# taz.de -- Gewalt gegen Frauen: Verätzt, weil sie sich trennen wollte | |
> Mit Salzsäureattacken kann man Menschen entstellen. Die Opfer solcher | |
> Anschläge sind meist Frauen, Täter sind Partner und Expartner. | |
Bild: Sieht noch viel zu verharmlosend aus: Symbolbild für Säureattacken gege… | |
BERLIN taz | Es ist wieder passiert. Diesmal vor einigen Tagen in Wandsbek. | |
Ein Mann betritt das Jobcenter in dem nördlichen Stadtteil von Hamburg, | |
steuert auf eine Mitarbeiterin zu und übergießt sie mit einem halben Liter | |
30-prozentiger Salzsäure. Die Frau wird im Gesicht und am Oberkörper | |
verletzt. | |
Ähnliche Vorfälle gab es bereits im Februar in Hannover. Im Mai im | |
Oberallgäu. In Paderborn vor zwei Jahren. 2012 in Hilden. Häufen sich | |
Säureattentate, die vor allem aus Indien, Pakistan und Bangladesch bekannt | |
sind, mittlerweile in Deutschland? | |
Studien oder eine Statistik zu dieser extremen Form von Gewalt gibt es | |
hierzulande nicht. Trotz der gefühlten Zunahme solcher Attentate in | |
Deutschland seien diese hier „eher unbekannt“, sagt Monika Michell, | |
Expertin für „Gewalt im Namen der Ehre“ bei der Menschenrechtsorganisation | |
Terre des Femmes in Berlin: „Das sind krasse Einzelfälle.“ | |
In den asiatischen Ländern sind nach Angaben der Vereinten Nationen 80 | |
Prozent der Opfer Frauen und Mädchen. Zuvor haben sie Heiratsanträge oder | |
sexuelle Angebote abgelehnt. Auch Mitgiftforderungen und Landstreitigkeiten | |
können den Anlass zu solchen Übergriffen geben – dann auch mit männlichen | |
Opfern. Wie in Asien waren bei den Anschlägen in Hamburg, Hannover und in | |
den anderen Orten Frauen das Ziel. Warum? „Die Männer sagen sich: Wenn ich | |
die Frau nicht haben kann, soll sie auch kein anderer mehr wollen“, sagt | |
Michell. | |
## Größtes Risiko für Frauen: Trennung | |
In allen Fällen in Deutschland bestand zwischen Opfer und Täter eine enge | |
Beziehung. Bei dem Wandsbeker Fall wollte sich die 46-Jährige von ihrem | |
zehn Jahre älteren Ehemann trennen. Der wollte das offensichtlich nicht | |
zulassen und griff nach der Säureflasche. Auch bei den Tätern in Paderborn, | |
Hannover und Hilden handelt es sich um Expartner und Nochpartner der Opfer. | |
Das größte Risiko, Opfer von häuslicher Gewalt zu werden, besteht für | |
Frauen in der Trennungsphase, sagt Katja Grieger vom Bundesverband | |
Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Frauen in Trennungssituationen | |
sind eine „hochgefährdete Gruppe“: In dieser Zeit werde dem Täter klar, | |
dass die Frau tatsächlich geht, und er will sie mit allen Mitteln davon | |
abhalten. Laut einer Prävalenzstudie des Familienministeriums ist in | |
Deutschland jede vierte Frau zwischen 16 und 80 Jahren wenigstens einmal in | |
ihrem Leben von Gewalt betroffen. In den meisten Fällen ist der Partner | |
oder ein Expartner der Täter. | |
## Hilfsorganisation: 1.500 Säureattacken im Jahr | |
Säureattentate gehören zu den schrecklichsten Verbrechen. Die Säure – stark | |
ätzende Salzsäure gibt es in jedem Baumarkt – zerstört Gesicht, Genitalien | |
oder andere Körperteile. 20 bis 30 Prozent der Opfer erblinden, sagt Jaf | |
Shah von der Hilfsorganisation Acid Survivors Trust International (ASTI), | |
die sich um Säureopfer kümmert. Weltweit werden laut ASTI pro Jahr 1.500 | |
Säureattacken auf Frauen gemeldet. Die Dunkelziffer schätzt die | |
Organisation allerdings doppelt so hoch. | |
Ein Opfer in England hatte bei einem Attentat ein Ohr verloren. Die Frau in | |
Hannover ist jetzt auf einem Auge blind. Narben ziehen sich über ihr | |
Gesicht, ihren Hals und ihr Dekolleté. Davon ist die Frau ihr Leben lang | |
gezeichnet. In Indien, Pakistan und Bangladesch verlieren Betroffene | |
dadurch die Chance auf ein lebenswertes Dasein. Sie sind „lebenslänglich | |
stigmatisiert“, klärt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International | |
auf ihrer Homepage auf: Die Opfer werden in der Öffentlichkeit und häufig | |
auch von der eigenen Familie gemieden. Viele Betroffene leiden an | |
Depressionen und nehmen sich später das Leben. | |
Die Staatsanwaltschaft in Hamburg ermittelt gegen den Täter von Wandsbek | |
wegen „versuchter schwerer und vollendeter gefährlicher Körperverletzung“. | |
Der Täter von Hannover muss für seine Tat zwölf Jahre ins Gefängnis. | |
15 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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