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# taz.de -- Colson Whitehead über US-Rassismus: „Sehe mich nicht als Sprachp…
> Für seinen Roman „The Underground Railroad“ wurde der Schriftsteller
> Colson Whitehead mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Seitdem schläft er
> besser.
Bild: Colson Whitehead: „Das Härteste war für mich eigentlich die Recherche…
Eine Hotellobby am Berliner Kurfürstendamm. Colson Whitehead hat gerade
einen Mittagsschlaf gemacht und eine Zigarette geraucht. Jetzt ist er da,
pünktlich auf die Minute – und bestellt sich einen Cappuccino.
taz am wochenende: Herr Whitehead, 2016 gewannen Sie mit Ihrem Roman
„Railroad Underground“ den National Book Award, 2017 den Pulitzerpreis. Hat
jemand, der so erfolgreich ist, auch mal Angst vorm Schreiben?
Colson Whitehead: Als ich mit dem Schreiben anfing, hatte ich Angst, dass
ich meine Rechnungen nicht bezahlen kann. Das hat mich allerdings
motiviert, immer mehr zu schreiben. Später hatte ich Angst, dass ich eine
gute Idee in den Sand setzen könnte. Bei meinem letzten Roman, „Underground
Railroad“, war es so, dass ich die Idee dazu schon Anfang der Nullerjahre
hatte, aber das Projekt immer wieder aufschob, weil ich nicht wusste, ob
ich es stemmen kann. In der Zwischenzeit habe ich andere Bücher
geschrieben.
Dann hilft Angst also beim Schreiben.
Manchmal. Wenn die Angst dich nicht paralysiert, dann kann sie helfen.
„Underground Railroad“ ist innerhalb eines Jahres zum internationalen
Bestseller geworden. Wie wirkt der Erfolg auf Sie?
Ich genieße ihn natürlich. Ich wache nicht mehr verzweifelt um 4 Uhr
morgens auf und denke an den Tod, sondern schlafe aus und bin gut gelaunt.
Aber der Erfolg erleichtert meine Arbeit leider nicht. Ich habe im Frühjahr
angefangen; an etwas Neuem zu schreiben, und es ist wirklich sehr schwer
reinzukommen. Es ist eigentlich immer schwer. Wenn dir das Schreiben
leichtfällt, dann machst du höchstwahrscheinlich etwas falsch.
Schreiben Sie denn an einem bestimmten Ort?
Manchmal verlasse ich New York für ein paar Wochen – für eine intensivere
Schreibphase. Aber eigentlich schreibe ich meistens und am liebsten zu
Hause. Ich mag es, zwischendurch einen Mittagsschlaf zu halten, mir ein
Sandwich zu schmieren oder einfach rumzuhängen, wie man es nur im eigenen
Haus tun kann.
Wie lange haben Sie überhaupt an „Underground Railroad“ gearbeitet?
Fast ein Jahr.
Ihr Roman handelt von Sklaverei und dem Plantagenalltag in den
US-Südstaaten des 19. Jahrhunderts. Auch wenn es kein historischer Roman im
klassischen Sinne ist, erzählen Sie viel über die damalige Zeit. Haben Sie
vorab lange recherchiert – oder tun Sie das währenddessen?
Das meiste mache ich vorher. Für dieses Buch habe ich mir vor allem die
Slave Narratives …
… also die autobiografischen Erzählungen ehemaliger Sklaven …
… angeschaut. Erst als ich genug Material hatte, fing ich mit dem Schreiben
an. Gegen Ende kam dann eine neue Ebene hinzu, für die ich das Schreiben
noch mal abbrechen und über Grabräuber recherchieren musste. Es kommt immer
total darauf an, wohin sich die Geschichte entwickelt.
Wie sehr ließen Sie sich beim Schreiben von der Gegenwart beeinflussen?
Sehr. Als ich an den Lynchszenen saß, habe ich mich oft gefragt: Okay,
übertreibe ich vielleicht gerade? Und dann lief eine Rede Trumps im
Fernsehen und die Leute im Hintergrund haben voller Inbrunst all diese
verrückten Dinge geschrien. Antimuslimische, antimexikanische, sexistische
Parolen. Traurigerweise hat das meine Szenen nur bestätigt. Ich übertrieb
nicht. Genauso empfinden Amerikaner, und so haben sie schon immer
empfunden.
Sie arbeiten mit Elementen des magischen Realismus. Die „Underground
Railroad“ – die ein Netzwerk von Abolitionisten beschreibt, das früher
Sklaven half, in den Norden zu fliehen – ist in Ihrem Roman zu einer
richtigen Eisenbahn im Untergrund geworden. An einer Stelle heißt es:
„Manchmal ist eine nützliche Illusion besser als eine nutzlose Wahrheit.“
Hat die Fiktionalisierung Ihnen geholfen, ein so schweres Thema anzugehen?
Ich weiß nicht recht. Ich meine, die Idee der buchstäblichen Eisenbahn
bestimmt ja die ganze Geschichte und war die Idee, die ich von Anfang an
hatte. Das war es, was mich gereizt hat. Gleichzeitig ist es natürlich
schwer, eine historisch so spärlich aufgearbeitete Periode anzugehen.
Letztlich weiß ich aber: Alle Themen haben ihre eigene Schwierigkeit.
Ihre Protagonistin Cora beginnt – nach ihrer Flucht von der Plantage in
einen anderen Bundesstaat – in einem Museum zu jobben. Dort stellt sie Tag
für Tag in einem unrealistischen Reenactment der Plantagenarbeit eine
Sklavin dar. Wie häufig sehen Sie sich mit unrealistischen Darstellungen
der Sklaverei konfrontiert?
Sehr häufig. Ich meine, der Filmklassiker „Vom Winde verweht“ ist das beste
Beispiel. Ich finde ihn unrealistisch, weil er nichts gemein hat mit der
schwarzen Perspektive auf das Plantagenleben. Es gibt aber auch andere
Beispiele wie die Serie „Roots“, die schon aus der Sklavenperspektive
erzählt ist, aber eben sehr eindimensional. Alle Sklaven in der Serie sind
immer solidarisch zueinander, und es gibt nur eine Ausnahme, einen Onkel
Tom, der den Master informiert. Wer weiß, das mag es alles gegeben haben.
Aber ich wollte im Jahr 2015 nicht dieselbe Geschichte reproduzieren,
sondern eine psychologisch realistische Plantage kreieren.
Wie haben Sie das gemacht?
Indem ich eine Gruppe von gebrochenen Menschen erschaffen habe, die mir
realistisch erschien. Ich habe mir einfach vorgestellt: Man pfercht hundert
gefolterte und vergewaltigte Menschen zusammen. Für mich ergibt es keinen
Sinn, dass in einer solchen Situation alle Gefangenen zusammenhalten. Dann
habe ich die „Hob“ erfunden, eine Hütte auf der Plantage, in der die
Außenseiter wohnen müssen. Die sich nicht zu benehmen wissen oder einfach
geistig behindert sind. Ich hätte mich natürlich dazu entscheiden können,
mich nur auf die bekannten historischen Fakten zu berufen. Aber wir wissen
heute so viel mehr über die menschliche Psyche. Wir wissen von der
posttraumatischen Belastungsstörung und wie Individuen mit ihr umgehen.
Wie schwer fiel es Ihnen, Szenen zu schreiben, in denen es zu physischer
Gewalt kommt?
Ich denke, die Erzählstimme ist ein nützliches Instrument, um die Gewalt
auf Abstand zu halten. Dennoch war ich irgendwann im letzten Drittel sehr
erschöpft von der ganzen Katastrophe, in die ich meine Figur Cora geschickt
habe. Zugleich ist Gewalt allgegenwärtig, und ich habe die Sprache der
Gewalt den Slave Narratives entlehnt. Es ist eine sehr nüchterne Sprache,
denn du musst nichts dramatisieren, du musst dem Leser nichts verkaufen,
wenn das zu deinem ganz üblichen Alltag gehört. Die Fakten sprechen für
sich.
Was war die größte Herausforderung für Sie selbst, als Sie den Roman
geschrieben haben?
Das Härteste war für mich eigentlich die Recherche. Zu erfahren, was
konkret passiert ist, und was ich meine Figuren durchmachen lassen muss,
damit es realistisch ist. Gleichzeitig habe ich realisiert, was für ein
Zufall oder Unfall es ist, dass ich heute hier bin. Es ist reiner Zufall,
dass meine Angehörigen die Sklaverei überlebt haben. Als Erwachsener mit
dem Thema Sklaverei konfrontiert zu sein, mit all seiner Schwere, ist eine
ganz andere Erfahrung, als in der Kindheit „Roots“ zu schauen.
Die schwarze feministische Schriftstellerin Roxane Gay schreibt, dass sie
es satt habe, Filme über die Sklaverei zu sehen. Weil sie es nicht mehr
aushalte, dieses Bild ständig reproduziert zu bekommen. Können Sie ihre
Position nachvollziehen?
Ja. Während ich an dem Buch geschrieben habe, versuchte ich mir „12 Years a
Slave“ anzuschauen, aber ich habe es nicht zu Ende geschafft. Es ist ganz
komisch, ich konnte darüber schreiben, aber ich wollte das nicht im Film
dargestellt sehen. Obwohl ich wusste, dass es sich nur um Schauspieler
handelt. Und jetzt, da ich so viel zu dem Thema gearbeitet habe, habe ich
erst mal gar kein Interesse mehr, Filme dieser Art zu sehen.
Ihr Roman spielt zu einer Zeit, in der die industrielle Revolution in
vollem Gange ist und der moderne Kapitalismus geboren wird. Noch heute wird
häufig von „moderner Sklaverei“ gesprochen, wenn von Niedriglöhnen und
unzumutbaren Arbeitsbedingungen die Rede ist. Was halten Sie von dieser
Metapher?
Um ehrlich zu sein, sehe ich mich nicht als Sprachpolizei, dazu habe ich
gar nicht die Energie. Aber natürlich fallen mir diese Sklavereimetaphern
auf und natürlich ist das, was wir heute erleben, wie arme Menschen
behandelt werden, in welchen Abhängigkeiten sie sich befinden, nicht
dasselbe wie Sklaverei. Aber es kommt dem sehr nah. Das hat mit den
grundlegenden Ungerechtigkeiten zu tun, auf denen der moderne Kapitalismus
basiert. Wenn ich also solche Metaphern lese, habe ich schon das Gefühl,
dass sie von den richtigen Leuten in einem richtigen Zusammenhang gebraucht
werden.
Vergangenen Sommer kam es in Charlottesville, Virginia, zu Aufmärschen von
Rechtsextremen, darunter Anhänger der Alt-Right-Bewegung und Mitglieder des
Ku-Klux-Klan; ein Mann raste mit einem Auto in eine Gruppe
Gegendemonstranten. Sie haben viel zur Geschichte der Südstaaten
recherchiert – wie überrascht waren Sie davon, dass das passiert ist?
Überhaupt nicht. Diese Leute hat ja nicht Trump erfunden, sie waren immer
schon da. Das Einzige, was mich überrascht hat, war: Keiner von denen trug
eine Maske. Sie haben ihre Nazi- und Konföderiertenflaggen geschwungen und
sich nicht einmal vermummt. Das hatte eine neue Dimension. Selbst einige
Republikaner haben sich von den Aufmärschen distanziert. Natürlich nicht
der Präsident, er hat ja mehr oder weniger das Ganze gutgeheißen.
Sie sind in den achtziger Jahren in New York aufgewachsen, das heißt, Sie
haben Trumps Aufstieg miterlebt. Dachten Sie jemals, er würde es ins Weiße
Haus schaffen?
Niemals. Ich meine, er war diese Boulevardfigur, von der man in
Klatschspalten berichtete. Dann hatte er diese TV-Show, es ging eigentlich
nur darum, von ihm unterhalten zu werden. Er war schon immer ein
Hochstapler und hat eine Menge Leute betrogen. Heute tut er das, indem er
Leuten erzählt, die Lösung ihrer Probleme sei der Bau einer großen Mauer.
So bekämen sie ihre Jobs zurück. Und die Leute wollen das Ganze glauben.
Mit Obama war acht Jahre lang ein schwarzer Präsident im Weißen Haus. Auf
ihn folgt ein ultrakonservativer, rassistischer Präsident wie Trump. Wie
lesen Sie diese Entwicklung?
Von außen sieht es vielleicht bizarr aus, aber es ergibt total Sinn. Obama
hat damals mit 51 Prozent gewonnen. Das ist sehr knapp und bedeutet, dass
49 Prozent nicht für ihn gestimmt haben. Amerika hat sich zur
Wirtschaftsmacht entwickelt, indem es Schwarze Menschen für minderwertig
erklärt hat, indem es sie versklavt hat. Diese Empfindungen, diese
Dunkelheit werden nicht verschwinden, nur weil 51 Prozent für einen
Schwarzen stimmen.
Welche Rolle hat es denn im öffentlichen Diskurs gespielt, dass Obama
selbst nicht von Sklaven abstammt?
Ich kann mich vage daran erinnern, dass es im Wahlkampf thematisiert wurde.
Aber mir war und ist es egal. Dem amerikanischen Rassismus ist es
schließlich auch egal. Es ging immer nur darum, dass Obama schwarz ist.
Haben Sie von der Serie „Confederate“ gehört, die die Macher von „Game of
Thrones“ entwickeln sollen?
Oh ja, das habe ich.
In der Serie soll es darum gehen, wie es heute wäre, wenn die
Konföderierten Staaten weiterexistieren würden und die Sklaverei nie
abgeschafft worden wäre. Was halten Sie von dieser Idee?
Ich will dazu nur zwei Dinge klarstellen. Erstens: Viele Amerikaner müssen
sich das gar nicht vorstellen. Denn sie glauben ja daran, dass es die
Konföderierten immer noch gibt und gehen mit ihrer Flagge stolz auf die
Straße. Zweitens: Ich finde, das ist eine sehr dumme Idee. Und nach „Game
of Thrones“ kann ich nur sagen, dass die Macher dieser Serie keinerlei
Glaubwürdigkeit mehr haben, was die Darstellung von People of Color angeht.
20 Jan 2018
## AUTOREN
Fatma Aydemir
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