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# taz.de -- Radiokunst aus dem Schrebergarten: Kartoffeln auf Sendung
> Welche Geräusche machen Pflanzen? Ab Freitag sendet das „Datscha Radio“
> von Gabi Schaffner fünf Tage lang aus einem Pankower Kleingarten.
Bild: Hallo, hier Datscha Radio: Gabi Schaffners Schrebergarten-Studio
Die Kleingartensiedlung „Einigkeit“ in Pankow-Rosenthal ist ein Ort der
Ruhe. Fernab von Straßenlärm und gehetzten Menschen tanzen Insekten im
warmen Sonnenlicht. Aus der Ferne dröhnt ein Rasenmäher, und irgendwo
hinter einer Hecke spielt jemand Gitarre. In Parzelle 665 herrscht hingegen
geschäftiges Treiben, denn am Freitag starten die „Parzellenprognosen“ –
ein fünftägiges Radiokunst-Festival von „Datscha Radio“. Gesendet wird li…
aus dem Wintergarten von Gabi Schaffner – sie ist der kreative Kopf hinter
„Datscha Radio“.
Die experimentelle Künstlerin ist im Stress. Bis das Team in zwei Tagen auf
Sendung geht, hat sie noch viel vor: Studio einrichten, Zelt aufbauen, den
Garten auf Vordermann bringen, tragbare Radios werden im Garten verteilt –
für die Besucher, zum Mithören vor Ort.
„Datscha Radio“ will interaktiv sein. Das 2012 gegründete Radiokunstprojekt
ist eine mobile, temporäre Radiostation. Die jeweiligen Gärten, von denen
Schaffner sendet, sind nicht Objekte, sondern Teil des Projekts. Sie sind
nicht nur Thema der Sendungen, sondern Orte der Zusammenkunft für Nachbarn,
Künstler, und Gartenfreunde.
„Die meisten brauchen eine Weile, um zu verstehen, was wir vorhaben“, gibt
Schaffner zu. Mit kommerziellem Radio hat das Ganze jedenfalls nichts zu
tun. Es geht um Klangkunst, bei der das Radio als Medium dient. Auch
Performances wird es geben. „Eine Künstlerin wird beispielsweise während
ihrer Show kochen und dabei die Töpfe verkabeln“, verrät Schaffner.
Zunächst soll es darum gehen, wie sich die Akustik ändert, je nachdem, was
im Topf gerade gekocht wird. Hinterher sollen die Gerichte von den
Besuchern auch verkostet werden dürfen.
## Der politische Garten
Sie ist sich bewusst, dass die experimentelle Radiokunst nicht jedem
gefällt. Aber im Programm stehen auch Diskussionsrunden, die politischen
Charakter haben – zum Beispiel gibt es eine Diskussionsrunde zur ungewissen
Zukunft der Kleingartenanlagen in Berlin. Erst kürzlich hatte
Umwelt-Staatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne) in einer Antwort auf
eine Kleine Anfrage mitgeteilt, dass in der wachsenden Stadt Berlin in
Zukunft kein Platz mehr für größere, neu entstehende Kleingartenflächen
ist.
Versteckt zwischen Tomaten, Fenchel und sonstigem Grün hat die Künstlerin
Kate Donovan bereits eine Installation für das Festival aufgebaut. Auf
einem kleinen Gerüst liegen Kartoffeln, die mit Nägeln gespickt sind. An
dem Gerüst hängen Kopfhörer, die über Nagel, Draht und Kabel mit den
Kartoffeln verbunden sind und die es ermöglichen, die Geräusche der
Kartoffeln zu erforschen.
Schaffner schlägt sich durch das Beet, steckt ihren Kopf ins Grün und setzt
die Kopfhörer auf. „Die sind noch nicht an“, sagt sie nach einer Weile.
So durcheinander und auf den ersten Blick ungeordnet wie Schaffners Garten
ist auch das Festivalprogramm. Vor allem international bekannte Künstler
aus der kleinen Radiokunstszene, die wie Donovan mit Pflanzengeräuschen
arbeiten, werden auf Sendung gehen. „Wir nehmen keinen kommerziellen Kram“,
sagt Schaffner. Stattdessen habe sie nach etwas gesucht, „das ausbricht“,
sagt die Radiokünstlerin. „Gerne ziellos, gerne poetisch.“
## Eine göttliche Komponente
Was die Künstler genau geplant haben, weiß Schaffner selber nicht immer
genau. „Datscha Radio“ sei ein lebender Organismus, sagt sie gerne. Sie mag
Metaphern und der Garten sei eine richtig gute: er stehe für Wachstum und
Miteinander, und habe auch eine göttliche Komponente. Das Projekt stehe für
sich „wie ein Blumenstrauß, der Insekten anzieht“.
Während des fünftägigen Festivals schlafen Schaffner und ihr Team in der
Datscha. Valeria und Matt von der Technik werden im Garten zelten. Für
heute sind sie erst mal fertig, obwohl die Telekom sie hat sitzen lassen.
Die sollen für eine stabile Internetverbindung sorgen, denn wer nicht auf
der Datscha vorbeikommen kann, der empfängt das Festival auf Frequenz 88,4
oder online im Live-Stream.
Aus dem kleinen holzverkleideten Wintergarten von Gabi Schaffner ist jetzt
ein Studio geworden. Auf einem Holztisch liegen zwei Mikrophone neben einem
Mixer. Links ein Plattenspieler, Boxen, ein leuchtendes „On Air“-Schild,
rechts türmen sich Kisten mit Kabeln. Die Anspannung im Garten-Idyll ist
groß: Hält die Verbindung? Funktioniert das Gastradio aus Graz, das sich
verwirrenderweise „Radio Helsinki“ nennt? Schaffner zuckt mit den
Schultern: „Das wird für alle ein Härtetest.“
25 Aug 2017
## AUTOREN
Rebecca Barth
## TAGS
Radio
Kleingarten
Garten
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