# taz.de -- Abstimmung über Öko-Lebensmittel: EU-Länder für neue Bio-Verord… | |
> Wohl ab 2021 gelten für Bio-Nahrungsmittel neue Vorschriften. Sie könnten | |
> für weniger Pestizide, aber auch für mehr Bürokratie sorgen. | |
Bild: Bio-Bananen aus Übersee: Die Regeln für Öko-Importe sollen einheitlich… | |
BERLIN taz | Die EU-Staaten haben am Montag mit ausreichender Mehrheit den | |
neuen Regeln für Bio-Lebensmittel zugestimmt. 19 Länder hätten im | |
zuständigen Rats-Sonderausschuss für die Verabschiedung der Öko-Verordnung | |
votiert, teilte der Grünen-Abgeordnete Martin Häusling mit, der das | |
EU-Parlament bei den Verhandlungen über die Reform vertreten hat. | |
Deutschland enthielt sich. | |
Am Mittwoch soll der Agrarausschuss des Parlaments entscheiden. Würde er | |
wie allgemein erwartet grünes Licht geben, dürften die Regeln Anfang 2021 | |
in Kraft treten. Die meisten deutschen Bio-Verbände haben das Projekt | |
abgelehnt. Hier die wichtigsten Änderungen der jetzigen Rechtslage im | |
Überblick: | |
## Weniger Pestizide | |
Die geplante Öko-Verordnung könnte dazu führen, dass Bio-Lebensmittel noch | |
weniger chemisch-synthetische Pestizide enthalten. Denn sie verpflichtet | |
Bauern und andere Bio-Unternehmer stärker als bislang dazu, sich gegen die | |
Verschmutzung ihrer Produkte zu schützen. Die Vorsorgemaßnahmen müssen dem | |
Risiko „angemessen“ sein. Näheres kann die EU-Kommission in einer | |
Durchführungsverordnung regeln. | |
Die neuen Regeln könnten den Behörden und Kontrollstellen aber eine Menge | |
Zusatzarbeit bescheren, die sie etwa vom Kampf gegen Betrüger abhält. Denn | |
laut Artikel 20b müssen sie bei Pestizidfunden eine „offizielle | |
Untersuchung“ einleiten. Bis die Ergebnisse da sind, dürfen die Produkte | |
nicht verkauft werden, was den Bauern das Leben schwerer macht. Der Entwurf | |
nennt keine Mindestmengen, sodass das Verfahren wohl sogar bei minimalen | |
Dosen ablaufen muss. Der Unterhändler des EU-Parlaments, der grüne | |
Abgeordnete Martin Häusling, interpretiert den Text aber anders. Im besten | |
Fall sind die Formulierungen nicht klar genug. | |
Mit dem stärkeren Schutz vor Pestiziden will vor allem die EU-Kommission | |
die Erwartung vieler Verbraucher erfüllen, dass Bio-Ware „keine Pestizide | |
hat“. Die deutschen Branchenverbände kritisieren aber, dass nun die | |
Öko-Bauern den Schaden haben, wenn von ihren konventionellen Nachbarn | |
Pestizide herüberwehen. | |
## Neue Bio-Saatgutsorten | |
Die Verordnung könnte mehr Vielfalt bei Öko-Saatgut bringen. Bislang dürfen | |
zum Beispiel alte Landsorten nicht vermarktet werden, weil sie zu heterogen | |
sind, also die einzelnen Exemplare größere Unterschiede aufweisen als vom | |
Saatgutrecht erlaubt. Die neue Verordnung hebt dieses Verbot für die | |
Biobranche auf. Züchter, Sammler und Händler müssen bei heterogenem | |
Material lediglich die zuständige Behörde informieren. Teure | |
Registrierungen fallen weg. Während einer siebenjährigen Versuchsphase muss | |
die EU-Kommission Kriterien für die Zulassung von öko-gezüchteten Sorten | |
festlegen. | |
## Mehr Bio-Zuchttiere | |
Die Mitgliedstaaten müssen öffentlich zugängliche Datenbanken nun auch über | |
die verfügbaren Bio-Zuchttiere anlegen. Ausgenommen sind Küken. Bisher | |
schreibt die EU solche Datenbanken nur für Bio-Saatgut vor. Sie sollen dazu | |
führen, dass die Öko-Bauern mehr Biomaterial benutzen. Denn wenn | |
Bio-Zuchttiere oder -Saatgut nicht erhältlich sind, dürfen Ökolandwirte wie | |
schon jetzt auf konventionelle Angebote zurückgreifen. | |
## Strengere Import-Regeln | |
Künftig gelten für Importe von außerhalb der Europäischen Union | |
grundsätzlich die gleichen Regeln wie für in der EU erzeugte Ware. Bisher | |
erarbeiten die Kontrollstellen zahlreiche eigene Standards, die von der | |
Kommission genehmigt werden und in Details von der EU-Öko-Verordnung nach | |
unten abweichen können. Nun soll die Verordnung direkt angewendet werden. | |
Die EU-Kommission darf aber Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz etwa | |
bestimmter Pestizide oder Dünger erteilen, falls das beispielsweise das | |
Klima in dem Land erfordern sollte. Staaten wie die USA werden bevorzugt: | |
Mit ihnen hat die EU Handelsabkommen geschlossen, wonach beide Parteien | |
ihre Bio-Siegel gegenseitig anerkennen, obwohl sie sich teilweise | |
unterscheiden. | |
Diese neuen Regeln würden für gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen | |
Landwirten in und außerhalb der EU sorgen, argumentiert die Europäische | |
Kommission. Der deutsche Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) | |
moniert, dass viele Bauern in Entwicklungsländern die umfangreichen | |
Anforderungen der Verordnung nicht erfüllen könnten. Zudem würden | |
betrugsanfällige Kontrollstellen genauso schlecht überwacht wie bisher. | |
## Bio-Siegel für mehr Produktarten | |
Künftig können auch Waren wie ätherische Öle, Bienenwachs, Kork, Mate, | |
Wolle, Baumwolle, Salz, traditionelle Kräuterzubereitungen und gezüchtete | |
Tiere wie Hasen und Wild bio-zertifiziert werden. | |
## Bioanbau nur mit Erde | |
Derzeit dürfen Bio-Pflanzen in einigen EU-Ländern auch auf Substrat | |
angebaut werden, also ohne Erde. Das verbietet die neue Verordnung. | |
Ausnahmen gibt es nur noch für bestimmte Arten wie Chicoree. Und für alle | |
während der zehn Jahre nach Inkrafttreten der Regeln für bereits Ende Juni | |
2017 zertifizierten Gewächshäuser in Finnland, Schweden und Dänemark. Ohne | |
das Verbot würde der Bioanbau ohne Erde wohl zunehmen, weil er | |
wirtschaftlich attraktiv ist. Er widerspricht aber dem Bio-Prinzip der | |
bodengebundenen Produktion. | |
## Weniger Vor-Ort-Kontrollen | |
Biohöfe mit geringem Risiko und ohne Verstöße gegen „die Integrität“ ih… | |
Öko-Produkte in den vergangenen drei Jahren sollen nur noch alle zwei Jahre | |
statt jährlich vor Ort kontrolliert werden müssen. Die Integrität ist laut | |
Artikel 43(l) verletzt, wenn ein Regelverstoß absichtlich beziehungsweise | |
wiederholt begangen wird. Oder wenn der Verstoß die Bio-Eigenschaft des | |
Produkts betrifft. Genauer definiert ist das nicht, sodass Kontrollstellen | |
befürchten: Die meisten Betriebe würden nur noch alle zwei Jahre besucht. | |
Damit würde das Bio-Siegel Glaubwürdigkeit verlieren. Unterhändler Häusling | |
dagegen sagt, nur eine Minderheit der Betriebe würde in den Genuss dieser | |
Regel kommen. Und die Kommission könne in einem Durchführungsrechtsakt | |
Unklarheiten beseitigen. | |
## Kaum Neues in den Ställen | |
Es wird weiter keine Obergrenze für die Tiere pro Betrieb geben. Ställe | |
etwa mit zehntausenden Legehennen können also bestehen bleiben. Auch die | |
neue Verordnung enthält keine konkreten Vorgaben, wie gesund ein Biotier | |
sein muss. Das Kürzen von Schnäbeln wird ausnahmsweise zulässig sein. Das | |
ist aber nichts Neues, selbst wenn diese Möglichkeit in Deutschland | |
praktisch keine Rolle spielte. Ein echter Rückschritt ist allerdings, dass | |
die Elterntiere von Geflügel künftig ausdrücklich ohne Grünauslauf gehalten | |
werden dürfen. Eine überdachte Freifläche („Veranda“) reicht. Das wird | |
teilweise schon jetzt erlaubt, obwohl es dem Wortlaut den bislang geltenden | |
Regeln widerspricht. | |
20 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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