# taz.de -- Gleichstellung in der Filmbranche: Die Realität ist männlich | |
> Es gibt nur wenige Frauen, die bei Filmproduktionen in | |
> Schlüsselpositionen arbeiten. Filmemacherinnen in den USA wollen das | |
> ändern. | |
Bild: Die Serie „Sex and the City“ hat Frauen als Heldinnen des Alltags. Do… | |
Der Präsident der US-amerikanischen Regie-Gewerkschaft klingt eher | |
verhalten: „Bis sich Veränderungen wirklich zeigen, liegt noch ein langer | |
Weg vor uns. Damit das geschehen kann, muss sich das Leitungssystem am | |
Einstiegspunkt verändern.“ So kommentiert Paris Barclay das Ergebnis des | |
Diversitätsberichts der Director’s Guild of America zur Beteiligung von | |
Frauen und Minderheiten an Schlüsselpositionen in der TV-Branche. Demnach | |
ist der Prozentsatz der Regisseurinnen, die an einer Serienfolge beteiligt | |
waren, in der Saison 2015/16 zwar minimal – nämlich um ein Prozent – | |
gestiegen, doch bleibt diese Zahl hinter dem Gesamtwachstum von 4 Prozent | |
im gleichen Zeitraum zurück. | |
Mit rund 4.000 Episoden in 299 fiktionalen Produktionen ist der Serienmarkt | |
in den USA der wichtigste Gradmesser zur Bewertung der Gleichstellung von | |
Frauen und Minderheiten im TV-Geschäft. Während weltweit populäre Serien | |
wie die erfolgreiche Romanadaption von „Game of Thrones“ vor allem auch mit | |
vielfältigen und faszinierenden Frauenfiguren und gemischten Ensembles | |
überzeugen können, bleibt die Herstellung dieser Geschichten immer noch | |
überwiegend die Domäne weißer Männer. Bei „Game of Thrones“ wurde seit … | |
Ausstrahlung der vierten Staffel keine einzige Regisseurin mehr angestellt. | |
Die Problematik, dass die Geschlechterverteilung an den Film- und | |
Fernsehhochschulen fast ausgeglichen ist, sich die Waage mit dem Eintritt | |
in die Arbeitswelt jedoch blitzartig zugunsten der Männer neigt, ist | |
bekannt. In den USA sind es aktuell gerade einmal 17 Prozent | |
Regisseurinnen, die vom derzeitigen Serienproduktionsboom profitieren | |
konnten. „Die Zahl kommt mir ehrlich gesagt sogar ziemlich hoch vor“, | |
wundert sich Kelly Souders, „in meiner Erfahrung sind es weniger als zehn.“ | |
Souders ist eine der wenigen, die es geschafft haben – sie ist Autorin, | |
Regisseurin und Produzentin für US-Serien wie „Smallville“, „Under the | |
Dome“ oder „Salem“. Für die Veranstaltung „Quality TV – The Female F… | |
hat die Winterclass der Filmuniversität Babelsberg und des Erich Pommer | |
Instituts sie eingeladen, um zusammen mit Maggie Murphy von ihren | |
Erfahrungen im Business zu berichten. | |
Murphy ist ebenfalls Executive Producerin, in den 1990ern war sie in die | |
Entwicklung von Serien wie „Die Simpsons“, „Ally McBeal“ oder „Sex an… | |
City“ beteiligt, nun steht sie an der Spitze einer international agierenden | |
Produktionsfirma. „Nein, es gibt nicht viele von uns“, sagt Souders. „Gen… | |
aus diesem Grund haben wir beide uns überhaupt kennengelernt“, nickt sie in | |
Richtung Murphy. „Bei meinem ersten Job war ich noch die erste Frau in | |
einer Leitungsposition.“ | |
## Vielfalt vor … | |
Souders hat bis 2011 an 146 Folgen der Actionserie „Smallville“ | |
mitgearbeitet und sich dabei im Laufe der Jahre bis an die Spitze der | |
Produktion hochgearbeitet. In den letzten drei Jahren fungierte sie als | |
Showrunnerin der Serie, überblickte und koordinierte die Gesamtproduktion. | |
Doch bis heute mache sie die Erfahrung am Set, dass ihr männliche Kollegen | |
mit Skepsis begegnen, „obwohl ich wahrscheinlich mehr Erfahrung mit | |
Actiondrehs habe als die meisten von ihnen“. | |
Neben ihrer Qualifikation, harter Arbeit und Durchhaltevermögen mussten | |
sich sowohl Souders als auch Murphy in ihren Lebensläufen auf Zufälle und | |
Glück verlassen, um überhaupt in verantwortungsvolle Positionen zu | |
gelangen, die meisten ihrer Kolleginnen stoßen jedoch immer wieder an die | |
gläsernen Decken des Film- und Fernsehgeschäfts. „Es ist der typische | |
Teufelskreis“, sagt Murphy, „du bekommst nur einen Job, wenn du Erfahrungen | |
vorzuweisen hast, aber die kannst du nur mit Jobs sammeln.“ | |
Deswegen hat Melissa Rosenberg, Showrunnerin der Marvel-Serie „Jessica | |
Jones“ auf Netflix, unlängst öffentlichkeitswirksam verkündet, für die | |
anstehende zweite Staffel der populären Superheldinnenserie ausschließlich | |
Regisseurinnen engagieren zu wollen. Zuvor hatte auch die Filmemacherin Ava | |
Duvernay, Regisseurin des Oscar-nominierten Geschichtsdramas „Selma“, die | |
gleiche Entscheidung für ihre Serie „Queen Sugar“ getroffen, die auf dem | |
Oprah Winfrey Network (OWN) ausgestrahlt wird. | |
„Eine Serie zu machen, in der nur Frauen Regie führen, wird mittelfristig | |
große Auswirkungen auf das Ansehen und die Behandlung von Regisseurinnen | |
haben“, glaubt Souders, „und es gibt großartige Regisseurinnen, die jeder | |
bewundert und respektiert. Aber es ist immer noch alles sehr zögerlich, | |
weil es so wenige von ihnen gibt, besonders wenn es um Action geht.“ | |
## … und hinter der Kamera | |
Es scheinen vor allem die auf Nischen setzenden neuen Player zu sein, die | |
den Frauen neue Möglichkeiten eröffnen: Prestige-Serien wie „Orange is the | |
New Black“ auf Netflix und „Transparent“ auf Amazon halten auch hinter der | |
Kamera die Vielfalt ein, die sie in den Geschichten und Charakteren | |
versprechen, auch hier tragen Frauen die kreative Verantwortung. | |
„Die Notwendigkeit, neue Leute finden zu müssen, weil es so viele Serien | |
gibt, öffnet den Frauen hoffentlich endlich die Türen“, sagt auch Murphy. | |
Trotz der Leuchtturmprojekte belegt der Bericht der Director’s Guild | |
jedoch, dass auch die Produktionen der Videostreamingdienste in ihrer | |
Gesamtheit im mageren Durchschnitt der Studie liegen. | |
In Deutschland ist die Situation für Regisseurinnen ähnlich, [1][wie der | |
jüngst veröffentlichte Bericht des Bundesverbandes für Regie belegt]. In | |
den Produktionen der ARD inszenierten Frauen im vergangenen Sendejahr nur | |
15 Prozent der gesamten fiktionalen Primetime-Produktionen, beim ZDF waren | |
es lediglich 12 Prozent. Bei den privaten Sendern ist die Lage nur auf den | |
ersten Blick besser, da in Serien und Reihen ein Regisseurinnenanteil um | |
die 30 Prozent festgestellt wird, das gesamte Produktionsvolumen jedoch | |
sehr gering ist. Bei den Erstausstrahlungen von TV-Filmen liegt der Anteil | |
bei RTL und Sat.1 bei 0 Prozent. | |
„Es muss sich noch viel tun. Besonders die mit öffentlichen Geldern | |
finanzierten Sender sollten die Lage endlich ernst nehmen“, kommentiert | |
Barbara Rohm, Vorstandsmitglied von Pro Quote Regie die neuen Zahlen. Der | |
Zusammenschluss von Regisseurinnen fordert eine Geschlechterquote für die | |
Vergabe von Regieaufträgen im Film- und Fernsehbereich, die langfristig auf | |
50 Prozent hinauslaufen soll. Wie in der Parallelbewegung in der Wirtschaft | |
ist die Regiequote umstritten, auch unter Filmemacherinnen. Doch die | |
Beispiele aus den USA zeigen, dass der Schritt in Richtung Gleichstellung | |
nur durch das Engagement der Frauen selbst voranschreiten wird, der Markt | |
allein regelt es nicht. | |
Sie sind es, die ihren Kolleginnen die Chancen zum Einstieg in Richtung | |
Schlüsselpositionen ermöglichen und durch gegenseitige Solidarität zu einem | |
Stück Geschlechternormalität beitragen können, damit die Vielfalt, die in | |
den meisten fiktionalen Geschichten auf dem Bildschirm längst zum Alltag | |
gehört, auch in der Realität ihrer MacherInnen ankommen wird. | |
19 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://regieverband.de/de_DE/magazine/217803/index | |
## AUTOREN | |
Jens Mayer | |
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