| # taz.de -- Begnadigung der Whistleblowerin: Freiheit für Manning | |
| > Chelsea Manning sollte 35 Jahre hinter Gitter, weil sie Militärdaten | |
| > leakte. Sie wurde begnadigt – wie über 200 weitere Personen. | |
| Bild: Darf hoffen: Chelsea Manning | |
| Bis Dienstagabend war Chelsea Manning die personifizierte Schande der | |
| US-Justiz unter Präsident Barack Obama. Die heute 29-Jährige war 2013 zur | |
| höchsten Strafe verurteilt worden, die je für einen Datendiebstahl in den | |
| USA verhängt worden war. 35 Jahre sollte sie im Gefängnis bleiben. Unter | |
| anderem wegen Spionage und Hilfe für den Feind hatte sie ein Militärgericht | |
| verurteilt. [1][Jetzt hat Obama die bekannteste Whistleblowerin der USA | |
| neben Edward Snowden begnadigt.] Sie kommt nicht im Jahr 2045 frei, sondern | |
| bereits am 17. Mai 2017. | |
| Manning – damals noch Gefreiter Bradley Manning – war 2007 der US-Armee | |
| beigetreten, dort als Datenanalyst beschäftigt und 2009 in den Irak | |
| geschickt worden. Dort war Manning mit der Auswertung von Daten über die | |
| Aufständischen beauftragt und hatte Zugang zu Armeecomputern und zu als | |
| geheim eingestuftem Material. | |
| 2010 dann der Schnitt: Manning kopierte 720.000 Dokumente und ließ diese | |
| Wikileaks zukommen. Themen: der Irakkrieg, hier insbesondere Material zu | |
| massiven Misshandlungen ziviler Gefangener durch die irakische Armee mit | |
| Kenntnis der USA und viel mehr zivilen Tote als offiziell angegeben. | |
| Besondere Bekanntheit erlangte ein Video eines US-Hubschrauberangriffs in | |
| Bagdad, bei dem eine ganze Reihe unbewaffneter Zivilisten getötet wurden, | |
| darunter zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters. Außerdem im | |
| Paket: Material über Guantánamo-Gefangene, die ohne Anklage festsitzen, | |
| umfangreiche Daten aus dem Inneren des Afghanistankriegs – und 250.000 | |
| Depeschen der US-Botschaften aus aller Welt an das State Department in | |
| Washington. | |
| Wikileaks veröffentlichte das Material damals in Zusammenarbeit mit großen | |
| Medienorganisationen, [2][unter anderem auch der New York Times]. | |
| Monatelang sah sich die Obama-Regierung unter Druck. Insbesondere | |
| Außenministerin Hillary Clinton kam aufgrund der Depeschen aus ihrem | |
| Ministerium in diplomatische Erklärungsnöte. | |
| Manning stellte sich, gab die Datenweitergabe zu. Ziel sei gewesen, eine | |
| weltweite Debatte über die Außen- und Sicherheitspolitik der USA und | |
| Reformen anzustoßen, so Manning damals. | |
| Im Prozess drei Jahre später sagte Manning allerdings auch, sie habe zum | |
| Zeitpunkt der Weitergabe der Daten mit einer ganzen Reihe persönlicher | |
| Probleme zu tun gehabt. Tatsächlich hatte Manning offenbar im Irak | |
| festgestellt, dass sie nicht schwul, sondern transgender war. | |
| ## Fanal gegen Whistleblower | |
| Die Militärankläger lehnten jegliche Deals ab und sprachen die Strafe von | |
| 35 Jahren Haft aus. Das wurde schon damals in großen Teilen der | |
| Öffentlichkeit als vollkommen überzogen angesehen – zumal entgegen der | |
| Behauptungen von Regierung und Anklägern niemals nachgewiesen werden | |
| konnte, dass die Veröffentlichungen etwa Soldaten im Einsatz in konkrete | |
| Gefahr gebracht hätten. Das Manning-Urteil: Es war das Fanal in Obamas | |
| Kampf gegen Whistleblower. | |
| Einen Tag nach der Verurteilung im August 2013 verlas Mannings Anwalt eine | |
| Erklärung: Manning sei eine Frau und werde ihr Leben ab sofort als | |
| „Chelsea“ leben, nicht mehr als „Bradley“. Sie werde in der Militärhaft | |
| versuchen, eine Hormontherapie zu beginnen. Das Militär wollte davon | |
| zunächst nichts wissen. Im September 2014 klagte der Bürgerrechtsanwalt | |
| Chase Strangio von der American Civil Liberties Union darauf, dass sie | |
| entsprechende Medikamente bekommen müsse. Anfang 2015 konnte sie die | |
| Behandlung beginnen. | |
| Aber die Haft im Männer-Militärgefängnis Fort Leavenworth blieb eine | |
| Tortur. In ihrem Gnadengesuch an Obama schrieb sie: „Ich brauche Hilfe. Ich | |
| durchlebe einen Zyklus von Angst, Wut, Hoffnungslosigkeit, Verlust und | |
| Depression. Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich kann nicht schlafen. | |
| Ich habe versucht, mir das Leben zu nehmen“ – zweimal im vergangenen Jahr. | |
| „Chelsea Manning hat schwere Menschenrechtsverletzungen publik gemacht. | |
| Daraufhin wurden ihre Rechte von der US-Regierung über Jahre verletzt“, | |
| sagt Margaret Huang, Geschäftsführerin von Amnesty International USA, in | |
| Reaktion auf die Begnadigung. „Mit der Strafreduktion hat Präsident Obama | |
| das Richtige getan, der Schritt war aber lange überfällig. Es ist | |
| unsäglich, dass Chelsea Manning Jahre im Gefängnis schmachten musste, | |
| während diejenigen, die durch die Informationen belastet werden, immer noch | |
| nicht vor Gericht gebracht wurden.“ | |
| Tatsächlich haben selbst die umfangreichen Veröffentlichungen viel zum | |
| öffentlichen Kenntnisstand über die Kriege im Irak und Afghanistan | |
| beigetragen – zu juristischen Konsequenzen für die Verantwortlichen hat das | |
| jedoch nicht geführt. | |
| ## Zwei weitere Bekannte | |
| Chelsea Manning wird freikommen. Dann wird sie sich endlich die Haare | |
| wachsen lassen und sich vollständig als Frau kleiden dürfen – Dinge, die | |
| ihr im Militärgefängnis noch immer verwehrt bleiben. Die Frist von vier | |
| Monaten zwischen Begnadigung und Freilassung sei üblich, hieß es aus dem | |
| Weißen Haus. Den Freunden und Familien der Betroffenen solle Zeit gegeben | |
| werden, um etwa eine Wohnung zu suchen und das Leben in Freiheit zu | |
| organisieren. | |
| Chelsea Manning ist die bekannteste von insgesamt über 200 Begnadigungen | |
| des Präsidenten. Prominent sind davon nur noch zwei weitere Personen: Oscar | |
| López Rivera, heute 74 Jahre alt, sitzt seit 1980 im Gefängnis. Er wurde | |
| 1981 als Mitglied der linken militanten puertoricanischen | |
| Unabhängigkeitsbewegung FALN verurteilt, die Ende der 1970er und Anfang der | |
| 1980er Jahre mit einer Reihe von Anschlägen insbesondere in New York und | |
| New Jersey auf sich aufmerksam machte. Er ist der letzte Gefangene jener | |
| Gruppierung, der heute noch in Haft sitzt – Kampagnen für seine Freilassung | |
| gibt es seit Jahrzehnten. | |
| Im Unterschied zu Manning und López Rivera ist der dritte prominente Fall | |
| noch nicht einmal verurteilt. Über Ex-Marinegeneral James Cartwright, | |
| früherer Vizechef des Generalstabes, sollte erst am 31. Januar ein Urteil | |
| fallen, weil er im Zuge einer Ermittlung gelogen haben soll. Höchststrafe: | |
| fünf Jahre. Stattdessen kommt Cartwright, ein Vertrauter Obamas unter den | |
| Generälen, nun frei. | |
| Mit den übrigen über 200 Begnadigungen und Straferlässen für aufgrund | |
| gewaltfreier Drogendelikte verurteilte Straftätern baut Obama seine Bilanz | |
| in diesem Bereich auf über 1.400 Begnadigungen aus. Dies war seine Methode, | |
| das Scheitern einer nachhaltigen Justizreform auszugleichen, mit der er | |
| eigentlich die Praxis viel zu langer Haftstrafen für Schwarze wegen | |
| kleinerer Drogenvergehen hatte beenden wollen. Noch bis zur offiziellen | |
| Amtsübergabe am Freitagmittag könnten weitere Begnadigungen hinzukommen, | |
| hieß es. | |
| Und nur so lange hat auch Leonard Peltier noch einen kleinen Rest | |
| Hoffnung. Den Ureinwohneraktivist Peltier wurde 1975 unter fragwürdigen | |
| Umständen als Mörder zweier FBI-Agenten zu zweimal „lebenslänglich“ | |
| verurteilt. Für ihn bedeutet Obama die letzte Chance, noch einmal die | |
| Freiheit zu erleben. Selbst der Staatsanwalt, auf dessen Betreiben er | |
| damals verurteilt wurde, fordert die Begnadigung des schwerkranken | |
| 73-Jährigen. Ein paar Stunden hat Obama noch. | |
| 18 Jan 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Strafverkuerzung-Wikileaks-Informantin/!5376013/ | |
| [2] http://www.nytimes.com/interactive/world/26warlogs.html | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Pickert | |
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