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# taz.de -- Serie Über Rassismus reden: Eine Geste des Grenzdenkens
> Wer die Macht hat, kann seine Wahrheiten durchsetzen. Das sieht man an
> der Debatte darüber, ob Rassismuskritik „wissenschaftlich“ ist.
Bild: Wahrheit oder Ideologie?
Neben den mittlerweile salonfähigen Disqualifizierungen der Gender Studies
werden immer häufiger rassismuskritische Beiträge und Ansätze Zielscheibe
von – zum Teil hasserfüllten – Attacken. Es ist wohl kaum zufällig, dass …
einer Zeit, in der rassistische Übergriffe rasant zunehmen, Rassismuskritik
mit einer besonderen Vehemenz angegriffen wird. Der Vorwurf lautet dabei
immer wieder, Rassismuskritik sei keine Wissenschaft, sondern lediglich
Ideologie.
Einerseits setzten sich in mehr und mehr Ländern rechte Parteien mit
migrationsfeindlichen und rassistischen Diskursen durch, gleichzeitig haben
wir es mit dem Come-back einer äußerst gefährlichen Praxis zu tun, die
immer weniger zurückgewiesen wird: rassistische Übergriffe werden
bagatellisiert oder schlicht ignoriert, nicht nur im politischen Diskurs.
Diejenigen, die darauf bestehen, dass es möglich ist, eine
diskriminierungsfreie Sprache zu sprechen, müssen sich hingegen diffamieren
lassen.
Wer es wagt, sich gegen die Reproduktion rassistischer Kategorien zu
wehren, macht sich angreifbar – auch in großen Teilen der Linken. Es ist
schon irrsinnig, dass das Argument, der Verzicht auf eine rassistische
Sprache, mache es unmöglich, überhaupt noch zu sprechen, so oft und in so
unterschiedlichen Räumen wiederholt werden kann.
## Rassismus wird zum Trugbild erklärt
Eigentlich geht es hier doch eher um die Verteidigung des imperialistischen
Rechts, die Anderen verachten und beschämen zu dürfen. Ein Verbot einer
solchen Praxis wird von vielen als unmögliche Einschränkung erlebt. Der
Verzicht auf die Lust an der Verachtung und Diffamierung der als anders
bestimmten, die ja immer mit der Erhöhung des eigenen Selbst einhergeht,
wird als Zurückweisung erlebt und darauf mit gewalttätigen Praxen reagiert.
Ob aus dem Publikum nach Vorträgen, in Auseinandersetzungen in der U-Bahn,
auf dem Amt, in der Bäckerei oder auf Blogs nach rassismuskritischen
Veröffentlichungen, die Stimmung ist nicht nur aggressiver, die Reaktionen
sind auch immer selbstbewusster und gewalttätiger, denn jetzt haben die
Unverbesserlichen nicht nur den Präsidenten der Vereinigten Staaten hinter
sich, sondern auch eine immer größere Bewegung rechter Populist_innen.
Wer heute darlegt, dass – und wie – wissenschaftliche Diskurse Rassismus
stabilisieren, kann gar nicht wissenschaftlich arbeiten, so die
Kritiker_innen. Rassismus wird damit zum Trugbild erklärt. Die Beschreibung
und Auseinandersetzung mit rassistischen Diskursen und Praxen erscheint
dann an den Haaren herbeigezogen. Ein klassischer Abwehrmechanismus.
Der französische Philosoph Michel Foucault fragte einmal provokant, welches
Wissen eigentlich disqualifiziert werden solle, wenn gefragt würde, ob ein
Text wissenschaftlich sei. Und wer solle eigentlich gering geschätzt
werden, wenn einer von sich sagt, er sei ein Wissenschaftler und berufe
sich auf wissenschaftliche Diskurse. Die Frage nach der
Wissenschaftlichkeit ist im akademischen Feld bei Weitem keine harmlose. Im
Gegenteil, sie verweist auf den Kampfplatz Zivilgesellschaft, zu dem auch
die Hochschulen zählen. Ein Kampfplatz, indem nicht nur um Bedeutungen,
aber auch um Reputation, Stellen, Würde und die Hegemonie im politischen
Diskurs gerungen wird. Krieg mit anderen Mitteln.
Nicht selten wird mit harten Bandagen gekämpft. Abschätzige Bemerkungen,
Beschämungen, Lächerlichmachen gehörten immer zum akademischen Geschäft. Es
ist allerdings interessant, in welchen Zeiten und Räumen welche Positionen
und Herangehensweisen Angriffe erfahren und wie und von wem die Attacken
außerhalb des Akademischen sekundiert werden.
## Gewalt durch Wissen
Was heute so gerne als postfaktisch bezeichnet wird, ist im Grunde ein
alter Hut. Eine bekannte und beliebte Machtstrategie. Die, die Macht haben,
können „Wahrheiten“ und mithin privilegiertes Wissen hervorbringen –
während die, die Hegemonie angreifen, mit allen Mitteln disqualifiziert
werden: Lügen war dabei immer schon ein beliebtes Mittel der Herrschenden.
Trump ist nur ein besonders übles Beispiel für jemanden, der eine
altbekannte Strategie zur Anwendung bringt. Konnte nicht schon zu
Kolonialzeiten alles nur erdenklich Mögliche über die Kolonisierten
behauptet werden, so wie jetzt auch fast alles Üble glaubhaft wirkt, das
über muslimische Menschen kolportiert wird?
So wie Trump heute alle muslimischen Menschen zur Gefahr erklären kann, so
war es während der Kolonialzeit möglich, Genozide zu legitimieren, indem
behauptet wurde, die europäische Zivilisation sei in Gefahr. Was heute „die
Muslime“ sind, waren wohl während der Kolonialzeit „die Barbaren, die
Kannibalen“: Schreckensgestalten, die die westliche Zivilisation angreifen
und jedes noch so unglaubliche brutale Vorgehen rechtfertigten.
Die postkolonialen Studien analysieren diese epistemische Gewalt, die
Gewalt durch Wissen und Wissenschaft. Wie können sich rassistische Praxen
halten? Warum ist es so schwer, postkoloniale Studien im deutschsprachigen
Raum zu etablieren? Wer profitiert von einer Stabilisierung
antimuslimischer Diskurse? Wer hat Angst davor, kritische Fragen in
Richtung der Philosophie der Aufklärung zu richten?
Diejenigen, die immer wieder den Vorwurf der Ideologie erheben – ganz
gleich, ob diese sich selber politisch rechts oder links positionieren –,
ignorieren damit die Notwendigkeit von Ideologiekritik. Um das zu
verstehen, muss jedoch zwischen Ideologiekritik und Ideologievorwurf
differenziert werden, was bedauerlicherweise selten geschieht. Denn jede
Theorie ist ideologisch.
Bereits in ihren Überlegungen zur deutschen Ideologie entwarfen Karl Marx
und Friedrich Engels eine Kritikform, die auf die Differenz zwischen
Theorie und materiellen Verhältnissen hinweist: Wenn es die
gesellschaftlichen Verhältnisse sind, die ein spezifisches Denken
hervorbringen, dann können Theorien niemals unabhängig von diesen
verstanden werden.
Das heißt, Ideologiekritik entlarvt Diskurse, die dafür sorgen, dass Gewalt
und Ungerechtigkeit als normal erscheinen. Rassismus etwa, der auch in
Mediendiskursen immer wieder naturalisiert, banalisiert oder rundweg
negiert wird. So glauben immer mehr Menschen, terroristisch motivierte
Attacken auf die Zivilbevölkerung berechtigten zu rassistischen Übergriffe
auf Unbeteiligte. Nur weil diese möglicherweise dieselbe Religion
praktizieren. Dieser Logik folgend, müssten wir eine Ausgangssperre für
alle Männer fordern, denn es sind immer wieder Männer aller Klassen und
Herkünfte, die Frauen vergewaltigen. So etwas würde schnell als Unsinn
zurückgewiesen. Ersteres ist jedoch gängige Praxis. Ideologiekritik weist
unter anderem auf diese inneren Widersprüche hin.
Im Gegensatz zur Ideologiekritik ist der Ideologievorwurf nichts weiter als
eine Geste des Grenzdenkens. Ein Denken, das vorgibt, bestimmen zu können,
welche Theorie wertvoll, welche Argumente sinnvoll und welche Methoden
korrekt sind. Auf der einen Seite der Grenze findet sich die „reine
Wissenschaft“, auf der anderen Seite allenfalls ein liederliches Vorgehen:
unsauber, unkorrekt, bedenklich, naiv.
Einem solchen Vorwurf kann und muss mit Ideologiekritik begegnet werden:
Wer profitiert, so müssen wir uns fragen, von der Marginalisierung einer
rassismuskritischen Perspektive? Sicher nicht die, die von Rassismus
betroffen sind. Gerade wer von Rassismus betroffen ist, wird immer wieder
zur Zielscheibe des Ideologievorwurfs. Zufall? Wohl kaum.
Die Ideologiekritik erinnert uns daran, dass Wissensproduktion von Macht
durchdrungen ist. Wissen ist nicht etwa harmlos oder gar objektiv und
neutral.
Rassismuskritik indes ist gerade deshalb parteiisch, weil sie nicht an die
Neutralität und Objektivität von Wissenschaft glaubt. Und
selbstverständlich sind auch die parteiisch, die Rassismuskritik lächerlich
machen. Denn sie paktieren mit den Mächtigen, sie bilden Allianzen mit
denen, die hoffen, ihre eigene Marginalisierung würde durch eine Zustimmung
mit den Mächtigen rückgängig gemacht. Nie war Rassismus- und
Ideologiekritik wichtiger.
17 Feb 2017
## AUTOREN
María do Mar Castro Varela
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