| # taz.de -- Byung-Chul Hans neues Werk: Düsterer Kulturpessimismus | |
| > Byung-Chul Han verzichtet auf Empirie. In seinem neuen Buch beklagt er | |
| > „die Austreibung des Anderen“ und Gleichheitswahn. | |
| Bild: Like-Buttons und Social Media sind für ihn die „Hölle des Gleichen“… | |
| Neben [1][Slavoj Žižek] oder [2][Markus Gabriel] ist der 1959 geborene Han | |
| einer der Philosophen der Stunde. Setzen die beiden auf philosophische | |
| Globalentwürfe, verfasst der gelernte Metallurg, der später auf | |
| Philosophie umsattelte und nach Stationen in Basel und Karlsruhe seit 2012 | |
| an der Berliner Universität der Künste lehrt, kulturkritische Miniaturen. | |
| Sein Stern ging auf, als er vor sechs Jahren in einem schmalen Bändchen die | |
| „Müdigkeitsgesellschaft“ diagnostizierte. Nach der Kritik der | |
| „Transparenzgesellschaft“ (2012) und der [3][„Psychopolitik des | |
| Neoliberalismus“] (2015) plädierte er vergangenes Jahr für die „Errettung | |
| des Schönen“. | |
| In seinem neuen Buch will er auf eine besonders perfide Form der | |
| kulturellen Nivellierung hinaus. Für Han gleicht unsere zeitgenössische | |
| Gesellschaft nämlich der „Hölle der Positivität“. Der ist der „Bezug z… | |
| Konflikt“ verloren gegangen. Statt Widerspruch und Auseinandersetzung | |
| herrsche in ihr nur noch die „Positivität des Gleichen“. | |
| Kennzeichnend für Hans „Beweisführung“ ist das Fehlen jeder Empirie. | |
| Stattdessen gefällt er sich in einer Rhetorik des Elementaren: „Die | |
| lärmende Müdigkeitsgesellschaft ist taub“, stellt er einmal lapidar fest. | |
| Oder: „Die Austreibung des Anderen bringt eine adipöse Leere der Fülle | |
| hervor.“ Je länger man liest, desto mehr entpuppt sich diese | |
| Sozialphilosophie als prätentiöse Ontologie. Aber für Han ist Erkenntnis ja | |
| auch „Erlösung“. | |
| ## Der lebensferne Philosophie | |
| Gegenbeispiele für die eigenen Thesen zieht der Philosoph grundsätzlich | |
| nicht heran. Komaglotzen, Like-Button, Social Media – alles ist für ihn | |
| die gleiche „Hölle des Gleichen“, die „Verletzung und Erschütterung“ | |
| ablehnt. Von Streiks, Terminen im Jobcenter oder Beziehungskrächen scheint | |
| der Philosoph noch nichts gehört zu haben. Kein Wunder, dass diese | |
| Gesellschaftsanalyse in düsterem Kulturpessimismus endet: „Der Terror des | |
| Gleichen“, lässt er die Lesenden bereits auf Seite 9 wissen, „erfasst heute | |
| alle Lebensbereiche.“ | |
| Nicht dass Hans Diagnose von der „entpersonalisierten Kommunikation“ ganz | |
| falsch wäre. „Der Mörder ist der letzte Mensch, der noch Kontakt sucht, | |
| während der Rest der Menschheit an Rolltreppen aneinander vorbeifährt“ | |
| kommentierte Heiner Müller schon 1991 sarkastisch die „Entwirklichung der | |
| Wirklichkeit“ im technologischen Zeitalter. Doch man muss seiner | |
| Argumentation schon sehr unsicher sein, wenn man sie mit einer kafkaesken | |
| Horrorvision glaubt belegen zu müssen, von der auch ein Nichtphilosoph | |
| erkennen kann, dass sie mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. | |
| Hans „Erfolgsrezept“ ist eine seltsame Mixtur aus Antikapitalismus und | |
| Idealismus. Den Neoliberalismus, der diese „neue Entfremdung“ verursacht, | |
| will er mit kulturellen Tugenden überwinden: Der „Kunst des Zuhörens“, der | |
| „Zeit des Anderen“, mit „Geduld und Ausgesetztheit“. Doch wenn Han auf … | |
| Philosophie der Intersubjektivität, eine somatische Ethik oder eine neue | |
| Form sozialer Gegenseitigkeit hinaus will, warum mystifiziert er dann das | |
| „Andere“ zu einem diffusen Zwitter? | |
| Ein ums andere Mal beschwört Han den Anderen als „Rätsel“ und ganz großes | |
| „Geheimnis“. Mal ist er das „Unheimliche“ schlechthin, mal „personales | |
| Gegenüber“. Mal realisiert er sich in „Blick und Stimme“, mal ist er | |
| „Resonanzraum“. Mit seiner Dialektik von „Du und Ich“ war der jüdische | |
| Religionsphilosoph Martin Buber da schon mal weiter. | |
| Vor allem: Würde ein „Gegenkörper der Negativität“ wirklich empfänglich | |
| machen „für die Wahrheit, für das Ereignis“, kurz: für reale Realität u… | |
| dialektisches Sein? Als der französische Philosoph Jacques Derrida, so | |
| erzählte es einmal Slavoj Žižek, morgens ins Bad geht und im Blick der | |
| Katze, die seinen nackten Körper betrachtet, den Anderen „in seiner ganzen | |
| abgrundhaften Undurchdringlichkeit“ zu erkennen meint, jagt er das Tier | |
| hinaus und geht duschen. | |
| 13 Jan 2017 | |
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