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# taz.de -- Arthur Schopenhauer über Erwartungen: „Von der Hoffnung genarrt�…
> Aus aktuellem Anlass: Der längst verstorbene Philosoph Arthur
> Schopenhauer im Gespräch über Trump und Brexit, die AfD und eine Welt
> voll hohler Nüsse.
Bild: „Das Leben ist eine missliche Sache: Ich habe mir vorgesetzt, es damit …
taz.am wochenende: Die Wahl Trumps, der Brexit, der Aufstieg der AfD – Herr
Schopenhauer, für viele Menschen war 2016 ein schreckliches Jahr, sie
hoffen nun auf …
Arthur Schopenhauer: Die, welche, mittels Streben und Hoffen, nur in der
Zukunft leben, immer vorwärts sehen und mit Ungeduld den kommenden Dingen
entgegeneilen, als welche allererst das wahre Glück bringen sollen,
inzwischen aber die Gegenwart […] vorbeiziehen lassen, sind, trotz ihrer
altklugen Mienen, mit jenen Eseln in Italien zu vergleichen, deren Schritt
dadurch beschleunigt wird, dass an einem, ihrem Kopf angehefteten Stock ein
Bündel Heu hängt, welches sie daher stets dicht vor sich sehen und zu
erreichen hoffen.
Esel? Wie bitte? Es geht um Menschen und ihre Hoffnungen nach einem
schweren Jahr.
Der Lebenslauf des Menschen besteht darin, dass er, von der Hoffnung
genarrt, dem Tod in die Arme tanzt.
Dem Tod? Ähem, genau. 2016 sind ja auch Fidel Castro, David Bowie und
Muhammad Ali gestorben, das hat viele Menschen bewegt, die nun …
… es ist wirklich unglaublich, wie nichtssagend und bedeutungsleer, von
außen gesehen, und wie dumpf und besinnungslos, von innen empfunden, das
Leben der allermeisten Menschen dahinfließt. Es ist ein mattes Sehnen und
Quälen, ein träumerisches Taumeln durch die vier Lebensalter hindurch zum
Tode, unter Begleitung einer Reihe trivialer Gedanken.
Alles andere als trivial ist unser Thema heute: Große Erwartungen. Wie
halten Sie es damit? Ich gebe zu, ich habe nur einige Ihrer Werke gelesen
und nicht alle, doch mir scheint …
… Wer aber vollends die Lehre meiner Philosophie in sich aufgenommen hat
und daher weiß, dass unser ganzes Dasein etwas ist, das besser nicht wäre
und welches zu verneinen und abzuweisen die größte Weisheit ist, der wird
auch von keinem Dinge oder Zustand große Erwartungen hegen.
Keine? Aber Erwartungen gehören doch zum Leben wie Zähne putzen und dummes
Zeug reden.
Auch hier stellt das Leben sich keineswegs dar als ein Geschenk zum
Genießen, sondern als eine Aufgabe, ein Pensum zum Abarbeiten.
Moment mal, andere haben große Erwartungen an Sie gestellt. Der Philosoph
Max Horkheimer notierte über Sie: „Dass alles Leben der Macht gehorcht und
aus dem Zauberkreis des Egoismus gerade noch die Hingabe an die Sache, die
Identifikation mit dem, was nicht ich bin, herauszuführen und ins Nichts
hineinzuführen scheint – und das ist ein Mythos – hat Schopenhauer gesehen
und war der Welt böse dafür.“
Das Leben ist eine missliche Sache: Ich habe mir vorgesetzt, es damit
hinzubringen, über dasselbe nachzudenken.
Selbst die radikale Linke im bundesrepublikanischen Deutschland hatte seit
den späten achtziger Jahren große Erwartungen an Sie. Ständig hieß es:
[1][Anna und Arthur halten’s Maul.]
Auch wird man einsehen, dass Dummköpfen und Narren gegenüber es nur einen
Weg gibt, seinen Verstand an den Tag zu legen, und der ist, dass man mit
ihnen nicht redet.
Dummköpfe und Narren? Da ging es um Verschwiegenheit gegenüber den Organen
der Polizei und der Staatsanwaltschaft im Falle einer Festnahme. Aber wer
ist eigentlich diese Anna, mit der Sie da ständig in einem Satz genannt
wurden?
In schwierigen Angelegenheiten, nach Weise der alten Germanen, auch die
Weiber zu Rate zu ziehen ist keineswegs verwerflich.
Herr Schopenhauer, bitte, das ist hier die taz, da müssen Sie keine Bräuche
der „alten Germanen“ bemühen, um über Emanzipation zu sprechen …
Wie den Löwen mit Klauen und Gebiss, den Elefanten mit Stoßzähnen, den Eber
mit Hauern, den Stier mit Hörnern und die Sepia mit der wassertrübenden
Tinte, so hat die Natur das Weib mit Verstellungskraft ausgerüstet, zu
seinem Schutz und Wehr, und hat alle die Kraft, die sie dem Manne als
körperliche Stärke und Vernunft verlieh, dem Weibe in Gestalt jener Gabe
zugewendet.
Kleingeistig, dieser Chauvinismus eines ewigen Junggesellen, den keine Frau
haben wollte.
Die eigentlich großen Geister horsten, wie die Adler, in der Höhe, allein.
Chauvinistisch und elitär, wie wollen Sie da jetzt wieder herausfinden?
Wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten
wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.
Da wir gerade von „beleidigend und grob“ sprechen: Kennen Sie eigentlich
die nationalistische AfD und ihren notorischen Hausphilosophen Marc Jongen?
Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner
eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten
erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf
er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er
gerade angehört, stolz zu sein.
Gibt es denn gar nichts Gutes über die Nation zu sagen?
Jede Nation spottet über die andere, und alle haben Recht.
Auf Marc Jongens Website findet sich über die AfD der folgende Satz: „Wir
sind die Lobby des Volkes.“ Wie wirkt das auf Sie – weit da oben in Ihrem
„Horst“?
Wo viele Gäste sind, ist viel Pack.
Das sind harte Worte, und Sie haben in vielem recht. Verbittert klingt es
trotzdem. Gibt es denn nichts Schönes in Ihrem Leben?
In Arkadien geboren, wie Schiller sagt, sind wir freilich alle: d. h., wir
treten in die Welt, voll Ansprüche auf Glück und Genuss, und hegen die
törichte Hoffnung, solche durchzusetzen.
Das fing schön an, und am Ende steht nur wieder „töricht“. Noch mal, bitt…
Wir verleben unsere schönen Tage, ohne sie zu bemerken: Erst wenn die
schlimmen kommen, wünschen wir jene zurück. Tausend heitere, angenehme
Stunden lassen wir, mit verdrießlichem Gesicht, ungenossen an uns
vorüberziehen, um nachher, zur trüben Zeit, mit vergeblicher Sehnsucht
ihnen nachzuseufzen.
Zeitlebens waren Sie ein großer Freund von Pudeln. Zeitzeugen haben
geschildert, wie Sie bei Spaziergängen mit Ihrem Pudel sprechen. Sind Tiere
nicht „töricht“?
Mitleid mit den Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen,
dass man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne
kein guter Mensch sein.
Haben Sie gerade „zuversichtlich“ gesagt? Gibt es also doch Hoffnung?
Verstehe ich Sie richtig?
So ist denn fast alles in der Welt hohle Nüsse zu nennen.
Da bleibt mir nun nur, Ihnen eine gesegnete Weihnacht zu wünschen.
Religionen sind dem Volke notwendig und sind ihm eine unschätzbare Wohltat.
Wenn sie jedoch den Fortschritten der Menschheit in der Erkenntnis der
Wahrheit sich entgegenstellen wollen, so müssen sie mit möglichster
Schonung beiseitegeschoben werden.
Einen letzten Versuch mit den großen Erwartungen möchte ich noch
unternehmen. Irgendetwas müssen doch auch Sie erwarten.
Im Allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe
gesagt, und die Toren, d. h. die unermessliche Majorität aller Zeiten,
haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil, getan; und so wird es denn
auch ferner bleiben.
Alle Zitate stammen aus Schopenhauer, Arthur: „Werke in fünf Bänden“,
Haffmans, Zürich 1991, sowie aus Lütkehaus, Ludger (Hrsg. und Nachwort):
„Ich bin ein Mann, der Spaß versteht. Einsichten eines glücklichen
Pessimisten“, dtv, München 2010. Die Schreibweise wurde behutsam – und ganz
sicher entgegen dem Willen Schopenhauers – der neuen deutschen
Rechtschreibung angepasst.
24 Dec 2016
## LINKS
[1] https://www.anarchismus.at/tipps-und-tricks/rechtshilfe/234-aussageverweige…
## AUTOREN
Maik Söhler
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