# taz.de -- Abriss eines historischen Hauses: In zehn Minuten war alles weg | |
> Ein denkmalgeschütztes Haus im Münchner Stadtteil Giesing wird | |
> handstreichartig abgerissen. Die Anwohner trauern darum. | |
Bild: Schutt und Asche: Trümmer des Uhrmacherhäusls in der Oberen Grasstraße… | |
MÜNCHEN taz | Zoltan Meszaros kommt mit seinem Rennrad zu dem Grundstück | |
mit dem Bauzaun davor. „Polizeiabsperrung“ steht vielfach auf der | |
weiß-roten Folie. Diese soll hier, an der Oberen Grasstraße 1 in | |
München-Giesing, nur noch die Trümmer dessen schützen, was am vergangenen | |
Freitag nicht geschützt wurde. | |
Meszaros, ein Nachbar, sagt immer wieder: „Unfassbar“, und: „Das tut weh!… | |
Auf dem Grundstück liegen die Überreste des Uhrmacherhäusls, wie das | |
Gebäude genannt wurde. Denn in dem unter Denkmalschutz stehenden Haus lebte | |
und arbeitete ein Uhrmacher, bis er starb. Das war so vor zwei Jahren, | |
meinen die Leute, die sich jetzt immer wieder davor treffen. So genau weiß | |
es aber keiner mehr. | |
Meszaros ist Fahrradmechaniker von Beruf, gleich um die Ecke hat er seine | |
Werkstatt. Er trägt seinen Namen in eine Liste ein, in der Äußerungen des | |
Protests und der Erschütterung gesammelt werden. Auf einem Trauerplakat mit | |
grauem Rahmen ist von Hand ein Kreuz gemalt. „Obere Grasstr. 1“, steht | |
darauf. „Durch gewissenlose Grundstücksspekulanten zu Tode gekommenes | |
unwiederbringlich zerstörtes Stück Obergiesinger Heimat!“ Meszaros sagt: | |
„Bei mir zu Hause, in Ungarn, sind alte Häuser und Denkmäler heilig. So | |
etwas wäre dort völlig unvorstellbar.“ | |
Nicht vorstellbar war das auch bis vor einer Woche in Giesing, nicht in | |
Bayern und nicht in Deutschland. „Am Donnerstagnachmittag kamen Leute mit | |
einem Bagger und rissen ein Loch ins Dach“, erzählt die Anwohnerin Monika | |
Maier, die alles miterlebt hat. Die Arbeiter sagten, sie kämen vom Bauherrn | |
des Hauses, der Münchner CSH Baubetreuung. Sofort riefen die Nachbarn die | |
Polizei, die Weiteres verhindern konnte. Dass man auf dem Grund des | |
sanierungsbedürftigen Hauses in München mit seinen explodierenden Preisen | |
etwas viel Lukrativeres hinstellen könnte, war schon lange klar, | |
Spekulationen darüber gab es immer wieder. | |
Die Münchner Lokalbaukommission, eine städtische Behörde, verbot der CSH | |
sofort jede weitere Beschädigung des Hauses. Es muss in seinem bestehenden | |
Zustand bleiben. „Die Gesellschaft, wir alle haben einen Anspruch auf den | |
Erhalt von Denkmälern“, sagt Thomas Rehn von der Münchner | |
Lokalbaukommission, der zuständigen städtischen Behörde. Der ursprüngliche | |
Bauantrag für das Haus lautete auf Erhalt und Sanierung. | |
## Teil der historischen Feldmüllersiedlung | |
Was folgte, wäre in einem Actionfilm ziemlich unglaubwürdig: Nur einen Tag | |
später, am Freitag gegen 16 Uhr, kamen wieder zwei Männer mit einem Bagger. | |
Es ging sehr schnell, so die herbeieilende Nachbarin Monika Maier. | |
Innerhalb von zehn Minuten rissen die Männer das Haus ein und machten es | |
platt. Dachziegel, Holzbalken, Mauerwerk. Ein Großteil davon landete auf | |
der schmalen Straße. „So schnell konnte die Polizei gar nicht da sein“, | |
sagt Maier. | |
Als das Haus Obere Grasstraße 1 zerstört war, liefen die Männer davon. | |
Einer nach Norden in die Gietlstraße, der zweite in die andere Richtung zur | |
Kiesstraße. Den gelben Caterpillar-Bagger ließen sie stehen. Am Montag | |
holte ihn die Firma ab, die ihn ausgeliehen hatte. | |
Das Haus war Teil der historischen Feldmüllersiedlung, erbaut zwischen 1840 | |
und 1845. Es sind ein- bis zweigeschossige „Kleinhäuser“, wie das | |
Bayerische Landesamt für Denkmalpflege schreibt, die das Viertel weiterhin | |
prägen. Arbeiter und Handwerker wohnten darin, als Giesing noch ein Dorf | |
vor den Toren der Stadt München war. Die Siedlung steht als Ganzes unter | |
Ensembleschutz. Damals galt sie als modern und fortschrittlich, so die | |
Denkmalpfleger, weil die Häuser häufig etwa Tagelöhnern den sozialen | |
Aufstieg und den Besitz von „Kleineigentum“ ermöglichten. | |
Es gibt einige ähnliche Siedlungen in München. Und immer wieder stellen | |
sich dabei Fragen wie: Was soll erhalten werden? Was ist schon so | |
verändert, dass es nicht mehr den Charakter eines Denkmals hat? Eine | |
explosive Konstellation, ist München doch, was Mieten und Immobilienpreise | |
angeht, die bundesweit mit Abstand teuerste Stadt. | |
Die Gentrifizierung schreitet voran, auch in Giesing. Mathias Pfeil, Leiter | |
des Landesamts für Denkmalpflege, sagte es in einem Interview so: „Der | |
Verwertungsdruck auf den Immobilienbestand ist enorm hoch.“ Die Stadt, die | |
öffentliche Hand und damit auch das Gemeinwohl haben dabei meist das | |
Nachsehen, gehört ihnen doch nur ein bescheidener Teil des Grundes. | |
## Tiefer Stich ins Herz vieler Münchner | |
Ein Bauträger reißt gegen alle Gesetze und Vorgaben das ihm unliebsame alte | |
Haus in der historischen Siedlung ab. Zehn Minuten, zwei Männer und ein | |
Bagger. Und niemand konnte das verhindern. Für viele Münchner ist das wie | |
ein tiefer Stich ins Herz, etwas so noch nie Geschehenes. Die Preise fürs | |
Wohnen treiben immer mehr Bürger in die Existenznot und zum Wegzug, während | |
sich die Immobilienwirtschaft eine goldene Nase verdient. Im Internet wird | |
die CSH Baubetreuung nun beschimpft: „Denkmalzerstörer“, „Schurkenverein… | |
„Mafia“, heißt es da. | |
Das Unternehmen ist in diesen Tagen komplett abgetaucht. Am Montag war die | |
Homepage noch erreichbar, am Dienstag wurde sie vom Netz genommen. Am | |
Telefon läuft der Anrufbeantworter: „Zurzeit ist niemand erreichbar.“ | |
Einzig die Boulevardzeitung tz zitiert eine Mitarbeiterin, die dem Blatt | |
gesagt hat, der Abriss sei ein „Unfall“ gewesen. Der Bauträger ist aber | |
nur das ausführende Unternehmen. Nach dem Tod des Uhrmachers wurde das Haus | |
von einem Privatmann aus der Region München gekauft. Für einen Preis von | |
800.000 Euro, so heißt es. | |
Wo bleibt die Strafe? „Wir prüfen derzeit alle Möglichkeiten“, sagt Thomas | |
Rehn von der Lokalbaukommission. „Das ist ein außergewöhnlicher, in seiner | |
Dimension weitreichender Fall.“ Nun müsse man alles daransetzen, „dass sich | |
so etwas nicht lohnt“. Die Strafe müsse vor allem in einer wirtschaftlichen | |
Belastung liegen. Anwohnerin Monika Maier ist skeptisch: „Ein Strafgeld | |
zahlt der doch aus der Portokasse.“ | |
## Enteignung denkbare Möglichkeit | |
Fünf Tage nach dem Abriss ist man bisher so weit: Die Polizei hat Anzeige | |
erstattet wegen der Zerstörung des Denkmals. Nach dem Denkmalschutzgesetz, | |
so Thomas Rehn, ist als Höchstsatz ein Bußgeld von 250.000 Euro möglich, | |
nach der bayerischen Bauordnung sind es zusätzlich 500.000 Euro. | |
Eine viel empfindlichere Strafe wäre allerdings eine Auflage, die das | |
Landesamt für Denkmalpflege fordert und die es in Bayern noch nie gegeben | |
hat: Das Haus muss original wieder so aufgebaut werden, wie es war. Damit | |
wäre es nichts mit der goldenen Nase. Die Grünen-Stadträtin Gülseren | |
Demirel hat noch drastischere Vorstellungen. „Für einen Fall wie die Obere | |
Grasstraße könnte auch Enteignung eine gerechte Strafe sein“, sagt sie. In | |
der Stadtverwaltung wird dies nicht offen kommentiert, gilt aber trotz | |
hoher Hürden als durchaus denkbare Möglichkeit. | |
Vor der Lücke herrscht ständig Betrieb. Eine junge Frau kommt schnell, | |
schaut auf die Trümmer. Sie beginnt zu weinen und geht stumm. Sonnenblumen | |
sind aufgestellt und Trauerblumen und Kerzen. Der CSH wird „kriminelle | |
Energie“ vorgeworfen. Die Kommentare der Menschen ähneln sich: O Gott, | |
brutal, Skandal. In den Gesichtern steht vor allem eines: Wohin mit der | |
Wut? | |
7 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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