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# taz.de -- Hilflos gegen Neonazis: „Die Polizei macht nichts!“
> Was tut man, wenn nebenan Neonazis wohnen? Die Polizei sagt: Straftaten
> anzeigen. Nach eine Körperverletzung in Bremen-Walle wurde trotzdem nicht
> ermittelt.
Bild: Grau, hässlich, Hundekacke: Bremen-Walle besticht eher mit rauhem Charme
Neonazis in der Nachbarschaft gibt es nicht oft in Bremen-Walle. Der
Stadtteil ist durch Einwanderung geprägt, arm und großstädtisch-liberal.
Walle hat beides: angelinkste Kneipen und olle Eckschänken. Viele sagen:
„Walle kommt.“ Die Wohnungen hier sind billiger als das durchgentrifizierte
Viertel, wie Bremens kultureller Mittelpunkt heißt. Walle grenzt
süd-westlich an das großangelegte Yuppie-Wohnprojekt der Überseestadt und
das noch ärmere Gröpelingen im Norden. An Laternenpfählen kleben „Refugees
Welcome“, „FCK AFD“ und Werder-Bremen-Aufkleber. Die Fußball-Sticker
bleiben in der Regel kleben, die anderen werden abgerissen.
Hans Müller (Name geändert) lebt seit 35 Jahren in Walle. Er glaubt zu
wissen, warum antirassistische Aufkleber in der Gegend abgerissen werden.
In seiner Straße wohnt ein Pärchen mit „brauner Gesinnung“, wie er sagt.
Die beiden terrorisieren die Nachbarschaft. „Ich fühle mich allein. Kaum
jemand sagt etwas gegen sie“, sagt Müller.
Er findet die rassistische Einstellung seiner Nachbarn furchtbar: „Man muss
doch etwas dagegen tun können. Alle predigen immer Zivilcourage. Wenn man
dann zur Polizei geht und was sagt, macht diese nichts.“ Er fühlt sich
machtlos angesichts der Situation, die ihn an den NSU erinnert, der
jahrelang unerkannt und unbehelligt mitten in Chemnitz wohnen konnte.
Die braunen Nachbarn von Müller heißen Anja E. und Danny S. Sie sind den
Sicherheitsbehörden bekannt. Die Polizei ordnet sie dem rechten Spektrum
zu. Andere würden sagen: Sie sind Neonazis.
## Das Pärchen ist gewalttätig und aggressiv
Er trägt Glatze und Klamotten der extrem rechten Marke Thor Steinar, ist
Mitglied in der Hooligan-Vereinigung „Gemeinsam Stark Deutschland“. Seine
Gürtelschnalle ziert ein Wikinger-Kopf und eine Axt, „Valhalla“ steht
darunter. Sie hat auf ihre linke Wade eine Eins tätowiert, auf ihre rechte
eine Acht. Die Zahlen stehen für den ersten und achten Buchstaben im
Alphabet.
Was dieser Code bedeutet, weiß mittlerweile selbst das konservative
Bürgertum: Ihre linke Wade sagt Adolf, ihre rechte Hitler. Damit das auch
wirklich alle sehen können, trägt sie gerne Dreiviertelhosen. Sie wohnen in
einem der typisch bremischen Mini-Häuschen mit kleinem Vorgärtchen. In dem
steht ein Plastikeimer in Deutschland-Farben, auf dem steht: „Sauber
weggeputzt!“
Das allein ist nicht verboten. Nur wegen ihrer Gesinnung könne man
niemanden festnehmen, sagt die Polizei. Sie rät aber generell dazu, sofort
Anzeige zu erstatten, falls etwas vorfallen sollte. Nur blöd, wenn die
Polizei dann trotzdem nichts tut.
Denn das Pärchen ist bereits mehrfach gewalttätig und aggressiv gegenüber
NachbarInnen geworden. S. beansprucht auf dem Bürgersteig vor der Haustür
seinen Privatparkplatz – obwohl das eine öffentliche Straße und ein
normaler Gehweg ist. Was passiert, wenn man trotzdem sein Auto dort
hinstellt, musste ein anderer Nachbar schmerzhaft erfahren: Danny S.
stellte den Nachbarn an dessen Haustür zur Rede, drang in dessen Wohnung
ein und schlug ihn mehrfach. Passiert ist das im September 2015. Sein Opfer
erstattete Anzeige.
## „Der muss vernünftig bestraft werden.“
Das Ermittlungsverfahren wurde jedoch eingestellt. Warum, kann die Polizei
zunächst nicht beantworten. Sie kann sich zunächst nicht mal an dieses
Verfahren erinnern, nennt auf Nachfrage aber ein anderes
Körperverletzungsdelikt des Beschuldigten, rund drei Monate nach der
mutmaßlichen Tat aus dem September.
Bei der Staatsanwaltschaft Bremen ist das anders. Es stellt sich heraus,
dass das Verfahren wegen Körperverletzung „unter Vorbehalt eingestellt“
wurde. „In Hinblick auf eine zu erwartende Verurteilung in einem anderen
Verfahren“, wie es heißt. Laut Oberstaatsanwalt Frank Passade wird das
gemacht, wenn ohnehin schon ermittelt wird und in dem Verfahren eine
Verurteilung zu erwarten ist, deren Strafmaß das der anderen angezeigten
Tat übersteigt.
Nur komisch, dass es sich beim anhängigen Verfahren laut Staatsanwaltschaft
lediglich um ein Straßenverkehrsdelikt gehandelt haben soll. Und auch
dieses wurde schließlich eingestellt. Der Grund: Es sei keine gültige
Meldeadresse des Beschuldigten zu ermitteln. Das
Körperverletzungsverfahren, obwohl nur unter Vorbehalt eingestellt, wurde
dennoch nicht wieder aufgerollt.
Das Verfahren wurde zur Karteileiche. „Ich kann nicht sagen, warum das so
gelaufen ist“, sagt Passade. Nach der taz-Anfrage hat er die Ermittlungen
wieder aufgenommen. Er sagt: „Es ist natürlich was anderes, wenn ich mir
das nochmal in Ruhe angucke. Der ist ja ein dicker Hund, dafür muss er
vernünftig bestraft werden.“
## Drohungen gegen Kinder auf offener Straße
Den Tatvorgang schildert die Staatsanwaltschaft wie folgt: „Der
Tatverdächtige ist zur Wohnung des Geschädigten gekommen, weil dessen PKW
falsch parke.“ Deswegen habe S. Stunk gemacht. Wie sich die Parteien beim
Streit verhielten? „Der Geschädigte selber war zurückhaltend und soll
gesagt haben: „Ach komm, ist gut, ich fahr das Auto weg. Ich will keinen
Streit.“ Antwort von Danny S.: „Aber ich will Streit haben.“ Daraufhin ha…
der Beschuldigte den Fuß in die Tür gestellt und Schläge verteilt. „Das
geht gar nicht“, sagt Passade. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft nicht
weiter ermittelt.
In ihrer Nachbarschaft jedenfalls ist es schwer, die Aggressivität des
braunen Pärchens zu verdrängen. Der Nachbar, der von S. verprügelt wurde,
habe noch drei Wochen nach dem Vorfall gezittert. Laut Müller ist er
inzwischen weggezogen. Die Stimmung in der kleinen Straße sei wegen des
Pärchens seit deren Einzug vor zehn Jahren immer schlechter geworden.
Auch eine andere Familie in der Nachbarschaft berichtet von Problemen mit
dem rechten Paar. Die Frau ist eingewandert und wohnt seit 23 Jahren in der
Straße. „Sie haben uns gedroht“, erzählt sie. Es ging um ihre Katze. Die
sei in Territorialkämpfen mit der „nicht zufällig“ komplett weißen Katze
der Neonazis aneinandergeraten. Daraufhin habe Anja E. bei der Familie
geklingelt. „Sie hat mich auf offener Straße angeschrien und gesagt: ‚Wenn
das nochmal passiert, vergifte ich Ihre Katze. Wehe, Sie lassen die nochmal
raus! Warten Sie ab, was sonst mit Ihren Kindern passiert!‘“ Immerhin: Die
Nachbarn, die es mitbekamen, erklärten sich solidarisch, später.
Nachdem die Frau der Polizei von den Drohungen berichtet hatte, gab diese
ihr nur diesen vagen Ratschlag: „Ihre Kinder sollten die Tür richtig
schließen.“ Anzeige erstattete die Familie deshalb danach nicht, sie
ignorierte aber das Katzen-Verbot. Wohl fühlte sie sich dabei jedoch nicht:
„Die Kinder sind in Angstzuständen aufgewachsen. Sie wechseln jedes Mal die
Straßenseite, wenn sie die sehen.“ Auch diese Familie fühlt sich von der
Polizei im Stich gelassen. Das Ganze liege zwar schon fünf bis sieben Jahre
zurück, aber das grundsätzliche Gefühl der Bedrohung sei immer noch da.
„Wir sind eher vorsichtig.“
Dass die Polizei nach dieser direkten Drohung nicht rät, Anzeige zu
erstatten, scheint nur schwer nachvollziehbar. Noch rätselhafter bleibt
jedoch die Verschleppung des Verfahrens im Fall der Körperverletzung von
2015. Dass die Polizei davon nichts weiß, kann nach Angaben der
Staatsanwaltschaft nicht sein. Laut Passade hat die Polizei kurz nach der
Tat die Anzeige aufgenommen. Noch am Tattag war sie vor Ort.
Damit konfrontiert, räumt die Polizei den Vorfall ein. Man habe die Anfrage
falsch verstanden und auf einen anderen Zeitraum bezogen, sagt ein
Polizeisprecher. Nachdem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nun jedoch
wieder aufgenommen hat, fuhr die Polizei wieder an den Wohnort von Danny
S., seiner letzten Meldeadresse, um festzustellen, ob er dort noch wohnt.
„Das ließ sich nicht feststellen“, sagt die Staatsanwaltschaft. Noch immer
hat Danny S. keine gültige Meldeadresse.
Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft nun erneut Anklage erhoben. Weil
jedoch keine ladungsfähige Adresse des Beschuldigten festzustellen ist,
wird auch dieses Verfahren sofort wieder eingestellt. Nun kommt es zu einer
Aufenthaltsermittlung. Wenn S. irgendwo angetroffen wird, oder irgendwo in
Deutschland seinen Wohnsitz anmeldet oder erneut strafrechtlich in
Erscheinung tritt, wird es der Staatsanwaltschaft gemeldet, erklärt
Passade.
Laut Müller lebt S. nach wie vor in dem Häuschen, lediglich sein Name steht
nicht mehr am Briefkasten. Sein Auto parke abends und nachts für gewöhnlich
auf seinem national befreiten Parkplatz, tagsüber sei er meistens
unterwegs.
Ab wann man einen Haftbefehl ausschreiben könne? „Man braucht einen
dringenden Tatverdacht – den haben wir hier“, sagt Oberstaatsanwalt
Passade, „und dann braucht man noch Flucht- und Verdunklungsgefahr.“ Das
ließe sich jedoch in diesem Fall trotz der Abmeldung nicht feststellen –
„der wird seine guten Gründe haben, warum er sich nicht anmeldet, aber es
gibt keine Hinweise, dass es mit diesen Ermittlungen zu tun hat.“
20 Mar 2017
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