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# taz.de -- Debatte Präsidentschaft Barack Obamas: Wir wussten ihn nicht zu w�…
> Würde, Gelassenheit und viele Anfeindungen: Die Schwarzen zu
> repräsentieren, war für ihn eine Last. Aber Obama zeigte das nie.
Bild: Time to say goodbye
Wer in den USA irgendwo der oder die erste Schwarze ist, folgt einem
bestimmten Verhaltenskodex: Zeig deine besten Manieren und tritt niemandem
zu nahe.
Manche werden darauf hinweisen, dass Barack Obama nicht so angefangen hat.
Aber er hat sich immerhin dafür entschieden, unter denen zu leben und zu
lernen, die – wie das Mädchen aus der South Side von Chicago, Michelle La
Vaughn Robinson – wissen und verstehen, was es heißt, in den USA
irgendetwas als Erstes zu sein.
Ich bin unter solchen Leuten aufgewachsen. Ich denke an Cynthia Long und
Charles James, zwei schwarze Kinder, die auf die weiße Schule am anderen
Ende der Stadt geschickt wurden – stellvertretend für uns von der schwarzen
Seite.
Das war Ende der 50er Jahre, als die bisher segregierten Schulen in den
Südstaaten aufgrund einer gerichtlichen Anordnung begannen, integriert zu
werden. Die Kinder wurden normalerweise von der schwarzen Community selbst
ausgewählt. Sie hatten meist – und nicht zufällig – eine ein wenig hellere
Hautfarbe, gute Manieren und waren klare Einserschüler, die stets pünktlich
ihre Hausaufgaben abgaben.
## Hoffnungen
Die ersten schwarzen Schüler auf bis dahin weißen Schulen waren nicht nur
sorgfältig ausgewählt. Sie wurden auch auf die Rolle vorbereitet, die sie
zu spielen hatten – unter ständiger Beobachtung, beurteilt von und
verglichen mit Weißen, und immer den Rat im Ohr, „doppelt so hart zu
arbeiten und doppelt so gut zu sein“.
Lange Zeit glaubten Afroamerikaner, ihr Schicksal hinge davon ab, ob die
Ersten, die sich außerhalb der Community positionieren, es schaffen oder
scheitern. Erst vor Kurzem sind wir so weit, die Schmach eines anderen
Schwarzen nicht als Schande für die ganze Gruppe zu sehen. Aber einige von
uns – mich eingeschlossen – halten es bis heute kaum aus, Serena Williams
spielen zu sehen: Zu viele unserer Hoffnungen hängen von ihrem Sieg oder
ihrer Niederlage ab.
Schwarze, die wie ich nach den „Ersten“ kamen, in den 1970ern, als mehr und
mehr Schwarze Zugang zur Mehrheitsgesellschaft erhielten, wurden von
Vertretern weißer Institutionen ausgewählt. Wir begrüßten die Chancen,
verstanden aber nicht immer, welche Verantwortung damit einherging. Wir
waren frecher, längst nicht so bescheiden – aber wir trafen auf dieselben
Vorurteile bezüglich unserer Fähigkeiten wie die Schwarzen, die vor uns
gekommen waren; von uns wurde dieselbe Dankbarkeit erwartet; und wir
mussten uns noch immer in einem Umfeld bewegen, dass uns feindlich gesinnt
war.
## Vertrauen
Daryl Scott, Geschichtsprofessor an der Howard University, sagt: „Die
Schwarzen unserer Generation, die heute den Präsidenten kritisieren, hätten
die ständigen rassistischen Angriffe, denen er ausgesetzt war, vermutlich
keine acht Jahre durchgehalten.“ Scott meint, das sei schlimmer als alles,
wo wir durchmussten. Und dass er selbst wohl auch zu jenen gehört hätte,
die weit schärfer reagiert hätten – und „dabei zerbrochen wären, nicht m…
funktioniert hätten“.
Barack Hussein Obama war wie kein anderer geeignet, damit klarzukommen, der
erste schwarze Präsident der USA zu sein – aus dem gleichen Grund, aus dem
Branch Rickey seinerzeit Jackie Robinson ins Team berief, um den Major
League Baseball zu entsegregieren: Er hatte genug moralisches Rückgrat, um
die damit einhergehenden rassistischen Angriffe zu überstehen. Mit einem
Unterschied: Obama wählte nicht ein Einzelner aus, sondern ein ganzes Land.
Obama startete mit einem kurzen, aber beeindruckenden Lebenslauf: drei
Jahre als demokratischer Senator aus Illinois, der Kollegen auf beiden
Seiten des politischen Spektrums für sich einnehmen konnte; ein großartiger
Auftritt als Hauptredner beim demokratischen Parteitag 2004; Redakteur der
Harvard Law Review; Verfassungsrechtler, Gemeindeaktivist – und immer als
Extrabonus sein Hintergrund als Sohn eines kenianischen Ziegenhirten und
eines amerikanischen Mädchens aus Kansas.
## Befürchtungen
Obama muss das Rampenlicht vorausgesehen haben, dem er und seine Familie
stehen würden; er muss gewusst haben, welche Erwartungen, Hoffnungen und
Befürchtungen er geweckt hat, hier in den USA und im Ausland, wo
begeisterte Menschenmengen an seinen Lippen klebten. Das mag erklären,
warum er so ein vorsichtiger Redner wurde, immer bedacht darauf, nicht zu
viel zu versprechen – auch wenn das wenig Einfluss darauf hat, was die
Menschen in ihn hineininterpretieren.
Er wirkte so unglaublich jung, als er seine Kandidatur bekannt gab, an
jenem kalten Wintermorgen in Springfield, dem Beispiel Lincolns folgend.
Seine Chancen zu siegen, schienen vielen von uns eher denen von Reverend
Jesse Jackson 1984 und 1988 zu ähneln.
Damals thematisierte Obama seine Hautfarbe nicht – genauso wenig wie
während des Wahlkampfs. Hier und da bezog er sich auf Martin Luther King.
Die einzige Ausnahme ist seine Rede in Philadelphia, die er hielt, um das
Tohuwabohu zu beruhigen, das durch die hitzige Rhetorik seines Seelsorgers,
des Chicagoer Pastoren Jeremiah Wright, entstanden war und drohte, seinen
Wahlkampf in eine Sackgasse zu führen.
Ich sah Obama als jemanden, der eher global denkt – über die USA und seinen
Platz in der Welt – und nicht als jemanden, der sich aufgrund seiner
Hautfarbe an irgendetwas gebunden fühlt. Dieser Blick auf ihn veränderte
sich später, als er immer tiefer in politische Machtkämpfe hineingezogen
wurde.
## Zweifel
Ich bemerkte, dass weiße Amerikaner Obama nicht so sahen, wie sie die
meisten Afroamerikaner sehen, auch wenn er sich ganz klar als solcher
identifizierte. Für viele schufen seine weiße Mutter und sein
eingewanderter Vater eine angenehme Distanz zur Geschichte des Landes. Das
war kein Nachkomme von Sklaven, und das nahm vielen Weißen das Unbehagen,
das ihnen schwarze Amerikaner bereiten, die mit dieser Vergangenheit
verbunden sind.
In einem kürzlich im The Atlantic erschienen Artikel schreibt Ta Nehisi
Coates unter dem Titel „Mein Schwarzer Präsident“, dass auch Obama durch
seine Erfahrung, von einer fürsorgenden weißen Familie aufgezogen worden zu
sein, ihm mehr Vertrauen in Weiße ermöglichte, was ihn zweifelsfrei für
große Teile der Öffentlichkeit anschlussfähig machte.
Nachdem ich seine Autobiografie „Dreams from my Father“ (Deutscher Titel:
„Ein amerikanischer Traum: Die Geschichte meiner Familie“) gelesen hatte,
war mir klar, dass er durch angestrengtes Denken zu seiner Identität
gekommen war – und durch viele Lebenserfahrungen, die viele weiße
Amerikaner gern übersehen oder herunterspielen. Vor dieser Identität lief
er nicht fort, sondern er nahm sie an, inklusive der für die schwarze
Community typischen Sprache und ihrem typischen Stil. Die Schwarzen zu
repräsentieren, war eine Last für ihn, aber das zeigte er nie.
Die schwarzen Amerikaner waren anfangs zögerlich und voller Zweifel – aber
es dauert nicht lange, bis wir das änderten. Vielleicht mochten wir seine
Appelle, uns am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, nicht besonders,
denn obwohl sie vor schwarzem Publikum formuliert wurden, war die Botschaft
doch an die Weißen gerichtet: Er gehörte nicht den Schwarzen, was auch
immer wir forderten. Die meisten von uns waren anfangs für Hillary.
Scott meint: „Obama wusste, dass er uns nicht aufgrund unserer Hautfarbe
helfen konnte.“
## Erwartungen
Die Erwartungen, die die Amerikaner aufgrund ihrer Erfahrung, in diesem
Land zu leben, in Obamas Präsidentschaft legten, sind Bestandteil seiner
beiden Amtszeiten. Traditionelle Republikaner, Neoliberale,
Mainstram-Demokraten und fortschrittliche Linke projizierten in ihn hinein,
was immer sie in ihm sehen wollten.
Angesichts der militärischen Pattsituationen, die Dank der Regierung
Bush/Cheney im Irak und in Afghanistan herrschten, einer Wirtschaft im
freien Fall, der Rekordarbeitslosigkeit und dem Zerfall der Infrastruktur
unseres Landes war die Linke (wie sie nun mal ist) voller Hoffnung, dass
das Pendel nun in ihre Richtung schlagen würde. Vielleicht wirkte nichts
fortschrittlicher als ein sanftmütiger, schwarzer Mann, der gegen den
Irakkrieg war. Er war nicht gegen alle Kriege – nur gegen die definitiv
verlorenen.
Die Enttäuschung begann früh – zumindest für die, die dachten, angesichts
eines Veto-unfähigen Senats hätte der Präsident ein größeres
Konjunkturpaket auflegen, mehr für die Hausbesitzer und den Wiederaufbau
des Landes tun sollen.
Sollte er, wie es sein Natur zu sein scheint, gehofft haben, ein paar
Republikaner auf seine Seite zu bringen und gute Beziehungen für die
Zukunft aufzubauen, dann hat er sich vertan: Nicht ein Republikaner
unterstützte sein „Aufschwungs- und Reinvestitionsgesetz“.
## Wünsche
Diese Leute interessierten sich mehr dafür, ihn zu besiegen, als das Land
zu retten. Und dieselben Leute schaffen es nun nicht, seine Regierung dafür
zu würdigen, effektiver mit der Finanzkrise umgegangen zu sein als andere
entwickelte Staaten, die hinter der gesunkenen Arbeitslosigkeit eher eine
entmutigte Bevölkerung als die 11 Millionen neuer Jobs vermuten, die die
meisten Wirtschaftswissenschaftler der Politik zuschreiben, die der
Präsident durch den Kongress angeschoben hat.
Obama hat früh signalisiert, dass die Vereinigten Staaten nicht die
Bürgerkriege anderer Länder führen sollte. Ich hab mich trotzdem oft
gefragt, ob sein (zweiter Vor-)Name die Erwartungen in der arabischen und
muslimischen Welt nicht mehr gefüttert hat als seine Person oder das, was
er sagte. Er wird beschuldigt, den Aufruhr nach dem Arabischen Frühling
verursacht zu haben; dafür, die Leute zum Übergang zur Demokratie ermutigt
zu haben, ohne diesen Prozess militärisch und wirtschaftlich zu
unterstützen.
Afroamerikaner habe ihr eigenes Set von Beschwerden – obwohl ein genauerer
Blick zeigt, dass auch wir von Steuersenkungen, der Rettung der
Ausbildungs- und Arbeitsplätze in der US-Autoindustrie und anderer
Maßnahmen profitiert haben. Ganz zu schweigen von den Justiz- und
Strafrechtsreformen, die unfaire Verurteilungen, exzessive Gewaltanwendung
und Bürgerrechtsverletzungen durch die Polizei beendete, die Afroamerikaner
weit mehr bedrohten als andere.
Ich hätte mir gewünscht, dass Präsident Obama härter gekämpft hätte für
eine allgemeine Krankenversicherung, das Schließen des Gefängnisses in
Guantánamo, Mindestlöhne, höhere Steuern für Konzerne und eine Begrenzung
der Bonizahlungen für Wall-Street-Manager. Ich hätte gern, dass Polizisten
für das Töten von Schwarzen und anderen Menschen nicht nur angeklagt
werden, sondern auch verurteilt. Aber ich erwarte angesichts des
derzeitigen US- „Zeitgeists“ nicht, dass das passiert.
## Angst
Mal ehrlich: Abseits aller Enttäuschungen, aller Was-wäre-wenns – ich bin
schon erstaunt, wie die meisten von uns darauf warteten, dass etwas
passiert; wie fern wir uns unserer Regierung fühlten; wie sehr wir
Veränderungen erwarteten und wie wenig wir dafür taten; und wie wir alle
Jahre wieder die selben Leute in den Kongress entsenden.
Die beste Bewertung Obamas ist die, die die Realität des schwarzen Mannes
berücksichtigt, der er ist; eines schwarzen Mannes, der in den Vereinigten
Staaten zu einem Maß an Macht kam, die noch nie ein Schwarzer in einem
vergleichbaren Land innehatte; und dass er damit tatsächlich die
Erwartungen an Amerika in einem Maß repräsentiert, bei dem selbst
Amerikanern angst und bange wird.
Wie sonst könnte man die Art erklären, mit dem dieser Mann dämonisiert
wurde – als Pseudo-Marxist, heimlicher Dschihadist und Kenianer, um nur ein
paar Beispiele zu nennen. Die Opposition hatte nicht nur kein Problem mit
diesen unverschämten Respektlosigkeiten; sie lehnte es auch ab, sie mit
diesem Präsidenten zu treffen oder gar zu verhandeln.
Ich erinnere mich an die Zeit, als es immer klarer wurde, dass Barack Obama
wirklich Präsident werden würde. Damals sagte ein Taxifahrer in Washington
zu mir: „Ich hasse es fast, ihn gewinnen zu sehen, denn wir werden das
teuer bezahlen müssen.“ Abseits von der ständigen Angst um sein Leben haben
schwarze Menschen in den USA Angst vor dem „Backlash“, bei dem auf
Fortschritte in den Beziehungen zwischen den Rassen erneuerte und größere
Feindseligkeiten folgen könnten.
Traurigkeit
Barack Obama absolvierte seine beiden Amtszeiten so würdevoll wie die zuvor
genannten erfolgreichen „Ersten“; dabei bewahrte er Gelassenheit auch unter
dem Blick von Leuten, die bestritten, dass es überhaupt etwas
Außergewöhnliches am ihm gab. Stuart Hall, ein Multikulturalist und
schwarzer Intellektueller im englischen Birmingham fasste zusammen: „Die
Wahl eines schwarzen Präsidenten. Es ist historisch.“ Lasst uns nicht so
tun, als seien wir so anspruchsvoll , dass das nicht zählt.
Während die Republikaner beginnen, Obamas Erbe zu zertrümmern, beobachtet
der ehemalige Time-Magazine-Journalist Jack White: „Trumps Günstlinge
können Obamacare abschaffen und ersetzen – aber sie werden nie die
Erinnerung an die erste afroamerikanische Familie löschen, die im Weißen
Haus wohnte.“ Anmut, Würde, Intellekt und Beredsamkeit der Obamas werden
die Amerikaner weiter begeistern. Letztendlich wird die Erinnerung an Obama
mehr prägen, wer er war, als was er getan hat. Am Ende der Amtszeit des
ersten schwarzen US-Präsidenten sind 60 Prozent der Bürger mit seiner
Arbeit zufrieden.
Während die Obamas sich auf ihr neues Leben vorbereiten, erfasst mich eine
Traurigkeit – nicht wegen irgendeiner Katastrophe, die uns bevorstehen
könnte, obwohl das tatsächlich absolut möglich ist, sondern wegen dem, was
wir als Land nicht wirklich bereits waren, zu würdigen.
Aber ich bin auch froh über das Gute, dass uns Obamas Präsidentschaft
gebracht hat: über die jungen Leute, die dazu gebracht wurden, an unserer
Gesellschaft teilzunehmen; die Freunde, die sich aufrafften, ebenfalls für
Ämter zu kandidieren; und all die anderen, die ihre Komfortzonen verließen,
um andere zu ermutigen, sich einzumischen. Und weil sie merkten, dass man
die Politik nicht nur einem Mann überlassen kann – egal wie gut er ist.
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Bernd Pickert, Rüdiger Rossig
20 Jan 2017
## AUTOREN
Brenda Wilson
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