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# taz.de -- Mehr Grün für die Stadt: Wenn der Volkspark zum „Event“ wird
> Planer und Architekten suchen nach „Grünen Strategien für die Stadt“ –
> und singen am Ende doch nur das Hohelied der Eventisierung des
> öffentlichen Raums.
Bild: Verbindung zwischen Randbezirk und verdichteter Innenstadt? Die Seilbahn …
Es scheint, als habe die demografische Entwicklung die Stadtplaner kalt
erwischt: „Mit dem Schwerpunktwandel von der schrumpfenden zur wachsenden
Stadt geht eine Schubumkehr in der städtebaulichen Bedeutung des urbanen
Grüns, aber auch eine Steigerung seiner Leistungsfähigkeit einher.“ So
beschreiben Planer die – zumindest für sie – neue Ausgangslage in den
wachsenden Großstädten.
In Deutschland verschiebt sich die Bevölkerungsverteilung schon seit
geraumer Zeit in Richtung Metropolen, während kleinere Gemeinden schrumpfen
– es sei denn, sie liegen im Speckgürtel der großen Städte. Teltow bei
Berlin beispielsweise ist allein in den fünf Jahren von 2008 bis 2013 um
rund 15 Prozent gewachsen.
Das Wachstum in den Großstädten – ob Berlin, Frankfurt/Main oder München �…
erfordert also eine höhere Verdichtung der Bebauung. Das aber geht zulasten
des Stadtgrüns, und das wiederum führt zu gravierenden Problemen, was das
Klima in den Städten angeht. Außerdem schränkt eine extrem dichte Stadt die
Lebensqualität in punkto Gesundheit oder Freizeitaktivitäten massiv ein.
Es ist also höchste Zeit für Planer und Politiker, sich dem Wachstumsschub
in der Stadtentwicklung zu stellen. Es braucht „Grüne Strategien für die
Stadt“ – so der Titel einer zweitägigen Tagung Ende voriger Woche. Den
Tagungsort auf Schloss Biesdorf im Bezirk Marzahn-Hellersdorf hatte die
veranstaltende Bundesstiftung Baukultur mit Bedacht gewählt.
Nicht nur dass Berlin mit erwarteten vier Millionen Einwohnern bis 2030
eine der am schnellsten wachenden Metropolen Europas darstellt, Berlin hat
auch Strategien entwickelt, wie Stadtgrün und verdichtete Stadtentwicklung
zusammengehen sollen. Deshalb war die Tagung zusammen mit der
Internationalen Gartenausstellung (IGA) Berlin 2017 organisiert worden. Die
IGA findet im nächsten Jahr in Marzahn statt. Die vergrößerten „Gärten der
Welt“ und der angrenzende Kienberg als neuer Volkspark werden im
Mittelpunkt der grünen Großveranstaltung stehen.
## Grundversorgung oder Tourismusmarketing?
Die Frage ist nur, ob und wie ein solcher „Event“ etwas zur nachhaltigen
Entwicklung der „grünen Infrastruktur“ der Stadt beitragen kann. Dieser
Begriff hat derzeit bei den Stadt‑ und Landschaftsplanern Konjunktur.
Gemeint sind damit alle Grünbereiche in der Stadt, inklusive „Parkanlagen,
Friedhöfe, Kleingärten, Brachflächen, Spielbereiche und Spielplätze,
Sportflächen, Straßengrün und Straßenbäume, Siedlungsgrün, Grünflächen …
öffentlichen Gebäuden, Naturschutzflächen, Wald und weitere Freiräume, die
zur Gliederung und Gestaltung der Stadt entwickelt, erhalten und gepflegt
werden müssen“. So definiert es das Bundesumweltministerium.
Was also kann eine Gartenschau zu dieser grünen Grundversorgung der
Stadtbürger beitragen? Eine Antwort auf diese Frage hätte man gern gehört.
Tatsächlich tendierte die Tagung in punkto IGA in eine andere Richtung.
„Welche touristischen, imageprägenden und wirtschaftlichen Potenziale
können genutzt werden?“ Das Stadtgrün hat sich heute offenbar zugleich als
Faktor im Städtetourismus zu rechtfertigen. Dann aber lautet die zentrale
Frage: Lohnt sich der Extraaufwand für eine Gartenausstellung? Wobei knapp
10 Millionen Euro öffentliche Landesmittel für die IGA 2017 „Peanuts“ sin…
verglichen etwa mit den Kosten für eine nicht funktionierende
Flughafeninfrastruktur.
Die Eventisierung der Kultur, so beschied Landschaftsplaner, Autor und
„Standortentwickler“ Thies Schröder auf der Tagung, sei ein
Entwicklungsmotor für den öffentlichen Raum. Das gelte auch für die seit
1951 in Deutschland veranstalteten Gartenschauen. Die soziale Begegnung
während solcher „Events“ schaffe eine neue Kommunikationsstruktur. Der
„Event“ sei eine neue Kulturtechnik und als „Live-Höhepunkt im digitalen
Strom“ der Testlauf für das Leben in einem öffentlichen Raum, der heute
überhaupt nur wirklich werde, wenn man sich an ihm beteilige.
## „Events“ sollen Heimatgefühle schaffen
Das war nun nicht gerade ein Argument für die Nachhaltigkeit des Grüns in
der „Kohlenstoffwelt“ jenseits der Medien. Oder vielleicht doch? Oliver
Scheytt, Geschäftsführer von „Ruhr.2010“ und derzeit verantwortlich für
sämtliches Grün der Stadt Essen, beschwor die identitätsstiftende Funktion
von Events mit Hinweis auf die „Metropole Ruhr“. Schon dieser Name ist
eigentlich nur ein von Leuten wie Scheytt erfundenes Marketingetikett für
das, was man früher Ruhrgebiet nannte.
Aber der Pott braucht im nachindustriellen Zeitalter eine neue Identität,
die erst noch kreiert werden muss. Und „Events“ wie das gemeinsame Speisen
von drei Millionen auf dem gesperrten Ruhrschnellweg im Jahre 2010 seien
zumindest als Erinnerung noch immer präsent. Vergleichbare Veranstaltungen
seien auch deshalb zum Erfolg geworden, weil „Heimatgefühle, Eigensinn und
Identifizierung“ der Ruhrgebietler mit ihrer Region erreicht worden seien.
Der Anspruch der IGA 2017 in Berlin ist allerdings mehr als nur ideelle
Werte oder Erinnerungen zu erzeugen. Die IGA sei eingebunden in
übergeordnete Projekte „zur nachhaltigen Aufwertung und beschleunigten
Weiterentwicklung eines peripheren Stadtraums“. Damit gemeint hatte
Christoph Schmidt, Geschäftsführer der IGA 2017, Marzahn, das in dem Maße
an Bedeutung gewinnen wird, je mehr die innerstädtischen Quartiere zugebaut
und gentrifiziert werden. Periphere Areale wie Marzahn sollen dann stärker
mit dem Innen wie dem Außen der Stadt verknüpft werden – eben durch grüne
Infrastruktur.
Die Perspektive auf eine Zukunft, in der die Stadt keinen Platz mehr zum
Wachsen hat, ist für die Planer auch Anlass, sich Gedanken um neue Konzepte
von Gartenstädten zu machen. Uli Hellweg, Stadtplaner und zehn Jahre lang
Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Hamburg, schlug vor,
sich am Urkonzept für Gartenstädte des Engländers Ebenezer Howard
(1850–1928) zu erinnern.
## Besitzverhältnisse nicht hinterfragen
Was unter dem Namen Gartenstadt später in Deutschland passierte, hat ja
vieles von Howards Konzepten zu jenen Garden Cities unterschlagen, vor
allem die Ideen zur „kommunalen und genossenschaftlichen Verfügung über
Grund und Boden“. Utopisch mutet auch das von Howard gedachte Beieinander
von Wohnen und Arbeitsplätzen an oder die soziale Durchmischung der
Bewohner und nicht zuletzt das ausgewogene Verhältnis von Dichte und
Freiflächen in der Gartenstadt. Aber Klimawandel und wachsende Städte
machen Howards Ideen vom Ende des 19. Jahrhunderts für eine Synthese von
Stadt und Land heute wieder attraktiv, war Hellwegs These.
Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Die so genannten Werkstätten,
bei denen die Tagungsthemen mit den jeweiligen Referenten an einem
Nachmittag diskutiert werden sollten, bekamen eher Randbemerkungen und
Einzelaspekte in den Blick. Die vielen Stadt‑ und Landschaftsplaner und
Architekten im Publikum, zumal jene oft aus öffentlichen Verwaltungen,
scheinen sich radikale Fragen – wie die nach den Besitzverhältnissen bei
Grund und Boden – schon gar nicht mehr zu stellen.
Auch die von vielen Referenten wie selbstverständlich als Win-win-Situation
betrachtete Verbindung von Stadtmarketing und Tourismusförderung mit
nachhaltiger Stadtentwicklung wurde nicht in Frage gestellt. So blieb am
Ende der Tagung, als die niederländischen Architektin Nathalie de Vries die
Projekte ihres Büros vorstellte, der Eindruck, dass man mit Werbung und
Propaganda die Planer allzu leicht begeistern kann. Man muss nur von
„Hybridisierung“, „Diversifisierung“ und „Mehrfachkodierung von Funkt…
erzählen und flott-rhythmisierte Werbefilmchen zeigen – und schon erscheint
die Welt in grünen Farben.
3 Oct 2016
## AUTOREN
Ronald Berg
## TAGS
Märchen
Park
Radio
Schwerpunkt Artenschutz
IGA 2017
IGA 2017
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