| # taz.de -- Historiker über Autos: „Maskulin, laut und anfällig“ | |
| > E-Autos sind keine neue Erfindung. Früher gab es in den USA mehr | |
| > Elektromobile als Fahrzeuge mit Benzinmotor, berichtet der | |
| > Technikhistoriker Reinhold Bauer. | |
| Bild: Der Elektroflitzer „La Jamais Contente“ (die nie Zufriedene) war mit … | |
| taz: Herr Bauer, Elektromobile haben es gerade schwer, sich gegen Benziner | |
| oder Dieselautos durchzusetzen. Seit wann ist der Verbrennungsmotor | |
| eigentlich die dominante Technik? | |
| Reinhold Bauer: Endgültig etwa seit dem Ersten Weltkrieg. Zuvor gab es | |
| insbesondere in den USA eine ausgeprägte Systemkonkurrenz zwischen | |
| Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, mit Elektromotoren und auch mit | |
| Dampfmaschinenantrieb. | |
| Wie viele Elektrofahrzeuge gab es denn im Vergleich zu Benzinern? | |
| Im Jahr 1900 wurden in den USA knapp 1.000 Benzinautomobile produziert, | |
| aber immerhin etwa 1.600 Elektro- und ebenso viele Dampfautomobile. In den | |
| folgenden Jahren verschoben sich die Produktionsstückzahlen dann schon | |
| deutlich zugunsten der Benziner, aber 1914 waren in den USA noch etwa | |
| 35.000 Elektromobile in Betrieb. | |
| Was waren das für Autos? | |
| Aus heutiger Perspektive vielleicht keine bemerkenswerten Konstruktionen, | |
| es handelte sich um Fahrzeuge mit Gleichstrommotoren, die über Bleiakkus | |
| mit Energie versorgt wurden. Die Nutzer brauchten Ladestationen, die sich | |
| in der heimischen Garage, meist jedoch in zentralen Gemeinschaftsgaragen | |
| befanden. | |
| Sie wurden privat genutzt? | |
| Auch, vor allem aber als Flottenfahrzeuge insbesondere für den | |
| Lieferverkehr. Sie mussten keine langen Strecken bewältigen, sondern | |
| bewegten sich vor allem in Großstädten. Da war die geringe Reichweite | |
| aufgrund der begrenzten Speicherkapazität der Akkus kein Problem. | |
| Aber sie mussten in der Stadt bleiben, nah an der Ladestation … | |
| Es ist bemerkenswert, dass einige Ingenieure damals schon prophezeiten, das | |
| Batterieproblem werde bald gelöst sein. Das Narrativ von | |
| Speichertechnologien, die kurz vor dem Durchbruch stünden, ist also gut | |
| hundert Jahre alt und hat schon die Phase der frühen Systemkonkurrenz | |
| begleitet. | |
| Warum haben die Elektromotoren das Wettrennen gegen die Benziner denn | |
| verloren? | |
| Zum einen hatte der Benzinmotor aufgrund der hohen Energiedichte des | |
| Kraftstoffs eben den Vorteil, dass man mit ihm auch längere Strecken | |
| zurücklegen konnte. Nicht minder entscheidend war aber das Image der Autos | |
| mit Verbrennungsmotor als „Abenteuermaschine“. Benziner galten als | |
| maskulin, sie waren laut und technisch anfällig. Wer ein Auto mit | |
| Verbrennungsmotor fuhr, konnte sich als männlich, fortschritts- und | |
| technikaffin, abenteuerlustig und natürlich auch als wohlhabend | |
| inszenieren. | |
| Ihre Unzuverlässigkeit war ein Vorteil für die Benziner? | |
| Ja, das war sie. Elektroautos waren solide, einfach zu bedienen und wurden | |
| häufig mit weiblichen Fahrerinnen beworben – ob das den Nutzungsrealitäten | |
| entsprach, ist eine andere Frage. Aber es hat sie in den Augen der meist | |
| männlichen Nutzer langweilig gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden die | |
| technischen Weiterentwicklungen allesamt im Bereich der Automobile mit | |
| Verbrennungsmotor statt, die so zur „überlegenen“ Maschine wurden. Im | |
| Zusammenspiel zwischen Autoindustrie, Ölwirtschaft, Kraftfahrzeughandwerk, | |
| Nutzern, Medien und Politik etablierte sich ein stabiles | |
| Automobil-Gesamtsystem, in das bis heute alternative Fahrzeuge nur schwer | |
| eindringen. Das E-Mobil wurde nur noch in Nischen genutzt, vor allem dort, | |
| wo Emissionen unerwünscht waren. | |
| Wie sehr hat der Erdöl-Boom nach dem Zweiten Weltkrieg den | |
| Verbrennungsmotor befeuert? | |
| Da wäre ich vorsichtig mit Kausalitätsketten. Schon vor dem Siegeszug des | |
| Autos in den USA florierte die Erdölindustrie. In der ersten Phase, Ende | |
| des 19. Jahrhunderts, wurde Petroleum in großen Mengen als Leuchtmittel | |
| verwendet. Die erste große Motorisierungswelle löste dann in der | |
| Zwischenkriegszeit einen zweiten, wesentlich ausgeprägteren Boom der | |
| Erdölindustrie aus. | |
| Wie wichtig blieb die Erzählung von der Abenteuermaschine? | |
| Diese Zuschreibung blieb wichtig, auch wenn das Automobil schließlich | |
| gezähmt wurde. Dabei übernahm der Benziner bestimmte Komfortmerkmale vom | |
| Elektroauto. Der Anlasser hielt Einzug, das heißt, der Motor musste nicht | |
| mehr kraftraubend angekurbelt werden, der Wagen bekam eine elektrische | |
| Beleuchtung. Außerdem wurde er zuverlässiger, alltagstauglicher und durch | |
| die Massenproduktion auch wesentlich preiswerter. Doch die Erzählung von | |
| der Abenteuermaschine bleibt, sie ist ja bis heute für das | |
| Automobil-Marketing ganz wichtig. | |
| Muss das Elektroauto an diese Erzählung anknüpfen, um erfolgreich zu sein? | |
| Oder reicht es, technisch aufzuholen, also wirklich die Batterie-Kosten und | |
| Reichweitenprobleme in den Griff zu bekommen? | |
| Der US-Hersteller Tesla versucht genau das, er inszeniert seine Fahrzeuge | |
| als prestigeträchtige Abenteuermaschinen, mit denen man schnell weit fahren | |
| kann. Aber was soll das eigentlich? | |
| Wieso? Ist doch ein guter Ansatz … | |
| Aber nur dann, wenn die neuen E-Autos letztlich nicht anders funktionieren | |
| sollen als unsere klassischen „Renn-Reise-Limousinen“. Diese setzen nach | |
| wie vor die Standards. Wenn die neuen Fahrzeuge sie erreichen, ist es gut – | |
| und wenn nicht, dann reicht es eben noch nicht. Wir tun so, als müsse sich | |
| an unseren Mobilitätsgewohnheiten überhaupt nichts ändern, alles bleibt, | |
| wie es ist. | |
| Die Logik des fossilen Zeitalters wird ins postfossile gerettet? | |
| Genau, das ist das Problem. Wir tauschen in unserem Mobilitätssystem ein | |
| Element aus, nämlich das Auto. Und schon sind wir in Sachen Nachhaltigkeit | |
| und Klimaschutz auf der sicheren Seite. Das funktioniert aber so nicht. Das | |
| sieht man ja schon daran, dass Elektroautos gar nicht nachhaltiger sind als | |
| Verbrennungsmodelle, wenn sie im bisherigen Strommix eingesetzt werden. | |
| Eigentlich müssten wir über Veränderungen nachdenken, die viel tiefer in | |
| den Alltag der Menschen eingreifen, in Siedlungsstrukturen, in unsere | |
| Arbeitswelt. | |
| Der Systemwettstreit um die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, ist neu | |
| entfacht. Wie kann man ihn möglichst intelligent moderieren? | |
| Indem man Entwicklungspfade offen hält. Ich fürchte, dass die politische | |
| Pfadentscheidung zugunsten des Elektroautos mit Batterieantrieb eigentlich | |
| zu früh gefallen ist. Wir wissen doch noch gar nicht, ob das wirklich die | |
| Mobilitätsmaschinen der Zukunft sein werden. Es gibt Alternativen, etwa | |
| Wasserstofffahrzeuge auf der Basis von Brennstoffzellentechnologien oder | |
| Gasfahrzeuge auf der Basis der „Power-to-Gas“-Technologie. Abgesehen davon | |
| werden wir nicht darum herumkommen, unsere Mobilitätskonzepte generell | |
| infrage zu stellen. Es wurde also eine Entscheidung zugunsten einer Technik | |
| getroffen, die nun beispielsweise durch Kaufprämien gefördert wird, ohne | |
| dass wir meines Erachtens ausreichend darüber diskutiert hätten, ob wir uns | |
| damit nicht mögliche Alternativen verbauen. | |
| 5 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Holdinghausen | |
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