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# taz.de -- Berliner Baustaatssekretär Holm: Soll er entlassen werden?
> Verleiht Gentrifizierungsgegner Holm der rot-rot-grünen Regierung in
> Berlin Glaubwürdigkeit – oder untergräbt er sie? Ein Pro & Contra.
Bild: Soll er bleiben oder soll er gehen? Die Zukunft des Berliner Baustaatssek…
## JA
Eine Regierung, die sich selbst als links versteht, muss zuallererst der
Aufklärung verpflichtet sein. Dazu zählt der Wille, sich mit dem
individuellen oder kollektiven politischen Fehlverhalten in der
Vergangenheit zu beschäftigen und daraus im Zweifel Konsequenzen zu ziehen.
Wer bei seiner eigenen Biografie die Wahrheit verschleiert hat, sollte,
wenn es um die Unterstützung der Spitzelbehörde einer Diktatur geht, in
einem linken Bündnis nicht mitwirken dürfen.
Deshalb ist es richtig, dass sich der Berliner Regierende Bürgermeister der
Personalie Andrej Holm entledigen will. Es geht dabei, das muss hier noch
einmal betont werden, nicht nur darum, dass Holm einige Monate lang als
Hauptamtlicher bei der Staatssicherheit mitgewirkt hat. Entscheidend ist,
dass er Jahre später bei der Frage nach diesem Beschäftigtenverhältnis
gelogen hat.
Die Angelegenheit Holm berührt moralische Grundsätze über Unrecht und
Schuld, Aufrichtigkeit und Prinzipientreue. Eine juristische Überprüfung
kann bei diesen Kategorien hilfreich, sie muss aber nicht entscheidend
sein. Der Verweis auf die in der Tat juristisch fragwürdigen Grundsätze der
Stasi-Überprüfungen ist daher nicht ausschlaggebend. Es hilft es auch
wenig, wenn darauf hingewiesen wird, dass sich der politische Gegner mit
Genuss des Themas angenommen hat. Das ist schlicht die Aufgabe der
Opposition.
Nichts ist verlogener als Doppelmoral. Der Aufklärung verpflichtete
Menschen können nicht den Rücktritt eines CDU-Ministers wegen seiner
fantasievollen Doktorarbeit begrüßen, die Lüge eines Mannes aus den eigenen
Reihen bei seiner Vergangenheit aber durchgehen lassen.
Sie können nicht das Versagen der frühen BRD bei der Verfolgung von
NS-Straftätern geißeln, aber zugleich über das Frisieren des Lebenslaufs
eines Stasi-Akteurs hinwegsehen – auch wenn sich die SED-Diktatur in ihrer
verbrecherischen Dimension nicht mit dem NS-Regime vergleichen lässt und
auch wenn Andrej Holm nur ein kleines Licht bei der Stasi war.
Eine der Aufklärung verpflichtete linke Regierung sollte strengere Maßstäbe
an sich selbst setzen, als es üblich ist. Nur dann könnten die
rot-rot-grünen Landespolitiker aus Berlin als Vorbild für ein solches
Bündnis im Bund werden. Andersherum sind sie eine Warnung davor, dass auch
Linke den Umgang mit der Wahrheit nur dann betreiben, wenn er nicht wehtut.
von Klaus Hillenbrand
***
## NEIN
Schlimmeres als die Entlassung von Andrej Holm kann es gar nicht geben.
Nicht für die Linkspartei, die den renommierten Gentrifizierungskritiker
ins Amt gehoben hat. Aber auch nicht für SPD und Grüne. Die beiden müssten
eigentlich vor der Linkspartei auf Knien rutschen vor Dankbarkeit.
Schließlich hatte Holm dem Berliner Dreierbündnis wenigstens an einer
einzigen Stelle Glaubwürdigkeit verliehen. Wenn ein Mieteraktivist mit
klarer Haltung die künftige Wohnungspolitik gestalten darf, dann ist das
ein unmissverständliches Versprechen an die einen. Und eine Kampfansage an
die anderen – die übrigens sehr gut verstanden wurde.
Zuletzt behauptete die FDP, Holm gehöre nicht in die Regierung, weil er
Hausbesetzern näher stünde als Investoren. Das ist billige Polemik, aber
sie benennt den wahren Konflikt. Tatsächlich steht Holm den Mietern näher
als Spekulanten und ist genau deshalb unverzichtbar. Klar, dass das einer
FDP nicht passt. Weil solche Attacken erwartbar waren, hätte R2G –
Rot-Rot-Grün – Holm gemeinsam stützen müssen. Stattdessen haben sie es
gemeinsam versemmelt.
Die Linkspartei war so fahrlässig und blöd, vor Holms Berufung auf einen
Blick in seine Stasi-Akten zu verzichten. Statt ihn vorzubereiten auf eine
zielführende Debatte über den angemessenen Umgang mit komplexer Geschichte,
gab sie Holm so quasi zum Abschuss frei.
Die SPD, die sogar ihrem Exbausenator, der eine Spende von einem Berliner
Baulöwen angenommen hatte, einen neuen Posten verschaffte, ließ Holm fallen
wie eine heiße Kartoffel. Und die Grünen, die froh sein müssten, mit
jemandem wie Holm Politik gestalten zu dürfen, der genau das Milieu
vertritt, aus dem sie einst hervorgegangen sind? Die fühlen sich auf ihren
flügelparitätisch verteilten Senatsposten gestört.
All das könnte man als Berliner Provinzposse abtun – wenn nicht R2G im
Roten Rathaus auch als Modell für ein gleiches Bündnis im Bund gesehen
würde. Aber da sieht es mit dem Personal ja nicht besser aus. Die
wahrscheinlichen Spitzen Sahra Wagenknecht, Sigmar Gabriel und Cem Özdemir
stehen für vieles, nur nicht für die Lust auf gemeinsame linke Politik. Ein
Kandidat mit Haltung und Brüchen wie Holm, der Wählern qua seiner Person
klarmachen könnte, worum es geht, ist nicht in Sicht. Und man muss
befürchten: er wäre auch gar nicht gewollt.
von Gereon Asmuth
15 Jan 2017
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
Gereon Asmuth
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