# taz.de -- Stadtplaner Friedrich über Bremerhavens Zukunft: „Das Armutsetik… | |
> Bremerhaven setzt bei der Rettung seines verwahrlosten Altbauviertels auf | |
> den Faktor Mensch. Nur so kann die Stadt eine neue Anziehungskraft | |
> entwickeln, sagt Norbert Friedrich. | |
Bild: „Plattmachen ist keine Alternative“: Für Stadtplaner Norbert Friedri… | |
taz: Herr Friedrich, Sie sind jetzt nicht mehr Bremerhavens oberster | |
Stadtplaner, sondern pensioniert. Ziehen Sie weg? | |
Norbert Friedrich: Das habe ich nicht vor. Ich komme zwar gebürtig aus | |
Essen, bin aber in Bremerhaven verwurzelt. Wenn man 35 Jahre in einer Stadt | |
als Stadtplaner tätig ist, hat man einfach viele Projekte bewegt und | |
Menschen kennengelernt. | |
In welchen Zustand haben Sie, als Sie 1981 herkamen, das heute immer wieder | |
als verwahrlostes Problemviertel zitierte Lehe vorgefunden? | |
Viele Fassaden waren grau, der Straßenraum trist. Es gab viel | |
Handlungsbedarf. Damals stand die Sanierung am Anfang, es ging um die | |
Verbesserung des Wohnumfelds und es gab erste Projekte: Straßen- und | |
Platzumbauten und Kinderspielplätze. | |
Standen damals auch schon so viele Häuser leer und verwahrlosten? | |
Nein, das Leerstandsproblem ging erst Mitte der 90er los – mit den massiven | |
Wegzügen, die mit der Werftenkrise, dem Abzug der Amerikaner und der | |
Fischereikrise zusammenhingen. Zwischen 1995 und 2005 war die schwierigste | |
Zeit, da haben jährlich bis zu 2.000 Menschen die Stadt verlassen. | |
Und wer ist in Lehe geblieben? | |
Leute, die hier Eigentum haben. Ein Teil hat natürlich auch verkauft und | |
ist weggezogen. Aber irgendwann gab es keine vernünftigen Preise mehr für | |
Immobilien. Wenn sie eine Eigentumswohnung für 200.000 Mark gekauft haben, | |
dann gab es wegen des enormen Preisverfalls im Jahr 2000 nur noch einen | |
Teil davon. Deshalb sind viele Eigentümer geblieben, was für das Quartier | |
auch gut ist. Dann sind viele Leute in die Arbeitslosigkeit gefallen – und | |
es kamen häuserweise Menschen mit Problemen, Arbeitslose und | |
Drogenabhängige. Das ist eine der größten Schwierigkeiten, dass ganze | |
Häuser sozusagen umgekippt sind und der bürgerliche Teil, der auf | |
Sauberkeit und Wohnruhe achtete, ausgezogen ist. | |
Von außen ist es schwer nachzuvollziehen, wie ein Altbauviertel für viele | |
so unattraktiv sein kann, obwohl das doch in direkter Nähe zur Innenstadt | |
und zum Hafen der urbanste Teil der Stadt ist. | |
Der Bereich um das Goethe-Quartier in Lehe hat ein schlechtes Image. Aber | |
es gibt auch hier Menschen, die lieber bunt wohnen in einer Vielfalt als in | |
einer Langeweile. Dazu gehöre ich auch. | |
Hat man in einem Haushaltsnotlageland wie Bremen überhaupt Möglichkeiten, | |
etwas gegen den Niedergang zu tun? | |
Nur mithilfe von Förderprogrammen. Wir hatten einfach Glück, dass Anfang | |
der 2000er das Programm „Stadtumbau West“ aufgelegt wurde, das sich | |
speziell diesen Problemen widmet. Denn Bremerhaven steht mit seinen | |
Strukturproblemen ja nicht alleine da. Es gibt ja noch Völklingen, | |
Pirmasens und die Ruhrgebietsstädte. Mit diesem Zuschuss kann man | |
Modernisierungen finanzieren oder auch Straßen fertig machen, Spielplätze | |
und Kindergärten bauen. Ohne diese Unterstützung wäre es nicht möglich | |
gewesen, so stark gegenzusteuern. | |
Was ist dabei konkret rumgekommen? | |
In den letzten zehn Jahren etwa 50 Impulsprojekte in verschiedenen | |
Stadtteilen, mit denen wir versucht haben, die Defizite anzugehen und neue | |
Perspektiven zu ermöglichen. In Geestemünde haben wir etwa ein | |
italienisches Eiscafé im alten Wasserturm und verschiedene Plätze gemacht | |
und in Lehe haben wir die Suchthilfe verlagert, die vorher mitten im | |
Quartier war. Wir haben Häuser angekauft und rund ein Dutzend | |
Schrottimmobilien abgerissen, die nicht mehr zu halten waren. Wir haben | |
mithilfe der Wohnungsunternehmen Gewoba und Stäwog aber auch neu gebaut, | |
private Investoren und die Kunstszene unterstützt. Mit dem Programm | |
Stadtumbau West kann man auch Zwischennutzung finanzieren. | |
Was genau wollen Sie damit bezwecken? | |
Wir wollen das größte Altbauviertel Bremerhavens erhalten. Wichtig ist, | |
dass wir von diesem Armutsetikett wegkommen und wieder Richtung soziale | |
Mischung gehen – mit Studenten, Intellektuellen und Künstlern. Nicht wie in | |
Hamburg Richtung Gentrifizierung, denn wir wollen keinen massiven Eingriff, | |
das geht hier so auch gar nicht. | |
Warum glauben Sie, dass das nicht geht? | |
Gentrifizierung geht nur in Städten, die wirtschaftlich stark sind und wo | |
der Druck auf den Wohnungsmarkt groß ist. In Berlin, Hamburg und München | |
gehen die Makler durch die Altbauviertel und überlegen sich, was sie alles | |
fertig machen, weil sie wissen, dass sie mindestens zehn Euro pro | |
Quadratmeter dafür bekommen. Hier in Lehe liegt der normale Mietpreis bei | |
intaktem Wohnraum bei vier bis fünf Euro. | |
Und der niedrige Preis macht das Wohnen nicht attraktiv? | |
Dass die Leute hier hindrängen, ist nicht der Fall. Deshalb müssen wir neu | |
bauen und Wohnprojekte machen, wo Leute zusammenkommen, die sich kennen und | |
sich auch um das Quartier kümmern. Es ist gut, auch mal für Leute zu | |
modernisieren, die sechs oder sieben Euro pro Quadratmeter bezahlen können. | |
Kann man mit kleinen Projekten denn wirklich so viel ausrichten – bewegt | |
man sich nicht eher auf der Ebene von Provisorien, weil das große Geld eben | |
nur in Wirtschaftsprojekte wie den Offshore-Terminal fließt? | |
Das sind ja unterschiedliche Kassen. Der Offshore-Terminal soll ja aus | |
Bremer Landesvermögen finanziert werden. Woher die das haben, weiß ich | |
nicht. Die Projekte hier werden aus städtischen Geldern und | |
Bundeszuschüssen finanziert. Es gibt keine richtige Alternative zu dieser | |
Strategie. Eine flächendeckende Modernisierung wie in den 80er-Jahren ist | |
unbezahlbar. Damals hat man zweistellige Millionenbeträge in die Hand | |
genommen und damit ganze Straßenzüge modernisiert. Das geht faktisch heute | |
nicht mehr. Aber es reicht auch manchmal in einem Gebiet in dem es hundert | |
Häuser gibt, zehn anzupacken. Wenn da Gerüste stehen, schließen sich die | |
Nachbarn an. Wir haben jetzt zum Beispiel einen Investor aus Berlin, der | |
über Lehe gelesen hat und nun vier Häuser gekauft hat und modernisieren | |
will. | |
Ein Pionier! | |
Ja, das ist ein mutiger Mensch. Aber da er schon seit 20 Jahren solche | |
Projekte macht, ist er auch einer, der weiß, was er tut. | |
Will der mit den Häusern in Bremerhaven Geld verdienen? | |
Er ist ein Liebhaber von Altbau, verdient natürlich auch sein Einkommen | |
damit. Ich habe ihn kennengelernt, er ist ein ganz ungewöhnlicher Mensch: | |
Er liebt die Schwere der Aufgabe. | |
Sie meinen, er sucht die Herausforderung? | |
Er hat auch ein ganz besonders schwieriges Gebäude gekauft, bei dem | |
Bremerhaven schon verschiedene Maßnahmen eingeleitet hat. Der Investor aus | |
Berlin hat es in Abstimmung mit der Stadt gekauft und er wird dafür wohl | |
auch öffentliche Mittel beantragen. | |
Mit wie viel Geld greift Bremerhaven Investoren unter die Arme? | |
Es gibt einen festen Zuschuss, der anhand der Wirtschaftlichkeitsberechnung | |
festgelegt wird. Man muss also genau sagen, was gemacht werden soll, was | |
das kostet und auf welchem Mietniveau die Wohnungen später angeboten | |
werden. Das daraus entstehende Defizit wird von der Stadt übernommen. Das | |
geht mit den Mitteln des Förderprogramms Stadtumbau West. | |
Wie hoch ist die Summe pro Immobilie? | |
In einem Fall in der Schleusenstraße unweit der Ausgehmeile „Alte Bürger“ | |
lagen die Zuschüsse bei einer halben Million Euro. So viel gibt es aber | |
nur, wenn es sich um ein für das Stadtbild wichtiges Gebäude handelt. In | |
einem für die Stadt recht günstigen Fall in Geestemünde lagen sie bei | |
250.000 Euro. | |
Wie stehen Sie zu den Plänen, in Bremerhaven ein neues Offshore-Terminal zu | |
bauen – hängt daran die Zukunft der Stadt? | |
Da habe ich als Stadtplaner mitgewirkt und einen Flächennutzungsplan und | |
Bebauungspläne gemacht. Natürlich ist es auch im industriellen Bereich | |
notwendig, über Veränderungen nachzudenken – Cuxhaven macht das und viele | |
andere Nordseestädte auch. Bremerhaven ist im Kern eine industrielle Stadt. | |
Für uns stellt sich nur die Frage, ob dieser eindeutige Schwerpunkt der | |
Wirtschaftsförderung auf großindustrielle Entwicklungen richtig ist. | |
Was glauben Sie? | |
Ich bin der Auffassung, dass man sich da in Bremerhaven etwas breiter | |
aufstellen sollte. Die Vergangenheit der Stadt ist ja geprägt durch | |
industrielle Krisen: Die Schiffbauindustrie ist größtenteils | |
kaputtgegangen. Die Fischereiindustrie musste sich modernisieren und ist | |
jetzt eine moderne Lebensmittelindustrie. Aus der Vergangenheit sollte man | |
die Lehre ziehen, die Stadt auf mehreren Standbeinen zu errichten. | |
Welche könnten das sein? | |
Mit dem Ausbau des Tourismus ist das immerhin zum Teil geschehen. Aber | |
grundsätzlich hat das an der Polarisierung nicht viel verändert. Das sehen | |
Sie auch, wenn Sie hier herkommen: Wir haben eine schöne Schauseite in der | |
Innenstadt, im Hafen gibt es den riesigen Ausbau des Containerterminals und | |
im Fischereihafen hat sich eine Menge getan. Aber das Rückgrat Bremerhavens | |
sind die vielen Wohn- und Geschäftsgebiete und die eigentliche Aufgabe ist | |
es, das weiter zu entwickeln. | |
Ein Beispiel? | |
Rainer Donsbach von der Nordsee-Zeitung hat gesagt, die Zukunft | |
Bremerhavens wird in Lehe entschieden. Mit dieser These hat er sehr viel | |
Aufsehen erregt. Für mich ist das der richtige Ansatz. Erst wenn wir für | |
die Stadt eine stabile wirtschaftliche Basis in der Breite entwickeln, hat | |
sie eine Chance für eine nachhaltige Gesundung. Solange wir einseitig | |
vorgehen, bleibt unsere wirtschaftliche Zukunft mit Schwierigkeiten | |
verbunden. Das sieht man ja auch jetzt bei der Windkraftindustrie. Nach den | |
Einschnitten bei den staatlichen Zuschüssen hat sich die | |
Zukunftsperspektiven verändert. Firmen, die Tausende Mitarbeiter | |
eingestellt hatten, haben wieder ganz erheblich Stellen abgebaut und sind | |
zum Teil in die Insolvenz gegangen. | |
Durch die einseitige Abhängigkeit wird die Stadt krisenanfällig? | |
Man ist ja immer nur Erfüllungsgehilfe. Da bestellt jemand aus Frankreich | |
oder China und wenn nicht, gibt es eine Krise. Die Alternative ist, weitere | |
zukunftsfähige Standbeine zu entwickeln. | |
Was könnten weitere Standbeine sein? | |
Man sollte in den Quartieren das kreative Potenzial fördern und Leute | |
anziehen, die neue Ideen entwickeln – für neue Produkte, für neue Verfahren | |
oder Erleichterungen des Lebens. Daraus könnten neue Aktivitäten entstehen. | |
Viele Städte haben es geschafft sich über den IT-Sektor zu entwickeln. | |
Also weniger Detroit und mehr Silicon Valley? | |
Ja, so in die Richtung. Eine Stadt wie Bremerhaven bietet da auch Chancen. | |
Wenn sie hier als Designer anfangen, zahlen sie vier, fünf Euro pro | |
Quadratmeter für das Büro mit benachbarter Wohnung – und nicht wie in | |
Hamburg zwölf, 14 oder 16 Euro. Die gewerblichen Objekte sind da ja noch | |
teurer als der Wohnraum. Meine Vorstellung ist, dass man, ähnlich wie in | |
Sachsen, Existenzgründungen im kreativen Bereich sehr massiv fördert. Dann | |
hätte der Stadtteil Lehe auch eine Chance, eine ganz neue Anziehungskraft | |
zu entwickeln. Natürlich brauchen wir auch die klassische Existenzgründung. | |
Der Investor aus Berlin hat gesagt, im Viertel braucht es einen Bäcker und | |
kleine Läden. Früher gab es hier an jeder Ecke kleine Läden, die das | |
Viertel belebt haben. Das wünsche ich mir auch von der | |
Wirtschaftsförderung. | |
Warum ist gerade Lehe so wichtig? | |
Weil es zu Lehe keine Alternative gibt. Das Plattmachen ganzer Blöcke ist | |
ja mal in den 70er-Jahren diskutiert worden. Aber man würde damit die | |
gesamte historische Qualität und das Stadtbild opfern. Damit würde | |
Bremerhaven ein ganz wichtiges Attribut verlieren. | |
Viele Leute pendeln zum Arbeiten von Bremen nach Bremerhaven, weil sie das | |
bürgerlichere Umfeld dort vorziehen. Als Stadtplaner spekulieren Sie ja | |
auch darauf, dass sich die Leute hier niederlassen. | |
In der Windkraftbranche gibt es auch wissenschaftliche Mitarbeiter, die zum | |
Teil in Bremerhaven wohnen. Die meisten aber nicht. So ist es auch im | |
Tourismus. Die Leute könnten vermehrt in Bremerhaven wohnen. Auf diese | |
Leute zielen bestimmte Neubauprojekte, aber auch Modernisierungen. Es gibt | |
aber auch Studenten der Hochschule und Leute aus dem Landkreis oder vom | |
Stadtrand, die wieder in den Kern der Stadt zurückziehen wollen. Ich finde | |
es richtig, die Leute zu uns holen, die die urbane Stadt schätzen. | |
Was macht die Stadt, um diese Leute anzuziehen? | |
Wenn ein Lehrer aus Bremen nach Bremerhaven kommen soll und sich hier in | |
Lehe eine Wohnung anschaut, ist das oft mit schlechten Erkenntnissen | |
verbunden. Viele Häuser sind in einem miserablen Zustand. Doch je mehr wir | |
modernisieren, desto größere Chancen haben wir auch, diese Menschen zu | |
gewinnen. Oft wollen die Leute größere Wohnungen mit größeren Badezimmern | |
und eine intakte Nachbarschaft haben. Man muss diese Art von Häusern | |
produzieren, weil der Markt das nicht von alleine macht. | |
Geht die Rechnung auf? | |
Bei den ersten Häusern, die wir, die Stäwog oder die Gewoba gemacht haben, | |
sind die Leute durchaus bereit, neun Euro pro Quadratmeter zu zahlen. | |
Solche Leute brauchen wir auch. Nur Armut zusammenzuballen, ist nach allen | |
Erkenntnissen keine gute Strategie. | |
Bremerhaven schöpft seit vielen Jahren die rechtlichen Möglichkeiten aus, | |
säumige Immobilienbesitzer stärker an die Kandare zu nehmen. | |
Unser Credo ist, die Leute nicht in Ruhe zu lassen. Wir fordern Investoren | |
auf, Häuser zu sanieren, den Gehweg zu machen und wir haben, wenn sie nicht | |
reagierten, Zwangsgelder verhängt. Oft haben die Leute irgendwann | |
aufgegeben, dann haben wir die Häuser gekauft und sie an jemanden gegeben, | |
der sich vernünftig darum kümmert. Manchmal haben wir sie auch abgerissen | |
und das Baugrundstück wieder verkauft. Ein Teil unserer Strategie ist es, | |
in schwierigen Bereichen aktiv zu werden und Impulse zu setzen. | |
Haben Sie die negative Entwicklung schon gebremst? | |
Manchmal ja, an anderer Stelle haben sich die bestehenden Verhältnisse aber | |
auch verfestigt. Es gibt inzwischen aber tatsächlich Immobilien, für die | |
wir mehrere Interessenten haben. Das ist für uns eine völlig neue | |
Erfahrung. Wenn das so weitergeht, hat das Quartier eine Chance. | |
Muss eine Stadt wie Bremerhaven die Abgehängten stärker im Blick haben, als | |
eine reiche Stadt wie Hamburg? | |
Hamburg hat andere Probleme. Wenn sie als Normalverdienerin auf den | |
Wohnungsmarkt gehen, sind sie fast chancenlos. Geschweige denn, dass sie | |
Eigentum erwerben können. Dafür muss man dort locker 500.000 Euro auf den | |
Tisch legen. In Frankfurt ist es dasselbe, da lebt eine meiner Töchter. | |
Bremerhaven hat dagegen das Problem, dass die Sozialstruktur in manchen | |
Teilen zu einseitig ist. | |
Die Kritiker betonen, dass Entsprechendes für Hamburgs vermögende | |
Stadtteile gilt. | |
Beides ist im Grunde schlecht. Wenn sie ein zu reiches Quartier haben, | |
werden andere verdrängt – und wenn sie ein zu armes Viertel haben, schreckt | |
das andere ab. Der Staat hat für eine ausgewogene Entwicklung zu sorgen und | |
gegenzusteuern. | |
Kann man das denn? Steht und fällt nicht alles mit der wirtschaftlichen | |
Potenz der Stadt? | |
In Deutschland ist das nicht der Fall. Vom Rechtsanspruch her sind wir ja | |
ein sozialer Bundesstaat und weil das so ist, gibt es Förderprogramme. Da | |
wird immer geguckt, dass man zwischen armen und reichen Regionen | |
ausgleicht. Wir haben nicht so einen Kapitalismus wie Amerika. Wenn in | |
Detroit eine Firma schließt, lassen die daraufhin ganze Stadtviertel | |
verfallen. Das zieht dann Kriminalität an, Häuser werden abgefackelt, | |
Geschäfte gehen raus – und da passiert seitens der Stadt nichts. Die hoffen | |
einfach darauf, dass da wieder jemand eine Autofabrik baut. Erst dann | |
werden die Viertel dort wieder fertig gemacht. Das ist die harte | |
kapitalistische Strategie. Wir sind dagegen auf Ausgleich bedacht. Das | |
gelingt durch Fördermittel und davon sind zig Millionen nach Bremerhaven | |
geflossen. Allein im Bereich des Stadtumbaus waren das in den vergangenen | |
Jahren 20 Millionen Euro. | |
In Hamburg gibt es das Amt des Oberbaudirektors, der die Aufgabe hat, das | |
Gesamtbild der Stadt im Blick zu haben. Welchen Handlungsspielraum hat | |
Bremerhavens oberster Stadtplaner? | |
Die Hamburger Baubehörde ist ja ein Riesenapparat mit einem entsprechendem | |
Etat. Die haben auch einen starken politischen Einfluss. Wenn sie dort als | |
Investor vorsprechen müssen, treten sie schon ein wenig vorsichtig auf. | |
Denn Hamburg ist eine Weltmetropole. Bei uns in Bremerhaven ist es so, dass | |
wir gucken müssen, dass wir die richtigen Menschen zusammenbringen und die | |
richtigen Investoren finden. Das ist es grundlegend anderes Geschäft. Wir | |
betreiben aufsuchende Stadtentwicklungsarbeit. Während sie in Hamburg vom | |
Katheder aus erfolgt. Da sagt der Baudirektor: Da muss was getan werden. | |
Und dann rollt der Apparat. Zu meiner Amtszeit habe ich in Bremerhaven die | |
Schrottimmobilien-Strategie entwickelt. Aber Schrottimmobilien gibt es | |
nicht nur in Bremerhaven, das Phänomen resultiert aus einem veränderten | |
Umgang mit Häusern. Früher wurden sie gehegt und gepflegt. Heute sind sie | |
dagegen Anlageobjekte, die auf den Märkten wild gehandelt werden. Dadurch | |
kommen sie oft in falsche Hände. | |
Ist es denn immer so schlimm, wenn ein auswärtiger Investor ins Spiel | |
kommt? | |
Es ist schon schwierig. Dahinter stehen ja oft irgendwelche | |
Finanzkonstruktionen, die dann pleitegehen. Wir hatten schon mal den Fall, | |
dass wir mit zypriotischen Banken verhandeln mussten, bis die dann | |
irgendwann mal eine Bescheinigung darüber ausstellte, dass wir das Haus | |
erwerben können. Es gibt aber auch Fälle, an denen wir uns jahrelang | |
festgebissen haben. | |
Wie vielen anderen Städten hat Bremerhaven es möglich gemacht, dass am | |
Wasser hochpreisige Immobilien gebaut wurden. Ist das die richtige | |
Strategie? | |
Es ist schon vernünftig, verschiedene Preissegmente zu bedienen. Wenn die | |
Leute in die Stadt ziehen, zahlen sie hier ja auch Steuern. Aber das | |
Hauptproblem sind nicht die Quartiere für Reiche. Die Preise sind in diesem | |
Bereich in Ordnung. Es ist keine große Herausforderung, ein Haus in einem | |
schicken Quartier zu bauen. Das Problem sind die Quartiere, in denen die | |
Preise nicht in Ordnung sind. Weil man hier ohne flankierende öffentliche | |
Maßnahmen nicht weiterkommt. Es schafft nicht jeder, ein vor sich hin | |
darbendes Quartier wieder auf die Beine zu kriegen. | |
27 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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