# taz.de -- Neue Verfassung für die Türkei: Mehr Macht für Sultan Erdoğan | |
> Das türkische Parlament berät ab heute über die von Erdoğan angestrebte | |
> Präsidialverfassung. Doch noch fehlt ihm eine Mehrheit dafür. | |
Bild: Präsident Recep Tayyip Erdoğan will alle Macht an sich reißen | |
Istanbul taz | Die von Präsident Recep Tayyip Erdoğan seit Jahren | |
angestrebte neue Präsidialverfassung kommt heute auf die Zielgerade. Am | |
heutigen Montag beginnen im Parlament in Ankara die abschließenden | |
Beratungen der neuen Verfassung, für die zunächst zwei Wochen angesetzt | |
sind. In dem jetzigen Entwurf soll der Präsident alle exekutiven Befugnisse | |
bekommen, das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. | |
Darüber hinaus ist der Präsident dann nicht nur Oberkommandierender der | |
Armee, sondern entscheidet auch über die Besetzung aller relevanten | |
Offiziersposten. Dasselbe gilt für alle Universitätsrektoren. | |
Die Besetzung der obersten Gerichte bestimmt er zur Hälfte, die andere | |
Hälfte bestimmt das Parlament. Da der Präsident zukünftig aber auch | |
Parteimitglied und Parteichef sein kann, dirigiert er als Chef der | |
Regierungsfraktion auch die zweite Hälfte der obersten Richterposten de | |
facto selbst. | |
Erdoğan soll damit eine Machtfülle erhalten, die Oppositionschef Kemal | |
Kılıçdaroğlu mit der des syrischen Diktators Baschar al-Assad vergleicht. | |
Von Demokratie könne man in der Türkei dann nicht mehr sprechen. Ob diese | |
neue Verfassung im Parlament die notwendige dreifünftel Mehrheit bekommt, | |
hängt von der ultranationalistischen MHP und vor allem deren Chef Devlet | |
Bahçeli ab. | |
Bahçeli hatte seine Vertrauten angewiesen, gemeinsam mit der AKP an der | |
neuen Verfassung zu arbeiten und sich in Streitpunkten dann direkt mit | |
Ministerpräsident Binali Yıldırım abgestimmt. Trotzdem wollen etliche | |
MHP-Abgeordnete gegen den Verfassungsentwurf stimmen. Erst vor wenigen | |
Tagen trat der stellvertretende Parteichef deshalb von seinem Posten | |
zurück. | |
## Noch steht die Mehrheit nicht | |
Allerdings fehlen der AKP für das notwendige Quorum nur 17 Stimmen und die | |
MHP hat 40 Sitze im Parlament. Die Opposition hofft deshalb auf Abweichler | |
innerhalb der AKP. Tatsächlich gibt es wohl etliche AKP Abgeordnete, die | |
nicht die gesamte Macht auf den Präsidenten übertragen wollen, doch kaum | |
einer wagt es, Erdoğanöffentlich zu kritisieren. | |
Doch auch wenn sich im Parlament die notwendige Mehrheit für ein Referendum | |
findet, ist, falls es bei der Abstimmung mit rechten Dingen zugeht, eine | |
Mehrheit keinesfalls sicher. Nach Meinungsumfragen, die die AKP selbst in | |
Auftrag gegeben hat, stimmen nur maximal 45 Prozent der Wähler zu. | |
Notwendig sind aber mindestens 50 Prozent plus 1. Die Opposition hat | |
bereits angekündigt, mit allen Mitteln für eine Ablehnung des Referendums | |
zu mobilisieren, weiß sie doch, dass ein quasi Sultanat Erdoğans ihr | |
endgültiges Aus wäre. | |
Allerdings macht die gerade verabschiedete Verlängerung des | |
Ausnahmezustandes einen echten Wahlkampf wohl unmöglich. Per Dekret hat | |
Erdoğanam Wochenende noch einmal die Befugnisse der Polizei erweitert, u. | |
a. um gegen Kritiker in den sozialen Netzwerken vorzugehen. | |
Um Platz für absolut loyale Gefolgsleute zu schaffen, sind am Wochenende | |
noch einmal 8.400 Staatsangestellte entlassen worden, darunter Polizisten, | |
Beamte aus dem Justizministerium und Universitätsprofessoren. Außerdem hat | |
Erdoğandie Regierung ermächtigt, Türken die ins Ausland geflohen sind, die | |
Staatsbürgerschaft abzuerkennen. | |
9 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Türkei | |
Parlament | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Verfassung | |
Präsidialverfassung | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Demokratie | |
Schwerpunkt Türkei | |
Istanbul | |
Schwerpunkt Türkei | |
Istanbul | |
Aslı Erdoğan | |
Journalist | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verfassungsänderung in der Türkei: Das Sultanat Erdoğan ist nahe | |
Die Verfassungsreform wurde vom Parlament beschlossen. Damit nimmt Erdoğans | |
Diktatur Gestalt an. Das Parlament wird überflüssig. | |
Demokratieabbau in der Türkei: Das Parlament schafft sich ab | |
Die Abgeordneten segnen Verfassungsänderungen mit Dreifünftelmehrheit ab. | |
Jetzt kann Präsident Erdoğan so richtig durchregieren. | |
Buch „Die gute Regierung“: Maschinenkönige | |
Von der Französischen Revolution bis heute: Der Historiker Pierre | |
Rosanvallon liefert eine Grundlage, um die Demokratiekrise zu verstehen. | |
Verfassungsreform in der Türkei: Erdoğan kommt voran | |
Das türkische Parlament hat zugestimmt, über eine Verfassungsreform zu | |
debattieren. Zwei Parteien laufen Sturm gegen Erdoğans Vorhaben. | |
Kommentar Anschlag in Istanbul: Erdoğan lenkt von sich ab | |
Faktisch hat Erdoğan in der Türkei schon längst die Alleinherrschaft inne. | |
Doch nicht einmal er scheint die Lage kontrollieren zu können. | |
Täter des Anschlags in Istanbul: Nicht zu fassen | |
Spurlos verschwunden: Wer den Anschlag in Istanbul in der Silvernacht | |
verübt hat, ist zunächst unklar und lässt sich nur vermuten. | |
Angriff auf Nachtclub in Istanbul: Blutbad im Reina | |
Ein Schütze hat auf der Neujahrsfeier in einem Istanbuler Club mindestens | |
39 Personen getötet. Auch viele Verletzte sind zu beklagen. | |
Prozess gegen Aslı Erdoğan: Vorerst freigelassen | |
Die Schriftstellerin und acht weitere Angeklagte haben für die prokurdische | |
Zeitung „Özgür Gündem“ gearbeitet. Sie werden des Terrorismus beschuldig… | |
Repression in der Türkei: Haftbefehl gegen neun Journalisten | |
Ihnen wird vorgeworfen, Propaganda für eine Hacker-Gruppe zu machen. Auch | |
Kurden sind weiter von der Repression betroffen. |