# taz.de -- Serienkolumne Die Couchreporter: Depressiv, saufend, promiskuitiv | |
> Diversität und selbstermächtigte, weibliche Figuren zeichnen die | |
> Netflix-Serie „Jessica Jones“ aus. Doch das allein macht noch keine gute | |
> Serie. | |
Bild: Man sieht es ihr nicht an, doch Jessica Jones hat Superkräfte | |
I won’t take no for an answer“, sagt der Mann, mit dem die Detektivin und | |
heimliche [1][Superheldin Jessica Jones] sich gerade herumärgern muss, | |
augenzwinkernd zu ihr. „How rapey of you“, antwortet Jones knapp. Und macht | |
damit klar, wie der Hammer hängen könnte in dem feministischsten aller | |
Erwachsenen-Marvel-Träume: Mit der Adaption der erstmals 2001 als Comic | |
erschienenen, [2][depressiven, saufenden, promiskuitiven Heldin] Jessica | |
für das „Marvel Cinematic Universe“, [3][in diesem Fall Netflix], haben die | |
SerienmacherInnen eine großartige Figur geschaffen. | |
Die [4][von Melissa Rosenberg konzipierte] Jones, die auch in der zweiten | |
Staffel von Krysten Ritter konsequent in Jeans, Lederjacke und mit | |
griesgrämigen Gesichtsausdruck gespielt wird, hat in den neuen Folgen | |
nichts von ihrer Bitterkeit verloren: Sie ist die einsamste Wölfin, die je | |
durch New York streunte, flankiert nur von der durch ihre Erlebnisse als | |
überforderter Ex-Kinderstar leidgeprüften Freundin und Adoptivschwester | |
Trish (Rachael Taylor) und dem treuen Ex-Junkie-Nachbarn Malcolm (Eka | |
Darville). | |
Jones rührt weiter in ihrer Vergangenheit, lernt viel über die Herkunft der | |
inflationär auftretenden Menschen mit Superkräften und einiges über ihr | |
eigenes Schicksal. Sie zeigt auch in den aktuellen Folgen nur ab und an | |
etwas von ihren eigenen Besonderheiten (die enorme Stärke benutzt sie fast | |
ausschließlich für illegale Einbruchaktionen). | |
Doch obwohl alle Zutaten stimmen und Szenen wie die marode Sause der | |
lesbischen Rechtsanwältin, die – als konsequent ambivalente Figur – eine | |
private Drogenparty mit Prostituierten schmeißt, die Aufgeschlossenheit der | |
Showrunner gegenüber Diversität und Selbstermächtigung der weiblichen | |
Figuren demonstrieren, wirkt das potenzielle Role Model Jessica zuweilen | |
schlichtweg fußlahm. Ihre Frustrationen wiederholen sich, und es mangelt an | |
Spannung. | |
## Mangelnde dramaturgische Finesse | |
Und das liegt keinesfalls an fehlenden Actionszenen, sondern an der | |
fehlenden dramaturgischer Finesse. Vor allem aber an der jedem | |
Superheldencomic innewohnenden Absurdität: Irgendwann kommt Jones dahinter, | |
dass ihre seit Jahren totgeglaubte Mutter doch noch lebt und ebenfalls zu | |
etwas anderem Gewaltigem mutiert ist – das Erste wäre ein großer | |
emotionaler Moment, wenn das Zweite nicht so lächerlich wäre. | |
Zwar gehört es zur Comic-Affinität dazu, Cartoonrealitäten zu akzeptieren – | |
wer mit dem Argument kommt, dass Menschen nun mal nicht fliegen können, der | |
braucht gar nicht erst [5][die erste Seite von Superman aufzuschlagen]. | |
Denn der ist garantiert nicht empfänglich für das Gegenargument: „Aber wenn | |
sie vom Planeten Krypton kommen, dann doch!“ | |
Bei Jessica Jones sind Atmosphäre, Set und Setting jedoch so glaubhaft und | |
heutig, dass es fast schade ist, sie als Superheldin und damit als | |
unglaubhaft zu präsentieren. Als fiktionale, aber realistische Figur würde | |
sie mit ihrer konsequent nicht klischeehaften Haltung und ihrer | |
sarkastischen Coolheit einschlagen wie [6][Laurie Penny einst in der | |
Genderdiskussion]. Und mehr zitierfähige Sprüche wie der oben genannte | |
könnte Jessica ebenfalls gut vertragen. | |
2 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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