# taz.de -- Handicap-Reisen: „Ziele wie alle anderen auch“ | |
> Nils Wend, Geschäftsführer von Runa-Reisen, über die Besonderheiten des | |
> Unterwegsseins für Menschen mit Behinderung. | |
Bild: Ein Junge mit Down-Syndrom und eine Surferin am Strand | |
taz: Herr Wend, welche Art von Reisen können Menschen mit Behinderung heute | |
machen? | |
Nils Wend: Unser Spektrum bei Runa-Reisen ist breit. Das reicht von der | |
rollstuhlgerechten Ferienwohnung an der Müritz bis zum Pflegehotel am | |
Mittelmeer und einer Safari in Namibia im Rollstuhl, mit Spezialfahrzeugen | |
und Betreuungspersonal, das sind natürlich sehr unterschiedliche | |
Preiskategorien. | |
Worin besteht der größte Bedarf? | |
Barrierefreie Unterkünfte sind stark nachgefragt. „Barrierefreiheit“ ist | |
aber international nicht einheitlich definiert. Es gibt zwar eine DIN-Norm | |
in Deutschland für Barrierefreiheit. Wenn wir aber nur Anbieter | |
akzeptierten, die diese strenge Norm erfüllen, hätten wir nur fünf bis zehn | |
Unterkünfte im Programm. Daher reden wir von „rollstuhlgerecht“. Das | |
bedeutet, dass sich Gäste im Rollstuhl frei bewegen können, nicht überall | |
aber in einem breiten Elektrorollstuhl. | |
Das heißt, die Gäste sollten sich vor der Buchung präzise infor mieren über | |
die technischen Details vor Ort? | |
Genau. Zur Orientierung haben wir Piktogramme in den Katalogen, die zeigen | |
zum Beispiel, ob es nur einen oder zwei Haltegriffe gibt auf der Toilette, | |
ob die Dusche mit einem Rollstuhl befahrbar ist. Wir informieren über die | |
Türbreite, da weiß man dann, ob man sich mit einem breiten Elektrorollstuhl | |
in der Unterkunft frei bewegen kann. Uns ist es immer lieb, wenn die Gäste | |
vor der Buchung genau nachfragen. Dieser Kontakt vorab ist ganz wichtig. | |
Nehmen wir mal an, da gibt es den jüngeren Querschnittgelähmten, | |
Motorradunfall, kann der alleine mit ihnen reisen? | |
Prinzipiell schon. Wir würden dann vielleicht ein Appartement auf Lanzarote | |
oder ein Hotel in Griechenland vorschlagen, rollstuhlgerecht, wo auch | |
Ausflüge angeboten werden. Wir kümmern uns dann um den Flug, melden alles | |
vorher an und buchen bestimmte Plätze im Flugzeug. Bei der Ankunft wird der | |
Gast abgeholt und direkt zum Hotel gebracht. Vor Ort können dann an vielen | |
Urlaubsorten Leistungen dazu gebucht werden, also etwa Schiebehilfen bei | |
Ausflügen. Wir haben auch rollstuhlgerechte Gruppenreisen im Programm. | |
Was ist mit Strandurlaub? | |
Wir haben einige Unterkünfte, die Bademöglichkeiten anbieten. Die haben zum | |
Beispiel Sitzlifter, die in den Swimmingpool abgesenkt werden können oder | |
auch Strandrollstühle. | |
Welche Reiseziele sind denn bei Ihren Gästen besonders beliebt? | |
Das ist ähnlich wie bei Gästen ohne Behinderung: beliebt sind Reisen | |
innerhalb Deutschlands. Dann kommen Ziele wie Spanien, Italien, die | |
Mittelmeer-Anrainer-Länder. Die Türkei war auch immer sehr populär, das hat | |
etwas gelitten, auch die Nachfrage nach Reisen in die arabischen Länder wie | |
Tunesien hat nachgelassen. Wir haben viele Städtereisen im Programm, auch | |
die verkaufen wir nicht mehr so gut wie sonst. Ich glaube, bei diesen | |
Rückgängen gibt es eine psychologische Komponente, das ist mit Sicherheit | |
den Anschlägen geschuldet. Denn unsere Gäste im Rollstuhl haben natürlich | |
Angst, dass sie nicht so schnell weggekommen, wenn irgendwo was passiert. | |
Schiffsreisen wiederum sind ein Wachstumsbereich. Die Landausflüge sind gut | |
organisiert. In Dubrovnik legt das Schiff direkt an der Altstadt an, da | |
kann man direkt mit dem Rollstuhl Sachen erleben, ohne einen größeren | |
Ausflug machen zu müssen. | |
Machen Leute im Rollstuhl auch öfter Fernreisen? | |
USA ist sehr beliebt im Fernreisebereich, das sind allerdings die fitteren | |
Rollstuhlfahrer. Wir haben auch Kenia im Programm, da arbeiten wir mit | |
einer Agentur zusammen, die ist in der Lage, Personal vor Ort | |
bereitzustellen. Da gibt es auch examinierte Krankenschwestern, aber die | |
sind englischsprachig. In solchen Ländern ist es mit den Hilfsmitteln | |
schwieriger, Pflegebett, Personenlifter, Sauerstoff, das ist dort nicht so | |
optimal geregelt. Wobei wir das in der Karibik hinkriegen. Das sind | |
ehemalige niederländische Kolonien, die sind gut organisiert. Das sind aber | |
Nischen in der Nische, gewissermaßen. Für viele Menschen mit Behinderung | |
kommen Fernreisen nicht in Frage, weil sie den langen Flug scheuen. Wenn | |
man zehn Stunden im Flugzeug sitzt, muss man zur Toilette, das ist dann | |
nicht immer einfach im engen Flieger. | |
All das klingt aufwendig. Sind Urlaubsreisen für Menschen mit Behinderung | |
erheblich teurer? | |
Nicht unbedingt. Wir haben Urlaubshotels, die haben vier oder fünf | |
rollstuhlgerechte Zimmer, das ist nicht teurer, als wenn man einen | |
Fußgänger beherbergt. Es kommt immer auf den Bedarf an, ob man nur eine | |
rollstuhlgerechte Unterkunft braucht, ob man als Rollstuhlfahrer eine | |
Schiebehilfe benötigt oder eben pflegerische Unterstützung am Morgen und | |
Abend, beim Aufstehen und Zubettgehen. Es gibt natürlich die | |
Königsdisziplin, so nennen wir es, wenn jemand von zu Hause aus schon einen | |
Pflegedienst bucht, der mitreist. Da muss dann alles bezahlt werden, die | |
Pflege und die Reise, da kommen einiges an Kosten zusammen. | |
Gibt es da Unterstützung etwa durch die Pflegekasse? | |
Gäste, die eine Pflegestufe haben, kriegen ja Pflegegeld vom Staat, das | |
kann man im Urlaub einsetzen. Wir weisen auf den Rechnungen zudem | |
Hilfsmittel wie Duschrollstühle getrennt aus, häufig können die Gäste die | |
Hilfsmittel bei den Krankenkassen einreichen. Wir arbeiten an manchen | |
Urlaubsorten auch mit deutschen Diensten zusammen, die eine Zulassung und | |
vor Ort eine Dependance haben. Diese Leistungen kann man unter Umständen | |
mit der Krankenkasse abrechnen. Wir raten aber, sich vorher bei den Kassen | |
über diese Möglichkeiten zu informieren. | |
Die Preisfrage ist ja essentiell für Behinderte, die oft wenig Geld haben. | |
Es gibt eine ältere Generation, der geht es finanziell oft gut, die können | |
sich auch eine teurere Reise leisten. Ein Standardfall bei uns ist das | |
Ehepaar, viel gereist, der Ehemann, 80 Jahre alt, hat einen Schlaganfall | |
erlitten, will aber dennoch weiter reisen. Die buchen zum Beispiel | |
Teneriffa, ein rollstuhlgerechtes Hotel. Die Ehefrau will entlastet werden | |
und so buchen sie dann noch eine ambulante Pflege dazu, die dem Gast etwa | |
beim Duschen und Anziehen hilft. | |
Aber wir haben auch Gäste, die können solche Reisen nicht aus dem Ärmel | |
schütteln. Diese Gäste reisen dann eben nur alle zwei Jahre mit uns, freuen | |
sich dann sehr auf den Urlaub und nehmen vielleicht eine rollstuhlgerechte | |
Ferienwohnung an der Nordsee, vielleicht mit mehreren Leuten, vielleicht | |
auch nur eine Woche. Dann ist das bezahlbar. | |
3 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
## TAGS | |
Reisen | |
Barrierefreiheit | |
Behinderung | |
tazbehinderung | |
tazbehinderung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Serie „Wie es sein könnte“ (4): Das Gefühl, Mama zu sein | |
Blicke, Barrieren, vorschnelle Schlüsse: Auf manches könnten Menschen mit | |
Behinderung gut verzichten. Auf eigene Kinder sicher nicht. | |
Kolumne Liebe und Sex mit Behinderung: Der persönliche Arschlochfilter | |
Für manche Männer ist sie ein exotisches Abenteuer. Viele denken, sie könne | |
keinen guten Sex haben. Dazu einige Klarstellungen unserer Autorin. | |
Serie „Wie es sein könnte“ (3): Der richtige Ton | |
Blicke, Barrieren, vorschnelle Schlüsse: Auf manches könnten Menschen mit | |
Behinderung gut verzichten. Auf Assistenz allerdings nicht. | |
Bücher in Blindenschrift: „Zugang zum Wissen der Welt“ | |
Nur ein Bruchteil aller Bücher wird in Brailleschrift übertragen. Thomas | |
Kahlisch von der Deutschen Zentralbücherei für Blinde erklärt, warum. | |
Computerspiele und Behinderung: Maschine statt Mensch | |
Blinde, Taube, Muskelkranke? Gibt es nicht. Die Videospielbranche ist im | |
Umgang mit behinderten Charakteren bislang nicht mutig genug. | |
Serie „Wie es sein könnte“ (2): Bitte nicht anfassen! | |
Blicke, Barrieren, vorschnelle Schlüsse: Auf manches könnten Menschen mit | |
Behinderung gut verzichten. Ungefragt berührt zu werden etwa. | |
Serie „Wie es sein könnte“ (1): Unsichtbarer Schmerz | |
Blicke, Barrieren, vorschnelle Schlüsse: Auf manches könnten Menschen mit | |
Behinderung gut verzichten. Mitreisende ohne Mitgefühl etwa. | |
Gesetz für Menschen mit Behinderung: Willkür statt Selbstbestimmung | |
Wenig Verbesserungen, mehr Unsicherheit: Das bedeutet das neue | |
Bundesteilhabegesetz für diejenigen, die es betrifft. Die Einzelheiten im | |
Überblick. |