# taz.de -- Kolumne Liebe und Sex mit Behinderung: Der persönliche Arschlochfi… | |
> Für manche Männer ist sie ein exotisches Abenteuer. Viele denken, sie | |
> könne keinen guten Sex haben. Dazu einige Klarstellungen unserer Autorin. | |
Bild: Alle rausfiltern, die nicht mehr in ihr sehen als eine Behinderte | |
Es hat Zeit und einige Männer gebraucht, um mir meinen Weg durch den | |
Beziehungsdschungel zu bahnen. Irgendwann habe ich aufgehört, mich von | |
Männern finden zu lassen, die nicht wissen, was sie wollen, und nicht mehr | |
in mir sehen als ein exotisches Abenteuer. Diese bestimmte Sorte Männer, | |
die bei Frauen auf den ersten Blick gut ankommen, die jede haben können und | |
schon alle gebumst haben, sehen aus lauter Langeweile in mir ihre ganz | |
persönliche Herausforderung. | |
Gleichzeitig strebe ich aber auch nicht mehr danach, den perfekten | |
Traumpartner zu finden, und habe gelernt, keine utopischen Erwartungen zu | |
haben. | |
Meine paradoxe Erscheinung scheint auf viele Männer eine faszinierende | |
Wirkung zu haben: Auf der einen Seite bin ich sehr selbstbewusst, gehe | |
sicher mit meinem Körper um, bin laut und manchmal lustig und wirke nach | |
außen stark. Auf der anderen Seite trage ich eine ganz offensichtliche | |
Schwäche mit mir herum. Durch meine Behinderung schmiere ich ganz | |
automatisch jedem aufs Brot, dass ich in meinem Leben auch schon harte | |
Zeiten erlebt habe und womöglich auf Hilfe angewiesen bin. | |
Viele Männer sind da hin- und hergerissen, in welche Schublade sie mich | |
denn nun stecken sollen: Bin ich die selbstbewusste, schöne, halbwegs kluge | |
Kodderschnauze oder doch das eingeschränkte, hilflose und leider behinderte | |
Blondchen? Es ist paradox, es ist verwirrend, es ist faszinierend. Und es | |
ist in Ordnung für mich. | |
Mir selber geht es nicht anders. Auch ich schwanke manchmal in meinen | |
Reaktionen auf Männer: Wenn ich Kritik und Schmerz nicht an mich | |
heranlassen will, ist es sehr verlockend, dem Partner die Schuld für das | |
Scheitern in die Schuhe zu schieben. Wenn er nur besser mit meiner | |
Behinderung hätte umgehen können, dann wären wir noch zusammen … Dass mich | |
der Typ aber vielleicht einfach nur zu dominant, vorlaut oder schlichtweg | |
bescheuert findet, darauf schaue ich lieber nicht. | |
Ein weiteres Phänomen meiner Behinderung ist, dass mir aufgrund meiner | |
eingeschränkten Mobilität auch eingeschränkter Sex unterstellt wird. „Wie | |
soll das denn funktionieren, wenn du noch nicht mal laufen kannst?“, wurde | |
ich einmal gefragt. Oder man glaubt, dass ich nur passiv rumliege und der | |
Sex sowieso nicht gut sein kann. | |
Das Gute an gutem Sex ist, dass es den guten Sex nicht gibt. Jeder muss für | |
sich selbst entdecken, was sich gut anfühlt, wie man zu seiner Befriedigung | |
kommt und wie man Befriedigung zurückgeben kann – ob mit oder ohne | |
Behinderung. | |
Da meine Behinderung mich dazu bringt, mich intensiv mit meinem Körper | |
auseinanderzusetzen, führe ich auf allen Ebenen ein sehr erfülltes Leben. | |
Und da ich auch eine gute Portion Humor vorzuweisen habe, sind Spaß und | |
Leidenschaft sicher. | |
Mit meiner Behinderung bin ich schon oft dem Vorurteil begegnet, dass mein | |
Partner in der Beziehung besonders viele Kompromisse eingehen muss. Sie | |
hören Sprüche wie: „Warum tust du dir das an?“ Das ist einerseits sehr | |
schade, weil solche Sätze ihre Entscheidungsfreiheit und letztendlich ihre | |
Liebe zu mir in Frage stellen. Andererseits lässt es mich aber auch | |
verärgert zurück, wenn mein Partner als der starke, mutige und fürsorgliche | |
Mann glorifiziert wird und die Leute ihm anerkennend auf die Schulter | |
klopfen. Nur weil er sich in eine Frau im Rollstuhl verliebt hat. Ich fühle | |
mich dadurch in ein schlechtes Licht gerückt und als Bittstellerin | |
abgestempelt. | |
Wenn ich heute signalisiert bekomme, dass Menschen mir ein schweres, | |
„unnormales“ Leben aufgrund meiner Behinderung attestieren, gehe ich | |
einfach mal davon aus, dass sie bisher keine Erfahrungen mit behinderten | |
Menschen gemacht haben und ihnen ein defizitorientiertes Bild von | |
Behinderung vermittelt wurde. Eine Behinderung zu haben muss nicht | |
bedeuten, weniger bieten zu können oder mehr zurückstecken zu müssen. | |
Genauso wenig, wie eine Behinderung einen davor bewahrt, ein Arschloch zu | |
sein. | |
Meine Behinderung prägt meine Persönlichkeit und ich mag den Menschen, den | |
sie aus sich heraus geformt hat. Und das Tollste an ihr: Sie filtert | |
automatisch all diejenigen heraus, die nicht mehr in mir sehen als eine | |
Behinderte, deren Rollstuhl als Symbol für Passivität und Schwäche steht. | |
Meine Behinderung ist mein ganz persönlicher Arschlochfilter. | |
2 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Laura Gehlhaar | |
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