# taz.de -- Artenschutz für aussterbende Pflanzen: Oh Bauer, nimm mich mit | |
> Viele Pflanzen überleben auf dem Land nur noch schwer. Das Projekt | |
> „Urbanität und Vielfalt“ will ihnen in Städten neue Lebensräume schaff… | |
Bild: Was wäre schöner als Wiese unter den Füßen? Kelch-Steinkraut, Heideg�… | |
BERLIN taz | Als Gewöhnliche Grasnelke darf man heutzutage nicht wählerisch | |
sein. Auch Kelch-Steinkraut, Heidegünsel oder Kleine Eberwurz müssen sehen, | |
wo sie bleiben: All diese Pflanzen lieben trockene, nährstoffarme Böden und | |
waren darum in der „Streusandbüchse“ Brandenburg einst weit verbreitet. | |
Doch weil dort die mageren Trockenrasen unter gut gedüngten Weiden oder | |
Äckern verschwinden, verschwindet auch ihr Lebensraum. Jetzt sollen die | |
Pflanzen neue Lebensräume finden: in der Stadt, auf dem Balkon, in | |
Kleingärten, in Blumenkästen auf Fensterbrettern. | |
Das Projekt „Urbanität und Vielfalt“ will auf das Problem Artenschwund | |
aufmerksam machen und zugleich Teil der Lösung sein. Dazu verschenken die | |
vier Projektpartner, die Botanischen Gärten der Universitäten Potsdam und | |
Marburg, das Späth-Arboretum der Berliner Humboldt-Uni und die Gärtnerei | |
des Umweltzentrums Dresden Jungpflanzen an Pflanzenpaten. Diese müssen sich | |
auf der Website [1][www.UundV.de] anmelden und bekommen dann ein Paket mit | |
18 Pflanzen, jeweils 6 Exemplare von drei Arten. | |
Wer mitmachen will, braucht kein Geld, keinen Garten und kein Vorwissen – | |
nur Lust und Zeit, sich mit Blaugrünem Schillergras und Co zu befassen. Wer | |
nicht mal ein Fensterbrett für einen Blumenkasten hat, der kann seine | |
Pflanzen in die Beete der „Archeflächen“ einpflanzen, die an allen drei | |
Orten entstehen sollen – in Berlin finden sich die bistrotischgroßen | |
Parzellen auf der Internationalen Gartenausstellung Iga im Bezirk | |
Hellersdorf. | |
Mit dem Grünzeug mitgeliefert werden Beschreibungen der Pflanzen, | |
Pflegehinweise sowie Samentüten. In diesen sollen die Paten die Samen der | |
Pflanzen sammeln, wenn sie geblüht haben, und sie dann an Botanische Gärten | |
und Gärtnereien zurückgeben. An geeigneten Standorten werden sie dann | |
ausgesät und so weiterverbreitet. | |
In der Region Berlin und Brandenburg startet die Aktion am 25. Juni, in | |
Marburg und Dresden werden die Pflanzen im nächsten Jahr verteilt. | |
Insgesamt 1,1 Millionen Euro des Bundesprogramms Biologische Vielfalt lässt | |
sich die Bundesregierung das Projekt kosten, das Bundesamt für Naturschutz | |
(BfN) begleitet das Projekt fachlich. Vorgesehen sind | |
sozialwissenschaftliche Untersuchungen, die ermitteln sollen, inwieweit | |
sich neue Interessengruppen für den Wildpflanzenschutz begeistern lassen; | |
zum anderen wird das neu entstandene Saatgut genetisch untersucht. | |
„Uns geht es vor allem darum, die genetische Vielfalt der Wildpflanzen zu | |
erhalten“, sagt Anika Dreilich vom Späth-Arboretum Berlin. Die Biologin | |
betont, Arten hätten in unterschiedlichen Regionen auch eine | |
unterschiedliche genetische Ausstattung. „Je vielfältiger sie ist, desto | |
anpassungsfähiger ist die Art insgesamt und kann auf Phänomene wie den | |
Klimawandel besser reagieren“, so Dreilich. Ein Beispiel hierfür sei die | |
Skabiosen-Flockenblume. | |
In Berlin blüht die lilablaue Blume zahlreich, entstammt aber überwiegend | |
einer immer gleichen Wildblumenmischung ungeklärter Herkunft. „Wir | |
verteilen den Wildtyp“, sagt Dreilich. Ausgewählt wurden die insgesamt 34 | |
Arten für Berlin und Brandenburg auf Basis der Florenkartierung der BfN, | |
die die Pflanzenwelt in Deutschland erfasst, in Zusammenarbeit mit den | |
örtlichen Naturschutzbehörden. Während in Potsdam und Berlin Pflanzen der | |
Trockenrasen verschenkt werden, sind es in Marburg eher | |
feuchtigkeitsliebende. | |
Insgesamt wurden für alle drei Standorte rund hundert seltene und regional | |
bedeutsame Arten ausgesucht, sagt Eva Flinkerbusch, die das Bundesprogramm | |
Biologische Vielfalt koordiniert. Außerdem habe man darauf geachtet, dass | |
die Pflanzen leicht kultivierbar seien, und außerdem auch hübsch, „damit | |
die Leute sie auch gerne pflanzen und pflegen“, so Flinkerbusch. | |
Schließlich wolle man mit dem Projekt auch Zielgruppen ansprechen, die | |
bisher eher selten mit Artenschutz in Berührung kamen, etwa Kleingärtner. | |
Von dem Projekt, eines von derzeit 46 laufenden im Rahmen des | |
Bundesprogramms, verspricht sich Flinkerbusch neben neuen Pflanzensamen vor | |
allem Netzwerke von Artenschützern in den drei Regionen, die über das | |
Projekt hinaus bestehen. | |
Aber ist es sinnvoll, Pflanzen in Blumenkästen zu vermehren und in der | |
Stadt anzusiedeln, wenn ihre natürlichen Lebensräume verschwinden? | |
„Natürlich“, sagt Dreilich, „gerade weil Nährstoffüberschüsse und Pes… | |
den Pflanzen auf dem Land das Leben schwer machen, sind neue Lebensräume in | |
den Städten wichtig.“ | |
Auf gut gedüngten Wiesen werden Kriechende Hauhechel oder Rötliches | |
Fingerkraut von konkurrenzstärkeren Gräsern und Blumen überwuchert. „Unsere | |
Pflanzen haben sich auf Mangel spezialisiert“, sagt Dreilich, „aber im | |
Blumenkasten im Hinterhof passt ja der Pflanzenpate auf sie auf, und | |
schafft ihnen durch Unkrautzupfen Platz zum Leben.“ | |
20 Jun 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://urbanitaetundvielfalt.de/ | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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