# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: In der Lause wollen sie bleiben | |
> Von der Stadt hatte der Besitzer die Immobilie für 3 Millionen gekauft, | |
> nun soll sie das Sechsfache bringen. Wären da nicht die Mieter. | |
Bild: Die Mieterschaft: Linke Aktivisten. Alles, was für den Kampf gegen Verdr… | |
BERLIN taz | Es könnte auch eine etwas aufgekratzte Geburtstagsgesellschaft | |
sein, die sich an diesem sonnigen Donnerstagmorgen im Innenhof der | |
Lausitzer Straße 10 in Berlin-Kreuzberg versammelt hat. Etwa 50 Menschen | |
stehen kichernd zusammen, die meisten von ihnen halten Tulpen in der Hand, | |
rot, gelb, lila. Zwei junge Männer tragen eine zum Präsentkorb | |
umfunktionierte Weinkiste, „Made in Lause“ steht darauf, darin ein buntes | |
Gemisch aus Broschüren, Plakaten, Fotos. | |
„So Leute, wir müssen jetzt mal los“, ruft eine junge Frau mit kurzem Pony. | |
Die Gruppe formiert sich zu einem Zug, einem älteren Mann – Brille, Hut, | |
bunter Schal – geht das zu langsam: „Jetzt macht mal hinne, wir haben doch | |
’nen Termin“, ruft er, alle lachen. | |
Denn den haben die Mieterinnen und Mieter der beiden Häuser Lausitzer | |
Straße 10 und 11 – typische Berliner Altbauten, die sich über drei | |
Hinterhöfe erstrecken – eben nicht. Sie wollen ihrem Vermieter, der | |
dänischen Immobilienfirma Taekker, einen unangemeldeten Besuch abstatten, | |
mit Blumen zwar, aber auch einer deutlichen Botschaft: „Lause bleibt“ steht | |
auf den orangenen Schildern, und „Milljöh statt Millionen“. | |
Denn das Haus, in dem sie wohnen und arbeiten – die Nummer 10 ist unter | |
anderem an Gewerbe vermietet – soll verkauft werden, das haben sie durch | |
Zufall erfahren. Und wenn ein Haus in dieser Gegend verkauft wird, ist in | |
den meisten Fällen klar, was das heißt: Raus mit den alten Mietern, rein | |
mit den Eigentumswohnungen. So weit, so üblich – auch in Berlin. | |
Doch dieser Konflikt hier ist ein besonderer, und das liegt an den | |
Akteuren, die sich hier gegenüber stehen: Auf der einen Seite der | |
Immobilienkonzern Taekker, der es in den letzten Jahren geschafft hat, in | |
Berlin zu einer Art Codewort für Immobilienspekulation zu werden. Auf der | |
anderen Seite die „Lause10“: Ein Haus, in dem nicht irgendein Gewerbe | |
sitzt, sondern es nur so wimmelt von linken Aktivisten und Kollektiven. | |
Hervorragendes Geschäft | |
Das antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) hat hier | |
ebenso seine Räume wie das für seine subversiven Öffentlichkeitskampagnen | |
bekannte Peng-Kollektiv oder die VideomacherInnen von Left Vision. Dazu | |
kommen Bürogemeinschaften voll gut vernetzter linker Medienmacher, Grafiker | |
und Journalisten. Kurz: In diesem Haus ist alles versammelt, was es für | |
einen ordentlichen Protest gegen eine drohende Verdrängung braucht. | |
Weit hat es der Protestzug nicht: Die Büros von Taekker befinden sich | |
gleich um die Ecke, direkt am Paul-Lincke-Ufer am Landwehrkanal. Dort | |
angekommen, macht sich eine leichte Nervosität breit, doch alles geht | |
glatt: Die Gruppe schiebt sich durchs Treppenhaus, bis alle in dem großen, | |
weiß getünchten Büroloft stehen. „Wer ist denn hier Herr Taekker von | |
Ihnen?“, ruft eine Frau den sichtlich überraschten MitarbeiterInnen hinter | |
ihren Schreibtischen zu, von denen einige sofort ihre Handys zücken, um die | |
Menge zu filmen. Dann eilt eine Frau mit eckiger Brille und Kurzhaarschnitt | |
auf die BesucherInnen zu: Lene Mortensen, Geschäftsleiterin von Taekker. | |
Jorn Taekker, Gründer und Eigentümer der Firma, sei leider nicht in Berlin, | |
sie helfe aber gerne weiter. | |
Durch einen zufälliges mitgehörtes Gespräch zwischen einem Makler und einem | |
Interessenten hatten die MieterInnen im Dezember von den Verkaufsabsichten | |
Taekkers erfahren, um die „Sexyness“ der Lage hier sei es darin gegangen, | |
erzählt Jan-Ole Arps am Vortag der Aktion in seinem Büro im zweiten Stock | |
der Nummer 10, dass er sich mit zwei anderen teilt. Stehlampen und | |
Topfpflanzen stehen zwischen den Schreibtischen, durch die großen Fenster | |
fällt Licht auf den Holzfußboden. | |
Arps ist Redakteur der linken Monatszeitschrift Analyse & Kritik, früher | |
hat er von zu Hause gearbeitet, „aber das ist ein ganz anderes, viel | |
tristeres Arbeiten als an einem Ort wie hier“. Bei dem in Hamburg | |
ansässigen Maklerbüro Engel&Völkers, mit dem Taekker zusammenarbeitet, | |
haben die MieterInnen dann das Exposé für ihr Haus entdeckt: 18 Millionen | |
Euro soll die mit Gewerbe gefüllte ehemalige Glasfabrik kosten, dazu fast | |
anderthalb Millionen für das unsanierte Mietshaus nebenan. | |
Ein hervorragendes Geschäft für Taekker: Vor zehn Jahren erwarb die Firma | |
die einst bezirkseigenen Häuser vom landeseigenen Liegenschaftsfonds für | |
etwa drei Millionen Euro. Auch das eine typische Berliner Geschichte: Um | |
Geld in die chronisch klammen Kassen zu spülen, verkaufte das Land Berlin | |
jahrelang seine Liegenschaften teils zu Schleuderpreisen – eine günstige | |
Gelegenheit für private Investoren, die mit den in den letzten Jahren | |
rasant an Wert gewonnenen Immobilien nun große Gewinne einstreichen können. | |
Existenzielle Bedrohung | |
Dass der 1997 gegründete Konzern aus Aarhus in diesem Spiel eine besondere | |
Prominenz erlangt hat, liegt vor allem an seiner Geschäftsstrategie: Mitte | |
der Nullerjahre begannen die Dänen, ihr Berliner Portfolio | |
zusammenzustellen, bevorzugt bestückt mit damals noch recht günstigen | |
Berliner Gründerzeitbauten in Mitte, Prenzlauer Berg und vor allem | |
Friedrichshain-Kreuzberg. Ab 2010 etwa verkaufte die Firma viele ihrer neu | |
erworbenen Häuser weiter – weil Taekker im Zuge der Finanzkrise viel | |
Kapital verloren hatte, brauchte er dringend neues Geld, und das lässt sich | |
auf dem Berliner Immobilienmarkt seit einigen Jahren hervorragend machen. | |
Schon für MieterInnen von Wohnungen ist es eine schlechte Nachricht, wenn | |
ihr Haus verkauft wird. Für Menschen mit Gewerbemietverträgen aber ist es | |
noch bedrohlicher, weil sich diese viel einfacher kündigen lassen und meist | |
ohnehin befristet sind. „Unsere Verträge hier laufen alle bis Ende des | |
Jahres aus, rechtlich gesehen haben wir da keine Handhabe“, sagt Arps. | |
Gleichzeitig ist klar: Büroräume in dieser Größe und zu bezahlbaren Preisen | |
gibt es in der Innenstadt nicht mehr. „Wenn wir hier raus müssten, würden | |
wir in alle Winde zerstreut, mit der gewachsenen Gemeinschaft wäre dann | |
Schluss“, sagt Constanze, die ihren Schreibtisch zwei Stockwerke höher in | |
der Bürogemeinschaft Metrogap stehen hat. Für alle hier sei das ein | |
Problem, für einige der zum Teil jahrzehntealten, fest in der Kreuzberger | |
Alternativkultur verwurzelten Projekte aber auch existenziell. | |
Lene Mortensen versucht es derweil diplomatisch: Man habe ja Verständnis | |
für die Situation der MieterInnen, und noch sei ja auch nichts entschieden. | |
Doch dafür erntet sie Gelächter: „We love this house“, habe Jorn Taekker | |
persönlich versichert und dass es keine Verkaufsabsichten gäbe. „Warum | |
sollen wir Ihnen denn jetzt noch glauben?“, ruft einer. | |
Die Forderung der BesucherInnen ist einfach: „Wir wollen einen Termin mit | |
Herrn Taekker, um zu besprechen, wie wir eine langfristige Perspektive für | |
uns schaffen können“, sagt Lisa, die junge Frau mit dem Pony. Bis dahin | |
suchen sie nach Lösungen, die sie dem Eigentümer anbieten wollen. | |
Beispielsweise hatten sie vor zwei Jahren schon einmal überlegten, das Haus | |
mit Hilfe einer Stiftung selbst zu kaufen, erzählt einer. | |
Zurück bleiben Tulpen und ein Konflikt | |
Nach einigen Telefonaten mit Taekker willigt Mortensen schließlich ein. | |
Dass die Besichtigungen bis zu dem Termin ausgesetzt werden, wie es die | |
Gruppe ebenfalls fordert, will sie aber nicht zusichern: „Herr Taekker hat | |
das Recht, sein Eigentum zu betreten.“ Die Stimmung bleibt angespannt, | |
trotz Blumen und Präsentkorb. | |
Fürs Erste geben sich die BesucherInnen schließlich doch damit zufrieden | |
und ziehen ab. Dass sich in dem Gespräch mit Taekker eine schnelle Lösung | |
abzeichnen wird, ist angesichts der sich hier diametral gegenüberstehenden | |
Interessen nicht besonders realistisch. Dass die Lause10 zu einem neuen | |
Symbol im Antigentrifizierungskampf in Berlin wird, hingegen umso mehr. Gut | |
möglich, dass Taekker bald noch mit größeren Problemen zu kämpfen hat als | |
den herumliegenden Tulpen, die einer Mitarbeiterin eilig einsammelt, sobald | |
die BesucherInnen im Treppenhaus sind. | |
28 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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