# taz.de -- Debatte Sicherheitsstaat: Krieg der Wörter | |
> Durchstaatlichung, Kontrolle, Überwachung: Sind wir auf dem Weg in den | |
> Sicherheitsstaat, wie ihn Joachim Hirsch bereits 1980 skizziert hat? | |
Bild: Spezialkräfte der sächsischen Polizei bekommen eine neue Anti-Terror-Au… | |
Feuilletonsoziologische Instant-Impressionen und politikwissenschaftliche | |
Live-Statements beherrschen die medialen Formate für politische Analyse. | |
Deshalb kommt es einem Wunder gleich, wenn eine fast vierzig Jahre alte | |
Zeitdiagnose ihre Triftigkeit gegenüber den Produkten der Schnellschützen | |
behauptet. Genau das ist der Fall mit Joachim Hirschs Buch zum | |
„Sicherheitsstaat“ aus dem Jahr 1980, das nur noch antiquarisch erhältlich | |
ist. | |
Den Begriff „Sicherheitsstaat“ entlieh Hirsch bei amerikanischen | |
Politikwissenschaftlern. Bezogen auf die deutschen Verhältnisse trug die | |
Struktur des Sicherheitsstaates „postfaschistische und in gewisser Weise | |
auch postdemokratische“ Züge, schrieb Hirsch – und das lange bevor | |
„Postdemokratie“ zum Schlagwort à la mode wurde. | |
In den jüngsten Debatten über die Sicherheitslage nach terroristischen | |
Anschlägen verstärkte sich der von Hirsch vor 36 Jahren diagnostizierte | |
sicherheitsstaatliche Trend zum Chorgebrüll der Medien. Als ob Cicero aus | |
der Gruft auferstanden wäre, ertönte nun der alte Refrain: „Wie lange noch | |
wollt ihr unsere Geduld missbrauchen?“. | |
Der Ruf richtete sich allerdings nicht an Verschwörer aus den besseren | |
Kreisen wie vor 2.000 Jahren, sondern an demokratische Politiker. Als | |
unmissverständliche Aufforderung, im Kampf gegen den Terrorismus mehr | |
„klare Kante zu zeigen“, wie es im konservativen Jargon heute heißt. | |
Ungefähr dasselbe fordert auch der deutsche [1][Innenminister Thomas de | |
Maizière in seinen in der FAZ veröffentlichten „Leitlinien für einen | |
starken Staat in schwierigen Zeiten“.] Der Ton ist nicht ganz neu. Schon | |
1977 – nach den Morden der RAF an Bankmanager Jürgen Ponto und | |
Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Frühjahr und verstärkt nach der | |
Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, der Entführung | |
eines Flugzeugs nach Mogadischu und den Selbstmorden der RAF-Häftlinge | |
Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stuttgart-Stammheim im | |
Herbst – kündigten viele „härtere Zeiten“ an. | |
## Eine Dauerbaustelle | |
Die Antiterrorgesetzgebung ist seither eine Dauerbaustelle, und nicht | |
einmal erfahrene Strafrechtsexperten vermögen aus dem Stand zu sagen, wie | |
oft seither die gesetzlichen Grundlagen wegen tatsächlicher und | |
eingebildeter terroristischer Gefahren präventiv verschärft wurden. | |
Darüber, was damit erreicht, das heißt an terroristischen Anschlägen | |
verhindert wurde, gibt es allerdings keinerlei belastbaren Analysen. | |
Sondern nur Behauptungen, Gerüchte und Vermutungen seitens der Polizei und | |
des Staatsschutzes – also von direkt involvierter interessierter Seite. | |
Etwas mehr und Genaueres weiß man über den Verbrauch und Verschleiß von | |
Worten, Sätzen und ganzen Büchern, die sich mit dem Terrorismus und der | |
staatlichen Verteidigung dagegen beschäftigen. Die forscheren unter den | |
„Experten“ nannten diese Abwehr zwischendurch auch mal „Krieg“, sind ab… | |
wieder davon abgekommen, nachdem sie gemerkt hatten, dass sich | |
Kriegführende lächerlich machen, wenn sie noch nicht einmal zu sagen | |
wissen, gegen wen es überhaupt geht. | |
Joachim Hirsch wies schon 1980 auf die greif- und sichtbaren | |
Kollateralschäden des medialen Wörterkrieges gegen den Terrorismus hin: die | |
zügige „Durchstaatlichung der Gesellschaft“ mit zahlreichen robusten | |
Mitteln wie der „Überwachung“ und „Kontrolle“ sowie feinerem Besteck w… | |
der politischen „Domestizierung“ und „Normalisierung“. Grundrechte wie … | |
der Versammlungsfreiheit auch für Einwanderer aus Nordafrika wurden unter | |
den Vorbehalt des „richtigen“ beziehungsweise potenziell „gefährlichen“ | |
Gebrauchs gestellt. | |
## Beschädigungen | |
Der Wörterkrieg beschädigt die Polizei, die zuletzt auf viel Verständnis | |
stieß, als sie den „Nafri“ erfand und diesen schon mal präventiv vor der | |
„falschen“ Wahrnehmung seines Grundrechts „schützte“, indem sie ihn | |
zeitweise aus dem Verkehr zog und dann des Platzes verwies. Der Wörterkrieg | |
beschädigt auch kritisch gemeinte Berichterstattung. In der taz vom 5. 1. | |
2017 wurden die verbalen und handfesten Übergriffe der Polizei gegen ihr | |
Konstrukt vom „Nafri“ als „Selektion“ und „Sonderbehandlung“ bezeic… | |
Diese Wortwahl ist mehr als überzogen, ja geradezu dumm. Die Jüdische | |
Allgemeine kritisierte das zu Recht. Sie antwortete allerdings auch nur | |
dumm auf eine Dummheit, als sie im Untertitel fantasierte: [2][„Wie die | |
Berliner Tageszeitung ‚taz‘ die Schoa bagatellisiert“]. | |
Der Medienbetrieb lehrte Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern in den letzten | |
40 Jahren, Frau Nachbarin und Herr Nachbar könnten auch ein | |
„Sicherheitsrisiko“ sein; verschärft, wenn diese nicht einmal weißer | |
Hautfarbe seien oder sonst nicht ins leitkulturelle Normalbild passten. | |
„Die Sorge vor Überfremdung“ hat zwar bereits Berthold Kohler von der FAZ | |
(20. 9. 2016) übermannt, aber noch nicht das ganze Land. | |
## Mörderische Gesinnung | |
Wie weit es mit der Sorge jedoch gekommen ist, kann man an der Figur des | |
„Gefährders“ ablesen. Diese papierene, polizeilich erfundene Figur hat | |
nichts Illegales getan, ist aber bei irgendeiner Behörde aufgefallen durch | |
etwas aus der Norm Fallendes oder hat Kontakte zu einzelnen Leuten, denen – | |
nach polizeilichen Zurechnungen und Vermutungen zu Recht oder zu Unrecht – | |
eine „mörderische Gesinnung“ nachgesagt wird. Deshalb schlagen jetzt | |
Politiker, Polizisten und Medienleute ernsthaft vor, solche „Gefährder“ so | |
zu behandeln wie von einem Gericht (nach Recht und Gesetz!) überführte und | |
verurteilte Täter – mit einer elektronischen Fußfessel zum Beispiel. | |
Reinhard Müller, der Rechtsexperte der FAZ, griff am 3. Januar dieses | |
Jahres zu etwas älteren Büchern und fand dort ein Rezept gegen die Gefahr, | |
die von „mörderischer Gesinnung“ ausgeht und gegen „Gefährder“: die im | |
deutschen Rechtswesen bewährte „Schutzhaft“. | |
Diese haben die Juristen des preußischen Königs 1848 erfunden. Der deutsche | |
Kaiser Wilhelm II. reaktivierte die Schutzhaft im Ersten Weltkrieg gegen | |
Pazifistinnen wie Rosa Luxemburg. Die Nazis schließlich dekorierten ihr | |
staatsterroristisches Willkürregime gegen Oppositionelle mit dem | |
Rechtsschleier „Schutzhaft“. | |
13 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/innenminister-de-maiziere-leitlin… | |
[2] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/27420 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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