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# taz.de -- Gentrifizierung in München: 34 Quadratmeter, 782 Euro kalt
> Selbst für Normalverdiener wird das Wohnen in München zu teuer. Ein
> Spaziergang durch das alte Arbeiterviertel Untergiesing.
Bild: Hier laufen Verdrängungsprozesse: Hans-Mielich-Platz in München-Untergi…
München taz | Der Satz klingt falsch, den Münchens Oberbürgermeister Dieter
Reiter (SPD) kürzlich zur Eröffnung einer Ausstellung über Wohnmodelle in
der Bayern-Metropole sagte: „München muss bezahlbar bleiben.“ Denn
eigentlich hätte der OB das Wort „bleiben“ durch „werden“ ersetzen mü…
Der Wahnsinn bei den Preisen für Mieten und Immobilien in München ist seit
Langem bekannt, seit einem Vierteljahrhundert, wie die
Geografie-Professorin Ilse Helbrecht von der Berliner Humboldt-Universität
meint. „Anfang der 1990er Jahre wurde München bewusst, dass Wachstum und
steigendes Einkommen nicht nur schön sind, sondern auch Probleme mit sich
bringen“, sagt die Städteforscherin.
Bei Mieten und Immobilienpreisen ist München die mit Abstand teuerste
Großstadt in Deutschland. Laut städtischen Angaben lag der
Durchschnittspreis im Jahr 2015 beim Erstbezug einer Wohnung bei 16,60 Euro
pro Quadratmeter. Käufer mussten im Schnitt 6.300 Euro für den Quadratmeter
bezahlen. Die Preise knallen durch alle Decken. Und das führt zu einem
Prozess, der mit dem sperrigen Wort „Gentrifizierung“ bezeichnet wird:
Immer wohlhabendere und zahlungskräftigere Schichten verdrängen die
bisherige Bevölkerung.
Wie verläuft Gentrifizierung? In München lässt sich das in Untergiesing gut
anschauen, bei einem Spaziergang mit Maximilian Heisler durch das Viertel.
Der 29-Jährige steht dem „Bündnis bezahlbares Wohnen“ vor, einem
Zusammenschluss aus 29 Mietergemeinschaften und Stadtteilvereinen. Heisler
selbst hat immer in Untergiesing gelebt, das Quartier galt als schmuckloses
Arbeiterviertel.
„Hier war früher eine Kneipe, die ‚Burg Pilgersheim‘“, sagt er und zei…
auf das Haus Pilgersheimer Straße 60. „Das war für viele ihr zweites
Wohnzimmer.“ Das Gründerzeithaus wurde verkauft, die Kneipe konnte sich
nicht halten, der neue Eigentümer wollte ein „helles, schickes Tagescafé“,
wie Heisler sagt. Die Wohnungen in dem viergeschossigen Haus wurden
modernisiert, die Mieten stiegen. Oben kamen drei Eigentumswohnungen hinzu
– 115 Quadratmeter wurden für 583.000 Euro angeboten. „Und das in
Untergiesing“, meint Heisler und langt sich an den Kopf.
## Leberkäs noch immer für 1,20
Das Viertel ist weiterhin geprägt durch Altbauten und gesichtslose
Wohnkästen aus den 1950er Jahren. Hier gibt es immerhin noch das
„Bierstüberl bei Ingrid“, einen Münzwaschsalon, und die Leberkässemmel
kostet unglaubliche 1,20 Euro. Und doch kann Maximilian Heisler, der
Ethnologie studiert und bei einem Arzt am Empfang arbeitet, in jeder Straße
zeigen, wie sich Untergiesing verändert.
Da sind etwa drei gleiche Häuser in der Arminiusstraße: Zwei sind noch
nicht modernisiert, eines schon. Es ist gedämmt und hat einen neuen
Außenaufzug. „Das bedeutete 60 Prozent Mietsteigerung“, sagt Heisler, 250
Euro mehr im Monat. „Hier wohnen viele Rentner“, sagt er. „So etwas wirft
die Menschen aus den Wohnungen raus.“
Der Wohnungsmarkt ist völlig aus den Fugen geraten. Kaum zu überblicken ist
die Vielzahl an Modellen und Förderungen, mit denen die Stadt versucht,
dagegenzusteuern. Es gibt geförderten Wohnbau, Genossenschaften, das
„München-Modell“, mit dem sich Bürger günstiger Eigentum kaufen können.…
wird aufgestockt und verdichtet, Brachflächen werden genutzt. In dieser
Woche wurde eine Wohnanlage auf Stelzen eröffnet, sie ist über einem
Schwimmbad-Parkplatz gebaut.
## Zu wenig Wohnbau im Umland
Wie konnte es nur so weit kommen? München, das seit der Nachkriegszeit fast
ausschließlich von SPD-Oberbürgermeistern regiert wurde, hat sich
angestrengt, meint die Professorin Helbrecht. „Die Stadt hat
gegengesteuert“, sagt sie, etwa „mit einer sozial gerechten Bodenordnung
und der Schaffung von sozialem Wohnraum.“ Die Münchner Krise sei eine
„Wachstumskrise“, hervorgerufen durch den beständigen Wirtschaftsboom. Man
sei auf die Zusammenarbeit mit dem Umland angewiesen, diese erweist sich
aber als schwierig. Die Nachbargemeinden wollen nicht wachsen, auf freien
Flächen errichten sie lieber Gewerbegebiete wegen der Steuereinnahmen.
Maximilian Heisler hat da weniger Verständnis. „Die Stadt hat über
Jahrzehnte geschlafen“, klagt er an. Es bestehe ein „SPD-Sumpf“, weiterhin
werde „viel zu wenig gemacht“. Die Stadt müsste an Boden „alles kaufen, …
da ist“ und notfalls auch private Interessenten überbieten. Das sieht Ilse
Helbrecht ähnlich: Dem Markt müssen durch die öffentliche Hand
„systematisch innerstädtische Flächen entzogen werden“.
Eine düstere Zukunft prophezeit Heisler: „Die Stadtgesellschaft ist am
Kippen.“ Viertel wie Schwabing, Maxvorstadt oder Haidhausen gelten schon
als komplett gentrifiziert. Es entstehen neue Wohnkomplexe nur für
Superreiche. In Haidhausen verzeichnet eine Immobilien-Suchmaschine als
derzeit günstigstes Angebot eine Einzimmerwohnung, 34 Quadratmeter, für 782
Euro kalt. Heisler befürchtet irgendwann „sozialen Aufruhr, gewaltsame
Proteste“. Denn: „Wo sollen die Verkäufer, Polizisten, Erzieher oder
Rentner denn hin?“
22 Jan 2017
## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
Gentrifizierung
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