# taz.de -- Inhaftierte JournalistInnen in der Türkei: Solidarität darf nicht… | |
> Zurzeit sind 152 Journalisten in der Türkei in U-Haft. Viele warten seit | |
> Monaten auf ein Verfahren. Ihre Arbeit wird als Verbrechen betrachtet. | |
Bild: Saubermann Erdogan | |
Istanbul taz | „Wer jetzt verhaftet wird, kommt nicht so schnell wieder | |
raus.“ Diese düstere Prognose eines türkischen Kollegen kurz nach dem | |
gescheiterten Putsch im letzten Juli hat sich bis auf ganz wenige Ausnahmen | |
bewahrheitet. Über 100 Journalisten, die nach Verhängung des | |
Ausnahmezustands im Juli 2016 verhaftet wurden, sitzen nach wie vor in | |
U-Haft. Die allermeisten warten noch auf ihre Anklage, gegen kaum einen von | |
ihnen wurde bislang ein Verfahren eröffnet. | |
Die Regierung entschuldigt das mit der angeblichen Überlastung der Justiz, | |
aber auch schon vor dem Putschversuch hatten lange Zeiten in | |
Untersuchungshaft Methode und waren bereits ein Teil der Strafe. Insgesamt | |
dürfen Beschuldigte fünf Jahre lang in Untersuchungshaft festgehalten | |
werden, bevor ein Prozess gegen sie beginnen muss. Zurzeit sind [1][mit | |
„Welt“-Korrespondent Deniz Yücel] 152 Journalisten in Haft. | |
Fast alle werden wegen des Vorwurfs der Propaganda oder Mitgliedschaft in | |
einer terroristischen Vereinigung festgehalten. Unmittelbar nach dem Putsch | |
war es zumeist der Vorwurf, Anhänger der islamischen Gülen-Bewegung zu | |
sein, die von Präsident Erdogan für den Putsch verantwortlich gemacht wird. | |
Schon vor dem Putschversuch war die türkische Justiz auf Drängen der | |
Regierung dazu übergegangen, die Gülen-Bewegung als „Terrororganisation“ | |
einzustufen. Die meisten der Gülen-Bewegung zugerechneten Medienhäuser | |
waren deshalb schon vor dem Putsch geschlossen oder unter staatliche | |
Kuratel gestellt worden, aber erst nach dem 15. Juli wurden die | |
Journalisten, die dort gearbeitet hatten, verhaftet. Darunter bekannte | |
Namen wie Sahin Alpay und die beiden Altan-Brüder, die alle aus einer | |
linksliberalen Tradition kommen. | |
Im zweiten Schritt kam dann die Verhaftungswelle gegen Journalisten | |
kurdischer Medien und aller übrigen Publizisten, die sich für eine | |
friedliche Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei starkgemacht hatten. | |
Mitte August letzten Jahres wurde die kurdische Tageszeitung Özgür Gündem | |
dichtgemacht, die RedakteurInnen wurden verhaftet und sämtliche andere | |
Unterstützer der Zeitung, wie die Schriftstellerin Asli Erdogan, ebenfalls | |
in U-Haft genommen. Asli Erdogan ist eine der wenigen, die aufgrund einer | |
massiven internationalen Unterstützung mittlerweile zumindest [2][aus der | |
U-Haft entlassen wurde]. Ein Prozess gegen sie ist aber weiter anhängig. | |
Die dritte Verhaftungswelle richtete sich dann gegen die republikanische | |
Opposition rund um die Tageszeitung Cumhuriyet. Insgesamt 13 Kollegen, | |
darunter der Chefredakteur von Cumhuriyet, sitzen seit Ende Oktober im | |
berüchtigten Gefängnis für politische Gefangene in Silivre. Gegen sie liegt | |
noch überhaupt keine konkrete Beschuldigung vor, ein Ende ihrer U-Haft ist | |
deshalb gar nicht abzusehen. Ihre Haftbedingungen sind skandalös. Sie | |
müssen um jeden Besuch, den sie erhalten wollen, kämpfen und beschweren | |
sich bis heute, dass sie keinen Zugang zu Büchern und Zeitungen haben. | |
Außerdem werden ihre Gespräche mit ihren Anwälten von dem Gefängnispersonal | |
aufgezeichnet, ein Anwaltsgeheimnis existiert nicht mehr. | |
## Kritik als Verbrechen | |
Zuletzt wurde noch Ende Dezember einer der prominentesten investigativen | |
Journalisten des Landes, [3][Ahmet Sik, festgenommen]. Für Sik nichts | |
Neues, denn er saß schon einmal, von März 2011 bis März 2012, wegen seiner | |
journalistischen Arbeit in U-Haft. Damals, weil er die zu der Zeit noch mit | |
Erdogan verbündete Gülen-Gemeinde in einem Buch kritisiert hatte, jetzt, | |
weil er angeblich ein Propagandist der Gülen-Terrorbewegung ist. | |
Am Beispiel von Ahmet Sik wird die Willkür der Vorwürfe besonders deutlich. | |
Die Anklagen haben in der Regel mit der Realität nichts zu tun, sondern | |
sind allein politisch motiviert. Ahmet Sik ist weder Mitglied der | |
Ergenekon-Terrorbewegung, der damals vorgeworfen wurde, Erdogan und Gülen, | |
als seinen wichtigsten Unterstützer, stürzen zu wollen, noch ist er heute | |
ein Propagandist der Gülen-Bewegung. | |
Sik ist wie alle seine inhaftierten Kollegen auch schlicht und einfach ein | |
Journalist, der seinen Job macht. Er schaut den Mächtigen auf die Finger, | |
kritisiert Korruption und Willkür und ist deshalb Erdogan und seiner | |
Regierung ein Dorn im Auge. Das eigentliche Verbrechen aller dieser | |
Kollegen ist, dass sie sich gegen die Gleichschaltung der türkischen Medien | |
zu reinen Erdogan-Propagandaorganen gewandt haben. Deswegen sitzen sie im | |
Gefängnis und deswegen darf die internationale Solidarität mit ihnen nicht | |
erlahmen. | |
28 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://gazete.taz.de/article/?article=!5388620&category=!t5372561 | |
[2] /!5365949/ | |
[3] /!5370104/ | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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