# taz.de -- Kaffee aus Äthiopien: Bio-Siegel außer Kontrolle | |
> Jahrelang moniert ein Brancheninsider Missstände bei der Biokontrolle. | |
> Doch deutsche wie EU-Behörden bleiben weitgehend untätig. | |
Bild: Äthiopische Kaffebohnen: Nicht überall wo „Bio“ draufsteht, ist auc… | |
BERLIN taz | Europas Behörden überwachen die Kontrolle von Biolebensmitteln | |
aus Nicht-EU-Ländern nur mangelhaft: Seit Jahren erhält die Europäische | |
Kommission detaillierte Beschwerden über mutmaßlichen Pfusch bei den | |
äthiopischen Niederlassungen der Ökokontrollstellen Kiwa BCS und Control | |
Union – zwei der weltweit größten Biokontrollfirmen. Beide sollen | |
Produzenten von hunderten Tonnen Kaffee trotz Verstößen gegen wichtige | |
Ökovorschriften das Bio-Siegel gegeben haben. Doch statt die Vorwürfe vor | |
Ort zu überprüfen, bleiben die Behörden weitgehend untätig. | |
Dabei lebt Bio auch vom Vertrauen, dass die Ökokontrolle überprüft, ob | |
Bauern die Vorschriften des Siegels einhalten: etwa, ob sie wirklich auf | |
chemisch-synthetische Pestizide und mineralische Stickstoffdünger | |
verzichten. Äthiopien ist der fünftgrößte Kaffeeproduzent der Welt – und | |
für Deutschland und andere EU-Staaten ein wichtiger Lieferant der | |
Biovariante dieses Produkts. | |
Die Beschwerden, die der taz vorliegen, hat Albrecht Benzing geschrieben. | |
Er kennt sich aus in der Branche: Der Agraringenieur ist Ko-Chef der | |
bayerischen Biokontrollstelle Ceres. Sie hat die betroffenen Betriebe | |
kontrolliert, als diese von BCS zu Ceres wechselten. Kaum vorstellbar, dass | |
ein derartiger Experte so genau belegte und schwerwiegende Vorwürfe | |
komplett erfindet und jahrelang immer wieder vorträgt – selbst wenn Ceres | |
mit BCS und Control Union um Kunden konkurriert. Zu groß wäre das Risiko, | |
verklagt zu werden. | |
Große Teile des äthiopischen Biokaffees kommen von | |
Kleinbauernorganisationen mit zehntausenden Mitgliedern. Laut EU-Recht | |
müssen die Kontrollstellen die einzelnen Landwirte nur stichprobenartig | |
besuchen. Bei den meisten genügt eine Inspektion durch einen internen | |
Kontrolleur der Organisation. | |
## Unkontrollierte Betriebe | |
Doch viele Mitglieder einer namentlich genannten Erzeugergemeinschaft in | |
Äthiopien hätten von BCS das Bio-Siegel bekommen, ohne jemals inspiziert | |
geworden zu sein, schrieb Benzing am 14. Januar 2013 an EU-Kommission und | |
deutsche Aufsichtsinstitutionen. | |
Obwohl der Organisation damals rund 27.000 Bauern angehört hätten, sei kein | |
Verstoß entdeckt worden. „Die Kontrolleure sind nicht kompetent genug oder | |
darin geschult, Verstöße zu finden und aufzuzeichnen“, so der Kritiker. Da | |
sich die Ware nicht zu den Erzeugern zurückverfolgen lasse, „kann nicht | |
garantiert werden, dass der Kaffee, der als ‚bio‘ exportiert wird, | |
tatsächlich von den Mitgliedshöfen kommt“, heißt es in den Beschwerden üb… | |
die Lage im Jahr 2012. All das zeigten interne Unterlagen des Unternehmens. | |
Ähnliche Probleme soll es in einem mit etwa 60.000 Mitgliedern noch | |
größeren Erzeugerverbund gegeben haben. Zusätzlich hätten einige der Bauern | |
den als Droge benutzten Khatstrauch mit konventionellen Insektiziden in | |
Mischkulturen mit dem Ökokaffee angebaut. Eine große Farm produzierte | |
sowohl Bio- als auch konventionellen Kaffee, aber bei der Verarbeitung der | |
Ernte gab es nach Augenzeugenberichten „keinerlei Trennung“, heißt es in | |
der Beschwerde. Anders als vorgeschrieben habe zudem auch keinerlei Plan | |
existiert, den konventionellen Teil des Betriebs auf Bio umzustellen. | |
In der Mail wird auch ein ehemaliger BCS-Kontrolleur zitiert. Er habe in | |
seiner Zeit bei der Nürnberger Kontrollstelle mehrmals gravierende Verstöße | |
in Äthiopien festgestellt – trotzdem hätten die Betriebe das Bio-Siegel | |
bekommen, ohne dass die Unregelmäßigkeiten korrigiert worden seien. | |
## Zertifiziert trotz Verstößen | |
Auch die niederländische Kontrollfirma Control Union habe eine | |
Kaffeebauernorganisation mit 10.500 Mitgliedern ohne interne Kontrollen bei | |
den Landwirten zertifiziert, schrieb Benzing in einer Mail vom 21. Oktober | |
2013 an die EU-Kommission und den holländischen Akkreditierungsrat RvA. | |
Beleg auch hier: Unterlagen der Erzeugerorganisation. | |
Solche Beschwerden können die für BCS und Control Union zuständigen | |
Aufsichtsinstitutionen nur in Äthiopien überprüfen. Dazu müssten sie mit | |
den von Benzing erwähnten Bauern und mit den Kontrolleuren vor Ort | |
sprechen. | |
Laut [1][EU-Ökoverordnung Nummer 834/2007] muss die Europäische Kommission | |
die Kontrollstellen überwachen, die sie für die Überprüfung von Importen | |
zugelassen hat. Ausdrücklich kann sie dazu sogar Sachverständige mit | |
Besuchen vor Ort beauftragen. Doch bislang hat die Brüssler Behörde trotz | |
Benzings Beschwerden niemanden nach Äthiopien geschickt, um sich BCS’ | |
Arbeit dort anzuschauen. Sie hat der Kontrollstelle auch nicht verboten, | |
Importe aus Äthiopien weiterhin zu zertifizieren. | |
## Überprüfung in China | |
Versäumnisse sieht die Europäische Kommission trotzdem nicht. 2013 habe sie | |
die Vorwürfe überprüft, schreibt sie der taz. Allerdings „nicht in | |
Äthiopien“, sondern „in China“. Das reiche, weil „die Überprüfung si… | |
Probleme konzentrierte, die der Beschwerdeführer aufgezeigt hatte“. Der | |
Europäische Bürgerbeauftragte, den Benzing eingeschaltet hatte, nachdem | |
Brüssel erst gar nicht auf seine Beschwerde reagiert hatte, habe im April | |
2014 erklärt: „Die Kommission hat die Angelegenheit beigelegt.“ Im Übrigen | |
verweisen die EU-Beamten darauf, dass BCS von der [2][Deutschen | |
Akkreditierungsstelle] anerkannt sei. Diese Berliner Firma soll im Auftrag | |
des Staates Kontrollstellen regelmäßig vor Ort überprüfen. | |
Die Akkreditierungsstelle wollte der taz „aus Gründen der zu wahrenden | |
Vertraulichkeit“ nichts Konkretes zu dem Fall mitteilen. Die Berliner Firma | |
steht unter Fachaufsicht des deutschen Landwirtschaftsministeriums. Doch | |
das schiebt die Schuld nach Brüssel. | |
„Genau das ist das Spielchen seit Jahren: Die Kommission verweist auf die | |
Akkreditierungsstellen, diese auf die Kommission. Und dann passiert | |
nichts“, klagt Benzing. Es würde auch nichts bringen, BCS in China zu | |
überprüfen, wenn es um Vorwürfe in Äthiopien gehe. „Eine Firma wie BCS ist | |
einfach so komplex, dass die Arbeit in China wenig mit der Arbeit in | |
Äthiopien zu tun hat. Die Beschwerden haben sich immer spezifisch auf die | |
Arbeit in Äthiopien bezogen“, so Benzing. | |
Tatsächlich haben die Ermittlungen der EU-Kommission in China laut Benzing | |
nichts an den Missständen bei BCS in Äthiopien geändert: Im September 2016 | |
berichtete er den Aufsichtsinstitutionen von zwei neuen großen Fällen aus | |
den Jahren 2014 und 2015. | |
## Pestizide und Dünger auf der Biofläche | |
Zum einen hatte erneut eine Organisation von ungefähr 3.700 | |
Kaffeekleinbauern kein funktionierendes internes Kontrollsystem. Zum | |
anderen gaben Mitglieder einer Gruppe von Sesam-Erzeugern Benzing zufolge | |
zu, dass sie auf Flächen, auf denen angeblich Ökolandbau betrieben werden | |
sollte, verbotene Düngerarten und Pestizide benutzt hätten. | |
„Die Tatsache, dass die Bauern ,frei von der Leber weg' mit unseren | |
Inspektorinnen darüber plauderten, ohne etwas zu verstecken zu versuchen, | |
zeigt, dass sie entweder keine Ahnung hatten, überhaupt Teil eines | |
Bioprojekts zu sein, oder nicht wussten, was ‚bio‘ bedeutet“, sagt Benzing | |
der taz. „Es zeigt auch, dass offensichtlich nie echte Inspektionen | |
stattgefunden hatten, sonst hätten die Bauern ja zumindest versucht, zu | |
vertuschen.“ | |
Auch diese Beschwerde wird wohl vorerst keinen Kontrollbesuch der | |
EU-Kommission in Äthiopien zur Folge haben. Denn dafür macht Brüssel in | |
einem Schreiben an die taz zur Bedingung, „dass die politischen und | |
sozialen Unruhen dort zu Ende gekommen sind“. Dabei rät etwa [3][das | |
Auswärtige Amt in Berlin keinesfalls von Reisen nach Äthiopien allgemein | |
ab, sondern nur vom Besuch bestimmter Regionen des Landes]. Dennoch begnügt | |
sich die Kommission zumindest vorerst damit, zum Beispiel BCS zu den | |
Vorwürfen zu befragen. | |
Die Reaktion der Aufsichtsinstitutionen scheint kein Einzelfall zu sein. | |
Auch wegen der Beschwerde über Control Union haben sie so gut wie nichts | |
unternommen. Fragen der taz dazu ließ die Kommission unbeantwortet. Der | |
holländische Akkreditierungsrat gab sich nach eigenen Angaben damit | |
zufrieden, dass die beschuldigte Control Union selbst Benzings Beschwerde | |
bearbeitet habe. Das Ergebnis: Unbekannt? Und BCS und Control Union | |
reagierten auf Bitten der taz um Stellungnahme gar nicht. | |
## Nötig wäre mehr Personal | |
Für den Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) beweisen solche | |
Fälle: „Die Europäische Kommission überwacht die Kontrollstellen in | |
Drittstaaten kaum“, wie Geschäftsführer Peter Röhrig der taz sagt. | |
Tatsächlich [4][plant die zuständige Direktion nach ihrem Arbeitsplan,] | |
2017 ähnlich wie in den Vorjahren nur sieben Kontrollstellen in jeweils | |
einem Nicht-EU-Land zu überprüfen – obwohl immerhin 55 Inspektionsfirmen | |
für insgesamt mehr als 100 Staaten zugelassen sind. „Die Kommission muss | |
dafür mehr Personal einsetzen“, fordert Röhrig deshalb. | |
Doch davon ist die Behörde weit entfernt. Ihr seit Jahren diskutierter | |
Entwurf für eine neue Ökoverordnung würde nicht dazu führen, dass die | |
Aufsicht der Kontrollstellen mehr Ressourcen bekommt. Die Kommission ist | |
der Meinung, dass „das existierende System alle Voraussetzungen hat, um | |
seine Aufgaben ausreichend zu erfüllen“. | |
Trotzdem rät Kritiker Benzing den Verbrauchern, weiter Bio zu kaufen. Die | |
Aufsicht der Kontrollstellen im Inland sei viel besser. „Und auch die | |
meisten Kontrollstellen in Drittländern arbeiten gut – von Ausnahmen | |
abgesehen. Aber die Probleme dort sind schwerwiegend und müssen endlich | |
gelöst werden.“ | |
15 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Landwirtschaft/OekologischerLandba… | |
[2] http://www.dakks.de/ | |
[3] https://www.auswaertiges-amt.de/sid_03C029D1F0860E4510CFF6150C980A40/DE/Lae… | |
[4] https://ec.europa.eu/food/sites/food/files/safety/docs/fvo_inspect_prog_aud… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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