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# taz.de -- Buch über Barack Obamas Präsidentschaft: Der große Hunger nach D…
> Vor neun Jahren zog Obama ins Weiße Haus. Im Buch „We Were Eight Years in
> Power“ schreibt Ta-Nehisi Coates über die Ära aus schwarzer Perspektive.
Bild: Was er wohl gerade macht?
So verschieden diese beiden Männer auch sind – oder vielleicht besser: So
verschieden die Welten sind, die sie repräsentieren; sie gehen Hand in
Hand. Den einen kann es nicht ohne den anderen geben. Am Samstag vor neun
Jahren wurde mit Barack Obama der erste schwarze Mann als Präsident der USA
vereidigt. Am Samstag jährt sich auch zum ersten Mal die Vereidigung Donald
Trumps.
Viele sagen, ein schwarzer Präsident habe die Wahl Trumps erst möglich
gemacht. Es sagen vor allem die, die damals nicht glauben wollten, dass
Trump, der sich zumindest selbst für den am wenigsten rassistischen
Menschen auf Donalds schöner Erde hält, tatsächlich Präsident wurde.
Einer dieser Menschen ist der Autor und Journalist Ta-Nehisi Coates. Er
hätte nie gedacht, dass dieses Amerika, das einst Barack Obama zum
Präsidenten wählte, auch Donald Trump zum Sieg verhelfen würde. Aber jetzt,
im Nachhinein, kommt es ihm schlüssig, vielleicht sogar zwingend vor. Nur
nach acht Jahren mit einer schwarzen Familie im Weißen Haus habe eine
rassistische Agenda wie die Trumps triumphieren können, sagt Coates. Kein
anderer steht so sehr für die Idee weißer Vorherrschaft wie Trump – gerade,
weil er seine politische Agenda in totaler Abgrenzung zu Obama formuliert.
Und so den ganzen Frust, die Vorurteile, die Abstiegsangst, den Wunsch
nach Veränderung, den Hass der Weißen auf einen Schlag auffangen konnte.
Deswegen nennt Coates Obamas Nachfolger auch den „ersten weißen
Präsidenten“.
Im Oktober veröffentlichte Coates sein Buch „We Were Eight Years in Power.
Eine amerikanische Tragödie“. Im März wird es auch auf Deutsch erscheinen.
Der Band enthält Essays und Reportagen, die er für das Magazin The Atlantic
in den acht Jahren Obama geschrieben hat. Es ist das zweite nichtfiktionale
Buch, mit dem Coates als schwarzer Intellektueller die große Bühne
bespielt.
## In der Tradition widerständiger Autor*innen
In den USA gibt es derzeit einen Hunger nach Deutung und ein großes
Publikum für Bücher, die den US-amerikanischen Rassismus zu ergründen
versuchen. Es ist also kein Zufall, dass Colson Whitehead mit seinem Buch
„Underground Railroad“ im vergangen Jahr den Pulitzer-Preis gewann. Auch in
Deutschland fand der Roman über die Abgründe der Sklaverei sein Publikum.
Die Aufmerksamkeit für das Schreiben schwarzer Autor*innen sei bereits vor
zehn Jahren mit Obamas Präsidentschaftskandidatur gewachsen, schreibt
Coates in „We Were Eight Years in Power“. Genau in diesen Zusammenhang
stellt Coates seinen eigenen Aufstieg als Reporter bei The Atlantic sowie
den Aufstieg anderer schwarzer Journalist*innen. Seit seinem Essayband
„Zwischen mir und der Welt“ gilt Coates als einer der wichtigsten schwarzen
Intellektuellen der USA.
Er sieht sich selbst in einer Tradition schwarzer Autor*innen, die
notwendigerweise widerständig sind. Sein Schreiben ist flirrend, poetisch.
Manchmal klingt es fast nach HipHop. „So l loved hard since I would not
love for long“, schreibt Coates. Und überall steht ein Ich: Wenn er über
die symbolische Macht von Michelle Obama schreibt ebenso wie wenn er sich
mit schwarzem Konservatismus beschäftigt. Er markiert sich selbst. Es ist
immer klar: Hier schreibt ein schwarzer Körper.
In seinem aktuellen Buch geht es daher nicht nur um Obama, es geht sehr
viel um ihn selbst. Das „Ich“ wird im Journalismus oft belächelt, manchmal
auch versteckt. Aber er könne sein Schreiben nicht von seinem Leben
trennen, betont Coates immer wieder. Er formuliert eine radikale
Subjektive.
## Man kann ihn nicht einfach mit „Rasse“ übersetzen
Man würde dieses Buch auch in Deutschland so gerne in die Hand nehmen, um
das Hier und Jetzt ein bisschen besser zu verstehen. Den Einzug einer
rassistischen Partei in den Deutschen Bundestag.
Aber einen Blick auf den US-amerikanischen Diskurs zu werfen, um über
Rassismus hier zu sprechen, ist gar nicht so leicht. Es fängt schon mit dem
Begriff Race an. Man kann ihn nicht einfach mit „Rasse“ übersetzen. Wenn in
den USA von Race die Rede ist, geht es nicht nur um biologische Merkmale.
Der Begriff hat einen ganz anderen Bedeutungszusammenhang als im Deutschen.
Race ist eine politische Kategorie, keine biologische. Es geht nicht nur um
Hautfarbe, es geht um Kultur, um Nationalität. Aber wie dann?
Vielleicht kann man es auch einfach nicht übersetzen. Schließlich ist die
Sprache, in der über Rassismus nachgedacht, gesprochen und geschrieben
wird, auch Ausdruck einer jeweils spezifischen Idee von Rassismus. Race ist
eben nicht die entscheidende Kategorie, entlang derer in Deutschland
Rassismus wirkt. Die wäre wohl eher „Migrationshintergrund“. Das wiederum
lässt sich auch nicht übersetzen.
Neulich stand in dieser Zeitung in einer Nachricht über die Verlobung von
Prinz Harry mit Meghan Markle, diese habe einen Migrationshintergrund. Das
stimmt eigentlich nicht. Sie ist US-Amerikanerin. Sie ist schwarz. Sie ist
Afroamerikanerin. Im Britischen könnte man sagen, sie ist mixed raced. Ihre
Mutter ist schwarz, ihr Vater weiß. Das klingt für deutsche Ohren zwar
verdächtig nach „Rassenschande“ und rassistischer Hetze wie der gegen Noah
Becker, dem Sohn von Boris Becker, vor wenigen Wochen. Aber in
Großbritannien gibt es eine junge Generation, die sich stolz als mixed
raced bezeichnet und diesen Begriff positiv für sich besetzt. Wie etwa die
Aktivistin und Model Adwoa Aboah.
## „Barack Obama sprach in einer neuen Sprache“
Nein, Meghan Markle hat keinen Migrationshintergrund, und trotzdem ist es
im Deutschen wohl die beste Möglichkeit, um auszudrücken, dass eine Person
von Rassismus betroffen ist. Im US-amerikanischen Kontext könnte man auch
von biracial sprechen. Es betont noch mal mehr, dass ein Elternteil weiß,
der andere schwarz ist. Da schwingt die color line zwischen Schwarz und
Weiß mit, an der sich in den USA Rassismus so oft festmacht.
Barack Obama ist biracial. Und genau darin sieht Ta-Nehisi Coates eine
Qualität, die Obamas Wahlsieg 2008 in seinen Augen erst möglich machte.
Die schwarze Bürgerrechtsbewegung ist alt und müde geworden. So liest es
sich bei Ta-Nehisi Coates, wenn er über das Jahr 2008 schreibt. Eine
Bewegung ohne Helden. Coates selbst verspürte damals die Sehnsucht nach
einer neuen Gallionsfigur. Und dann kommt dieser intelligente,
charismatische Jurist, der sich ohne Zögern als schwarzen Mann bezeichnet.
Coates ist fasziniert, wie Obama bei weißen Wähler*innen punktet. Das ist
bemerkenswert in einer Zeit, in der der schwarzen Community immer wieder
vorgeworfen wird, die „Rassismus-Karte“ zu spielen. Also eine
Diskriminierung anzuprangern, die scheinbar nicht existiert. Oder
vielleicht doch existiert, aber bestimmt nicht mehr so schlimm ist wie
früher, als Schwarze in Ketten geboren wurden. Das ist ja lange vorbei.
Diese Faszination lässt ihn auch in den Folgejahren nicht mehr los. „Barack
Obama sprach mit den Weißen wie in einer neuen Sprache, als ob er ihnen
wirklich glauben und vertrauen würde“, schreibt Coates. Es geht bei ihm
sehr viel um die symbolische Macht eines schwarzen Präsidenten.
## Dann löschte er seinen Account
Wenn man ihn aber liest, um Rassismus auch in Deutschland besser zu
verstehen, stößt man auf ein Problem, das viel tiefer liegt: Die Geschichte
ist eine ganz andere. In seinem Buch „Zwischen mir und der Welt“ spricht
Coates von Polizeigewalt und dem amerikanischen Traum, der auf der
Ausbeutung schwarzer Körper geträumt und gelebt wird – immer noch. Es geht
um Sklaverei und darum, wie sie sich noch immer fortschreibt. Coates
zeichnet eine lange Linie, die bis in den institutionellen Rassismus von
heute reicht.
Die lange Historie der Unfreiheit hat sich in die schwarzen Körper
eingeschrieben. Bildung kann dich nicht schützen, schreibt Coates an seinen
Sohn gerichtet. Und auch Assimilation kann dich nicht schützen, wenn du
nachts von einem Polizisten angehalten und erschossen wirst, weil er dich
für einen flüchtigen Drogendealer hält.
Für Coates folgt daraus nichts anderes als Pessimismus. Er will an keine
Befreiungserzählung glauben, weder an eine religiöse noch an eine
politische. Er zieht sich zurück: auf sein Schreiben, seine Freunde und
Familie. Niemand könne ihn befreien aus der Ungerechtigkeit seiner
schwarzen Existenz, schreibt er. Es ist ein Nihilismus, der aber nicht ohne
Liebe auskommt. Coates formuliert eine Lebensphilosophie des eigenen
Standpunkts, der eigenen Realität. Denn wenn du Systeme in Frage stellst,
weil du ihre Ungerechtigkeit am eigenen Leib spürst; wenn du keine Hoffnung
auf eine glückliche Wendung hegst, dann bleiben nur das Ich und die eigene
Erfahrung.
Genau das wirft der Harvard-Philosoph Cornel West ihm vor. So vehement,
dass Coates sich sogar aus der öffentlichen Auseinandersetzung zurückzog.
Im Dezember schrieb West im Guardian, er könne nicht verstehen, warum
Coates’apolitischer Nihilismus so gut ankomme. Er liest darin nicht nur
eine Abwertung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, sondern auch eine
Fetischisierung von White Supremacy. „Er stellt sie allmächtig, magisch
und unveränderlich dar“, schreibt West. Coates sei das neoliberale Gesicht
der schwarzen Bewegung. „Die Obama-Ära war eine Präsidentschaft der Wall
Street, der Drohnen, der staatlichen Überwachung“, sagte West später dem
Time Magazine. Doch Coates schreibe nur von Obamas Glanz.
Coates reagierte. Auf seine Weise: Erst twitterte er „peace y’all. i’m ou…
I didn’t get in it for this“. Dann löschte er seinen Account, mit dem er
eine Millionen-Reichweite hatte, den er mit viel Talent für die kurze Form
und wohl auch Leidenschaft bespielt hatte.
Schade, dass Coates einfach aufgehört hat zu senden. Denn genau diesen
Disput zwischen schwarzen Intellektuellen braucht es. Denn genau jetzt
schauen alle hin. Und das braucht man auch hier. Die Welt sollte von mehr
Stimmen gedeutet werden als nur von denen, für die die drängendste Frage
der Zeit lautet: Bist du für oder gegen Political Correctness?
19 Jan 2018
## AUTOREN
Amna Franzke
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