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# taz.de -- Nachruf auf Zygmunt Bauman: Die Moderne ist flüssig
> Der polnisch-britische Philosoph deutete wie kein Zweiter die
> Verwerfungen des Kapitalismus. Auch der Individualismus bekam sein Fett
> weg.
Bild: Sorgte natürlich auch für Widerspruch: Zygmunt Bauman (im Jahr 2010)
Bad Soden taz | Als der Philosoph Zygmunt Bauman 1998 in der Frankfurter
Paulskirche den Adorno-Preis in Empfang nahm, begann er seines Dankesrede
mit einer Verbeugung vor Adorno und einem Zitat aus der „Negativen
Dialektik“: „Das Bedürfnis im Denken will aber, das gedacht werde. Das ist
einer von jenen wenigen, aber zentralen Imperative in Adornos Werk – neben
dem berühmten, wonach das Wichtigste sei, „dass Auschwitz sich nicht
wiederhole“ –, in dem Adornos Denken mit dem Baumans nahtlos übereinstimmt.
Die Übereinstimmung wird bekräftigt durch Baumans Biografie. Der am 19.
November 1925 in Posen (Polen) geborene Gymnasiast Bauman floh nach der
deutschen Besetzung des Landes durch Hitlers Wehrmacht 1939 mit seinen
Eltern in die Sowjetunion. Er wurde Soldat und später politischer Offizier
in einem polnischen Regiment unter sowjetischem Oberbefehl.
Von 1945 bis 1953 diente er in einer polnischen Einheit, die dem
Ministerium für Öffentliche Sicherheit unterstellt war, für das er auch
Spitzeltätigkeiten als linientreuer Stalinist ausübte. Er verschwieg das
nicht, sondern reflektierte es im Sinne des Diktums, dass „der Preis fürs
Überleben das praktische Mitmachen“ war, was freilich nicht davon entbinde,
„dass gedacht werde“ (Adorno) über die Ambivalenz und die Unwägbarkeiten
beim Versuch zu Überleben in finsteren Zeiten.
Bauman promovierte 1956 in Warschau, habilitierte sich vier Jahre später
und lehrte dort. 1968 trat er aus Opposition gegen den antisemitischen Kurs
der Kommunisten unter Gomulka aus der Partei aus und verlor damit seine
Stelle an der Universität. Er emigrierte nach Israel, wo er es angesichts
der israelischen Besatzungspolitik allerdings nicht lange aushielt. 1971
verließ er das Land und ging nach England, wo er in Leeds bis 1990
Soziologie lehrte und neben soziologischen Analysen über Klassen und Elite
und den Stalinismus eine intensive publizistische Tätigkeit entfaltete, die
ihn bald international bekannt machte.
## Ein Postmoderner
Im Zentrum dieser Arbeiten stand die Auseinandersetzung mit der „flüchtigen
Moderne“, ihren Versprechungen, Widersprüchen und Abgründen. Bauman war ein
Postmoderner in dem Sinne, dass er sich fortan mit dem schmerzlichen
Prozess der „Erlösung von den Hoffnungen der Vergangenheit“
auseinandersetzte. Begriffe wie „Kontingenz“, „Fragmentierung“ oder
„Deregulierung“ sind bei ihm nicht affirmativ besetzt, sondern kritisch. Er
verwechselte „das Ende der Eindeutigkeit“ nicht mit dem Beginn des
„Anything-goes“ und der großen Beliebigkeit.
Bauman neigte nie zur frivolen Affirmation der Postmoderne, sondern blieb
kritisch gegenüber der Zumutung eines „Lebens im Zustand permanenter und
nichtreduzierbarer Ungewissheit“, die er in seinem Buch „Flaneure, Spieler
und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen“ (1997) beschrieb.
Leider überführte er die Beschreibung dieser Lebensformen nicht in eine
soziologisch fundierte Analyse. Diese eher dem Feuilleton als der Analyse
zuneigende Haltung hat Bauman gelegentlich Spott und Häme eingetragen.
Ernster zu nehmende Kritik, etwa die von Peter Vogt (FAZ, 8. 12. 2000)
registrierte jedoch eine unbestreitbare Diskrepanz zwischen Baumans
empirischer Oberflächlichkeit – etwa in seiner Analyse zur „Krise der
Politik“ (Hamburg 2000) – und seinen politisch-gesellschaftskritischen
Folgerungen und Forderungen.
Auch in seiner Kapitalismuskritik bediente er sich recht unorthodoxer
Begründungen: Seine in der Finanzkrise aufgestellte These, „der
Kapitalismus“ schaffe „vor allem Probleme, die er nicht löse“ (Le Monde,
28. 2. 2009) begründete er mit dem Hinweis auf Rosa Luxemburgs Buch
„Akkumulation des Kapitals“ (1913), wo behauptet wird, nach der Eroberung
der letzten Kolonien breche der Kapitalismus mangels neuer „jungfräulicher
Absatzmärkte“ zusammen.
## Metaphern des „Flüssigen“
Mit der Beliebigkeit und Geschichtsvergessenheit, die viele seichte Formen
postmoderner Gesellschaftstheorie und Philosophie auszeichnen, hatte Bauman
nichts zu tun. Er ignorierte sie souverän. Ob in „Flüchtige Zeiten“ (2008…
in „Leben in der flüchtigen Moderne“ (2007) oder in „Wir Lebenskünstler…
(2010) und seinen zahlreichen Essays – immer ist seine Metapher des
„Flüssigen“ ein Index der „Übergangs“ auf die Offenheit der sozialen …
politischen Zustände, die sich zum Besseren, aber auch zum Schlimmeren
wenden können: Das Bekannte verschwindet, das Neue ist verborgen.
Den Kurzschluss, dass Mangel an Sicherheit automatisch Freiheit verbürge,
wie besonders radikale Postmodernisten versprachen, hat Bauman nicht
geteilt. Im Gegenteil: „Wo immer wir uns aufhalten, wir sind zumindest
teilweise displaced – am falschen Ort und fehl am Platz“, schrieb er 1999
im Essayband „Unbehagen in der Postmoderne“.
Mehrfach kritisierte er die Ideologie der Individualisierung und
Pluralisierung der „Postmodernen“ als privat-konsumistische
Lifestyle-Propaganda und plädierte für eine „Wiederherstellung der
Öffentlichkeit“ – so 1999 beim Kongress zum 75-jährigen Bestehen des
Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Von einer „Beerdigung“ der
„Kritischen Theorie“, die Peter Sloterdijk damals großspurig ankündigte,
wollte Bauman nichts wissen.
Baumans Zeitdiagnosen blieben – selbstverständlich – nicht unbestritten und
zeigten im Einzelnen durchaus unterschiedliche Haltbarkeit und Konsistenz.
Seine These im Buch „Dialektik der Ordnung“ (1994), wonach der
Nationalsozialismus die logische und konsequenteste Form „moderner
Staatlichkeit“ sei, erwies sich als historisch unhaltbar. Die Deutsche
Gesellschaft für Soziologie zeigte ein Gespür für die Risiken von
gesellschaftskritischen Zeitdiagnosen, als sie Bauman 2014 für sein
Lebenswerk auszeichnete, das sich ganz um „Sinn und Wahnsinn der Moderne“
(Ulrich Beck) dreht.
10 Jan 2017
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Nachruf
Soziologie
Kapitalismus
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