte, Stigmata und städtische
> Teilhabe.
Bild: Kunst im Vorbeifahren ist besser als keine Kunst
Der Berliner fährt nicht raus. Zumindest nicht, wenn es um Kunst geht. Ins
Grüne ab und an ist ja ganz schön, für alles andere aber sind die Grenzen
oft eng gesteckt. Die Pampa beginnt hinterm S-Bahn-Ring.
„Mitte in der Pampa“ heißt ein derzeit laufendes Projekt der Neuen
Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), das als Fortsetzung der
langjährigen Reihe Kunst im Untergrund angelegt ist. Um Untergrund geht es
hier in verschiedener Hinsicht: Zum einen sind die Ausstellungsräume
U-Bahnhöfe, zum anderen ist der Gedanke dahinter ein subversiver. Es geht
darum, Gewissheiten zu unterwandern – und die Gedanken rauszuführen ins
Freie.
Viel tun muss man dafür nicht, nur am Alexanderplatz in die U5 steigen und
sich entlang der Karl-Marx-Allee, über die Plattenbausiedlungen in
Kaulsdorf-Nord und Hellersdorf bis ins Stadtentwicklungsgebiet der
Internationalen Gartenausstellung Berlin 2017 (IGA) treiben lassen. Und
dabei ein bisschen nachdenken über die Verhältnisse: zwischen Zentrum und
Peripherie, Ideal und Wirklichkeit, ästhetischen, städteplanerischen und
ökonomischen Vorstellungen und die Schichten der Geschichte.
Damit nämlich geht es los – zumindest, wenn man vom Zentrum aus denkt. Im
U-Bahnhof Schillingstraße hängt derzeit keine Werbung – sondern große
Plakate der Künstlerin Laura Horelli. Es sind – vergrößerte und bearbeitete
– Titelseiten der Zeitung Namibia Today aus den 1970er und 80er Jahren.
Herausgegeben wurde sie von der marxistischen Befreiungsbewegung Swapo
(South-West Africa People’s Organisation), finanziert vom
Solidaritätskomittee der DDR, gedruckt in Erfurt. Verteilt und verkauft
dann weltweit an die namibische Diaspora.
## Verloren gegangenes Wissen
Horelli selbst ist teilweise in Kenia aufgewachsen, sie interessiert sich
für die jüngeren historischen Verknüpfungen zwischen Afrika und Europa, vor
allem die zwischen Namibia und der DDR. „Das ist komplex, unaufgearbeitet
und noch immer sehr klischeebehaftet“, sagt sie.
Vor ihren Arbeiten erzählt sie als Erstes, wie unterschiedlich sich die
Biografien in beiden Systemen entwickelt haben. „Die Exjournalisten der
Namibia Today sind heute fast alle hochrangigen Funktionäre, arbeiten bei
Botschaften, während die früheren DDR-Diplomaten ihre Jobs verloren und
umgeschult haben. Dadurch ist auch viel Wissen um diese Geschichte verloren
gegangen“, sagt Horelli. Oder verdrängt.
Ursprünglich wollte sie die Ausstellung im U-Bahnhof Bundestag zeigen – das
aber wollten Stadt und BVG nicht: es hätte zu sehr nach politischem
Statement ausgesehen. Die Aufarbeitung der deutschen Geschichte in Namibia
und speziell des Völkermords an den Herero und Nama ist schließlich nicht
abgeschlossen.
Entschuldigt für die Kolonialzeit hatte sich die DDR nie – sie war ja
rechtlich nicht der Nachfolgestaat. De facto hat sie aber reagiert, und
zwar politisch. Neben der offiziellen Erzählung „Wir sind die Guten“ – g…
es eben auch konkrete Unterstützung für die afrikanischen
Befreiungsbewegungen – aber nur für bestimmte. Das Ganze war auch ein
weiterer Austragungsort für den Ost-West-Konflikt. „Es hatte auch viel mit
der Psychologie von Menschen in geschlossenen Systemen zu tun – wenn man
selbst nicht reisen kann, braucht man das Gefühl, sich anders zu
engagieren, also eine Art geistige Flucht“, sagt Horelli.
Eine Flucht kann es auch sein, wenn man von der Schillingstraße aus
weiterfährt nach Kaulsdorf-Nord. In den Plattenbauten lebte einst eine der
sozial stärksten Schichten Berlins – bis nach der Wende die DDR-Eliten
wegzogen. Heute wohnt hier eher ein „weißes Kleinbürgermilieu“, sagt Joch…
Becker von der „AG Kunst im Untergrund“. Bis vor Kurzem hatte seine
„Station Urbaner Kulturen“ hier ihr Büro, jetzt sind sie noch weiter
rausgezogen, nach Hellersdorf, U-Bahn-Haltestelle Cottbusser Platz.
Dort ist alles grün. Und wild. „Das ist natürlich auch so ’ne Frage: Gibt
es hier nicht genug Grün? Was soll diese IGA hier, gibt’s nicht andere
Probleme?“, fragt Becker. Gegen die IGA regt sich jetzt lokaler Widerstand.
Genauso wie es hier Widerstand gegen rechts gibt, auch mit den Mitteln der
Kunst.
Gleich oben am Bahnsteig hat die kanadische Künstlerin Elizabeth Wood ihre
Arbeit „A Migrant’s Journey“ (After Winterreise) platziert, eine Adaption
des von Wilhelm Müller 1828 geschriebenen berühmten Schubert’schen
Liederzyklus. Die von Wood ausgewählten Textstücke sind in altdeutscher
Schrift gedruckt – und man denkt im ersten Moment: hier geht es um was
Nationalistisches. Doch der Text erzählen von der Sehnsucht eines Menschen,
der auszieht, um Frieden zu suchen.
Seine Worte können spiegeln, was diese Suchenden heute in der oft
feindlichen Fremde erleben. Die Antifa hat den Text offenbar nicht gelesen
oder nicht kapiert – und gleich einen Aufkleber drüber gepappt. Dabei ist
die Arbeit der NGBK hier genauso gegen rechts gerichtet wie gegen Stigmata
wie jenes, dass Platte automatisch rechts sei.
Hier am Kastanienboulevard, wo die „Station Urbaner Kulturen“ jetzt sitzt,
gibt es kein einziges Geschäft, nur soziale Einrichtungen. Im letzten
Sommer haben sie hier den Place Internationale ausgerufen – auf einer
struppigen Wiese zwischen U-Bahnhof und Geflüchteten-Unterkunft. Mitten auf
dem Platz, umgeben von vom Frühling gefüllten Pfützen, steht ein weißer
Sockel. An diesem Samstag, dem 8. April, wird hier symbolisch eine
aufblasbare Säule gestürzt – in Erinnerung an Napoleons Siegessäule, die am
16. Mai 1871 auf dem Pariser Platz Vendôme im Zuge der Revolution gestürzt
wurde.
Wenn man es schon mal hier raus geschafft hat, sollte man die Ausstellung
in der „Station Urbaner Kulturen“ nicht verpassen. Diana Lucas-Drogan hat
mit ihren Studenten von der hier ansässigen Alice Salomon Hochschule ein
Rechercheprojekt gemacht, das sich nicht nur in wissenschaftlicher Arbeit,
sondern in kleinen Kunstobjekten niedergeschlagen hat.
Es geht darin um das Recht an städtischer Teilhabe – wer hat es, wer nicht?
Wer will, kann hier in die „Haut von Hellersdorf“ – so heißt die Schau �…
schlüpfen. Eine Haut, die auch die Studentinnen aber abends gerne wieder
ausziehen – und zurück in die gefühlte Mitte, nach Neukölln, fahren. Die
Rückeroberung der Pampa ist eben noch nicht abgeschlossen.
9 Apr 2017
## AUTOREN
Ariane Lemme
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Kunst Berlin
Schwerpunkt Coronavirus
IGA 2017
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