# taz.de -- Verfassungsänderung in der Türkei: Das Sultanat Erdoğan ist nahe | |
> Die Verfassungsreform wurde vom Parlament beschlossen. Damit nimmt | |
> Erdoğans Diktatur Gestalt an. Das Parlament wird überflüssig. | |
Bild: Der Präsident Tayyib Recep Erdogan fordert seine Anhänger am Samstag au… | |
ISTANBUL taz | Nach zwei Wochen erbitterter Debatten hat das Parlament in | |
Ankara endgültig seiner Selbstentmachtung zugestimmt. Wie schon in der | |
ersten Lesung stimmten auch im zweiten und entscheidenden Durchgang die | |
Abgeordneten der islamischen AKP und der rechtsnationalistischen MHP am | |
Samstagmorgen mit der notwendigen Zweifünftelmehrheit für die neue | |
Präsidialverfassung. | |
Voller Verbitterung sagte der Vorsitzende der sozialdemokratischen CHP, | |
Kemal Kılıçdaroğlu, anschließend an die Adresse der beiden Parteien, sie | |
hätten Verrat am Parlamentarismus begangen und ihrer eigenen Entmachtung | |
zugestimmt. | |
Die Geschichte der türkischen Republik, wie sie seit ihrer Gründung 1923 | |
existiert hat, werde damit beendet. Die zweite Oppositionspartei, die | |
kurdisch-linke HDP, konnte kaum noch in die Debatte eingreifen, weil ihr | |
gesamtes Führungspersonal bereits im Gefängnis sitzt. | |
Die endgültige Entscheidung über die neue Erdoğan-Verfassung soll nun in | |
einem Referendum Anfang April fallen. Erdoğan rief bereits am Samstag seine | |
Anhänger dazu auf, für die neue Verfassung zu mobilisieren, und auf der | |
anderen Seite bilden sich bereits erste zivilgesellschaftliche Gruppen, die | |
eine Nein-Kampagne organisieren wollen. | |
## Jetzt darf das Volk noch abstimmen | |
Allerdings dürften es die Kritiker des Erdoğan-Staates schwer haben, noch | |
durchzudringen. Nach wie vor herrscht Ausnahmezustand und wirkungsvolle | |
Kritiker werden schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, sie unterstützten den | |
„PKK-Terrorismus“ oder seien verkappte Gülen-Anhänger. Umfragen haben | |
ergeben, dass fast 70 Prozent nicht wissen, was in der neuen Verfassung | |
steht. | |
Erdoğan und die AKP rechtfertigen die Präsidialverfassung mit dem Argument, | |
nur so könne das Land angesichts der Bedrohungen stabil bleiben. Im Übrigen | |
hätten doch auch die USA und Frankreich ein Präsidialsystem und niemand | |
würde diesen Ländern die Demokratie absprechen. Dabei unterschlagen sie | |
grundsätzliche Unterschiede zu dem von Erdoğan angestrebten System. | |
Während in den USA der Kongress und das oberste Gericht den Präsidenten | |
jederzeit stoppen können, will Erdoğan die ganze Macht. Die neue Verfassung | |
sieht vor, dass Erdoğan zukünftig Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen kann, | |
er kann das Parlament jederzeit auflösen. Als Parteichef wird er auch die | |
Regierungsfraktion kontrollieren. Damit die Mehrheitsverhältnisse stabil | |
bleiben, sollen die Wahlen von Präsident und Parlament zeitgleich alle fünf | |
Jahre stattfinden. | |
Auch die Justiz wird ihre Unabhängigkeit verlieren. Erdoğan wird die | |
Mehrheit der Verfassungsrichter selbst aussuchen und darüber hinaus die | |
Mitglieder des Hohen Richterrats bestimmen, die dann ihrerseits die | |
Besetzung aller Richterstellen im Land vornehmen. | |
22 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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