# taz.de -- Haftentlassung von Chelsea Manning: Mit der Courage einer freien Fr… | |
> Am Mittwoch verlässt die 29-jährige Chelsea Manning nach sieben Jahren | |
> das Gefängnis – für ein Leben in einem veränderten Land. | |
Bild: Fort Leavenworth, wo Chelsea Manning am Mittwoch entlassen werden soll | |
NEW YORK taz | Als „Geschenk an die Welt“ bezeichnet der alte Whistleblower | |
Dan Ellsberg die Neunundzwanzigjährige, die am Mittwoch das | |
Militärgefängnis Fort Leavensworth in Kansas verlassen wird: Sie sei „einer | |
von ganz wenigen Gründen, in dieser dunklen Zeit zu feiern“. Eine „Heldin�… | |
nennt der Journalist Glenn Greenwald sie. Und Chase Strangio, der in der | |
Bürgerrechtsgruppe ACLU die Rechte von Transgender-Leuten vertritt, spricht | |
von einer „Lichtgestalt“. | |
Für die so gerühmte Chelsea Manning beginnt an diesem Tag ein Leben, das | |
sie nie gekannt hat. Sie wird ihre ersten Schritte als freie Frau tun. Sie | |
ist weiterhin 45 Kilogramm leicht und nur 1,65 Meter groß. Aber in den zwei | |
Jahren, seit sie Hormone nimmt, sind ihr Brüste gewachsen und ihre Hüften | |
rundlicher geworden. Auch ihre Stimme hat sich nach oben verschoben. | |
Seit Präsident Barack Obama im Januar ihre vorzeitige Haftentlassung für | |
den 17. Mai dekretiert hat, sind ihre Tweets anders geworden: Sie gibt | |
weiterhin ihre kompromisslosen Stellungnahmen zum Geschehen außerhalb der | |
Gefängnismauern ab. Sie lobt die großen Frauendemonstrationen gegen den | |
neuen Präsidenten und kritisiert zugleich, dass dabei Transfrauen | |
ausgegrenzt waren. Sie schreibt über Obama, dass sie ihm „für immer | |
dankbar“ sei – und kritisiert kurz danach, dass er in seiner Amtszeit zu | |
nachgiebig war und zu wenig Bleibendes erreicht habe. | |
Aber ihr Twitteraccount ist nun zugleich ein Countdown in eigener Sache. | |
„Wenn die Perspektive der Freiheit dich nervös macht, weißt du, dass du | |
lange im Gefängnis warst“, schreibt sie am 20. April. Vier Tage später | |
frohlockt sie: „Der Albtraum endet bald. Hör nie auf zu träumen.“ Das ist | |
dieselbe Mischung aus Sensibilität, Zivilcourage und Entschlossenheit, mit | |
der sie als 22-Jähriger die Supermacht erschüttert hat. | |
## Einsamer junger Mann in der US-Basis „Hammer“ | |
Damals war sie Bradley Manning – ein Nachrichtenanalyst der US-Armee, der | |
in der Basis „Hammer“, 60 Kilometer östlich von Bagdad, im Einsatz war. Sie | |
war ein einsamer junger Mann, der eine schwere Kindheit mit geschiedenen | |
Eltern und eine chaotische Odyssee durch abgebrochene Ausbildungen und | |
zahlreiche Bundesstaaten der USA sowie eine Zeit im britischen Wales hinter | |
sich hatte. Manning hielt sich noch für schwul, hatte aber bereits eine | |
E-Mail mit einem Foto von sich selbst – geschminkt, unter einer blonden | |
schulterlangen Perücke – an Vorgesetzte im Militär verschickt. | |
Über den Bildschirm des jungen Nachrichtenanalysten flimmerten damals | |
schockierende Details über US-amerikanische Kriegsverbrechen in Afghanistan | |
und im Irak, über Folter in Guantánamo und über die Korruption bei | |
Verbündeten quer durch den Nahen Osten und im Maghreb. | |
Manche dieser Daten befanden sich seit Jahren in dem internen Netz, zu dem | |
Hunderttausende Geheimnisträger in den USA Zugang haben. Aber Manning war | |
der Einzige, der sie nicht mit seinem Gewissen vereinbaren wollte. Er | |
kopierte rund 720.000 davon, weil er fand, die Öffentlichkeit habe ein | |
Recht, sie zu kennen. Als Zeitungen, an die er sich wandte, kein Interesse | |
zeigten, gab er sie an die Enthüllungsplattform Wikileaks weiter. | |
Es waren die größten Leaks der US-Geschichte und sie machten weltweit | |
Furore. In arabischen Ländern beschleunigten sie die Aufstände gegen | |
Diktatoren. In den USA boten sie Antimilitaristen neue Munition, und | |
Außenministerin Hillary Clinton musste Botschafter wegen deren | |
beleidigenden Depeschen ersetzen und auf eine Entschuldigungstour in die | |
Hauptstädte von „Teflonkanzlerinnen“, „Alpha-Rüden“, „schwachen | |
Persönlichkeiten“ und anderen von US-Geheimdiensten beschnüffelten Freunden | |
gehen. | |
## Erniedrigt und isoliert | |
Die Supermacht rächte sich nach Kräften an dem Mann, der ihre schmutzigen | |
Geheimnisse gelüftet hatte. Bradley Manning kam – erst in Kuwait, dann in | |
der Kaserne Quantico – in Isolationshaft. Nachts wurden ihm Kleider und | |
Brille weggenommen, morgens musste er gelegentlich nackt zum Appell | |
antreten. „Er soll sich nichts antun“, begründeten die Wärter. „Folter�… | |
stellten Amnesty International und ein Experte der UNO fest. „Grausam und | |
unmenschlich“, entschied ein Militärrichter. | |
Im nur eine Autostunde westlich gelegenen Washington nannten Politiker | |
beider Parteien Manning einen „Verräter“. Manche wünschten öffentlich, d… | |
er an die Wand gestellt würde. Als der Sprecher der Außenministerin den | |
Umgang mit dem Gefangenen „lächerlich und kontraproduktiv“ nannte, verlor | |
er umgehend seinen Job. | |
Bei seinem Prozess vor einem Militärgericht auf dem hermetisch von der | |
Öffentlichkeit abgeriegelten Gelände des Geheimdienstes NSA wurde Manning | |
im Sommer 2013 unter anderem wegen Diebstahl öffentlichen Eigentums und | |
Spionage zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt. Lediglich der Anklagepunkt | |
„Kollaboration mit dem Feind“ wurde fallen gelassen. Es war die höchste | |
Strafe, die je ein Whistleblower in den USA bekommen hat. | |
## Nummer 89289 | |
„Ich bin Bradley Manning“, stand auf T-Shirts, die Menschen bei | |
Demonstrationen in Kabul, Melbourne und Berlin trugen. Aber der Mann, dem | |
sie dankten, kündigte am Tag nach seiner Verurteilung an, dass er eine Frau | |
werden würde und fortan Chelsea war. Sie verschwand im Militärgefängnis | |
Fort Leavenworth, wo mehr als 420 Männer gefangen sind. Sie wurde die | |
Nummer 89289, stellte Holzbilderrahmen in einer Werkstatt her und musste | |
ertragen, dass ihr Haar militärisch kurz geschnitten wurde. | |
Draußen hatte sie eine heterogene Gruppe von Unterstützern: Dazu zählten | |
Whistleblower wie Ellsberg, der 1971 die „Pentagon-Papers“ über den | |
Vietnamkrieg öffentlich gemacht hatte, ebenso wie Kriegs-Veteranen, | |
Pazifisten – und zunehmend auch Transfrauen, die spürten, dass ihnen in dem | |
Männergefängnis eine starke neue Mitstreiterin heranwuchs. | |
Chelsea musste hart kämpfen, bis sie die Hormone und die Erlaubnis bekam, | |
sich dezent zu schminken und einen BH zu tragen. 2016 machte sie einen | |
fünftägigen Hungerstreik und einen Suizidversuch. Daraufhin wurde sie in | |
eine Isolierzelle gesperrt, wo sie einen zweiten Suizidversuch unternahm. | |
Erst im Herbst kam die Nachricht, dass ihr Antrag auf eine Operation | |
bewilligt war. | |
## Trump nennt sie eine „undankbare Verräterin“ | |
„Wenn sie nicht rauskommt, wird sie es nicht bis zu ihrem 30. Geburtstag | |
schaffen“, warnten Transfrauen damals. Bis Januar unterzeichneten 115.000 | |
Personen eine Petition an Präsident Obama. Es war die letzte Chance. Kaum | |
war Donald Trump im Weißen Haus angekommen, twitterte er: „Die undankbare | |
Verräterin, die niemals hätte freikommen sollen, nennt Barack Obama einen | |
schwachen Führer. Schrecklich.“ | |
Der heute 86-Jährige Whistleblower Ellsberg, der dafür geschätzt wird, | |
dass er mit seinen Enthüllungen zum Ende des Vietnamkriegs beitrug, hatte | |
Manning einmal im Gerichtssaal von Fort Mead zugerufen: „Hi, Bradley, ich | |
bin Dan Ellsberg.“ Dafür wurde er umgehend aus dem Saal geschleppt. | |
Ellsberg wollte Chelsea Manning an diesem Mittwoch eigentlich vom Gefängnis | |
abholen. Doch die hat entschieden, dass sie ihr neues Leben in Maryland | |
gehen will – vorsichtig, ohne Begrüßungskommitees und Interviews. Ihre | |
Unterstützer haben in einem „Welcome Home Fund“ Geld für ihren Start | |
gesammelt. | |
Sie hoffe, hat Chelsea Manning kurz vor ihrer Freilassung geschrieben, dass | |
sie die Dinge, die sie im Gefängnis gelernt, und die Liebe, die sie | |
erfahren habe, zum Guten einsetzen könne: „Ich will arbeiten, um das Leben | |
für die anderen besser zu machen.“ | |
16 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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