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# taz.de -- 25 Jahre „Terre des Femmes“: Im Namen des Gewissens
> Viel erreicht hat „Terres des Femmes“ im Kampf gegen Genitalverstümmelung
> und Zwangsheiraten. Doch Gewalt gegen Frauen hört nicht auf.
Bild: Drastische Maßnahmen sorgen für mehr Sichtbarkeit: 2012 protestierte Te…
Berlin taz | Ein Sitzungstisch in der WG-Ecke und ein Computer im
WG-Zimmer. So sah das erste Büro von Terre des Femmes aus, als sich die
Frauenrechtsorganisation 1990 in Tübingen professionalisierte. Der Verein
hatte sich schon 1981 gegründet, wurde aber ehrenamtlich und weitgehend
strukturlos geführt.
Der Computer gehörte Christa Stolle. Damals war sie 30 Jahre alt und hatte
gerade ihren Abschluss als Ethnologin und Kulturwissenschaftlerin in der
Tasche. Sie hätte Karriere in der Wissenschaft machen können, Journalistin
werden oder in den Kulturbetrieb einsteigen. Aber sie entschied sich für
eine berufliche „Szene“, die vielfach belächelt wird: Frauen und ihr Leiden
an der Welt.
Stolle sah, dass Frauen in der Bundesrepublik zwar auf dem Papier
weitgehende Rechte hatten. Sie durften arbeiten, mit Männern zusammen
leben, ohne mit ihnen verheiratet zu sein, sie durften sich scheiden
lassen. Aber die männliche Macht – in der Politik, in der Wissenschaft, im
Privaten – blieb unangefochten.
Und Stolle sah, dass Frauen in Afrika, Asien und vielen arabischen Ländern
Unmenschliches ertragen mussten: Genitalverstümmelungen,
Zwangsverheiratungen, selbst wenn sie noch minderjährig waren. Sie durften
nicht lesen und schreiben lernen, weibliche Föten wurden abgetrieben.
Frauen, erinnert sich Stolle, waren „die Vierte Welt“.
Und dann sagte ein Ethnologieprofessor diesen Satz: „Beschneidungen von
Mädchen und Frauen sind Kultur. Und die muss geschützt werden.“ Dieser Satz
erschütterte Stolle zutiefst, er rührte an ihr Unrechtsbewusstsein – und
sie beschloss, ihr soziales Gewissen zu ihrem Beruf zu machen. Terre des
Femmes begeht am Sonntag ihr 25-jähriges Jubiläum.
Seitdem prägt Stolle das Gesicht der Organisation. Fortan kämpfte sie
darum, dass kein Mann seine Frau zum Sex zwingen darf, nur weil die beiden
miteinander verheiratet sind. In Deutschland existierte bis Ende der
neunziger Jahre kein Gesetz, das Vergewaltigung in der Ehe verbot. Stolle
und Terre des Femmes schrieben Briefe ans Justizministerium, formulierten
Paragrafen fürs Strafgesetzbuch, verhandelten mit Juristinnen. Mit Erfolg:
Seit 1997 steht Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe.
Doch Gewalt gegen Frauen hört nicht auf. Weltweit sind 125 Millionen Frauen
und Mädchen von Beschneidung betroffen. Etwa 25.000 Frauen und Mädchen, die
das grausame Ritual erleiden mussten, leben in Deutschland. 2.500 Mädchen
sind davon bedroht. „Diese Mädchen müssen wir schützen“, sagt Stolle.
Im Sommer warnte die Frauenrechtsorganisation, die seit 2011 in Berlin
sitzt: Wenn nach den Ferien manche türkische und arabischstämmige Mädchen
nicht in die Schule kommen, kann es sein, dass sie in ihren Heimatländern
zwangsverheiratet wurden. Jedes Jahr wenden sich etwa 3.500 junge Frauen
und Männer an Beratungsstellen, weil sie fürchten, dass ihnen eine
Zwangshochzeit droht. In etwa 40 Prozent der Fälle wird die Ehe auch
vollzogen, belegt eine Studie des Familienministeriums.
Seit immer mehr Flüchtlinge aus Krisenregionen nach Europa und Deutschland
kommen, fühlt sich Stolle an früher erinnert. Sie warnt: „Die Fehler der
Vergangenheit dürfen uns nicht noch einmal passieren.“ So benötigen
Flüchtlingsfrauen besondere Sprachkurse, weil viele von ihnen
Analphabetinnen sind. Sie müssten vor Gewalt in Unterkünften geschützt
werden, es müsse Räume speziell für Frauen geben.
Für ihr Engagement hat Christa Stolle 2012 den Woman of Courage Award
bekommen, ein Jahr später bekam sie das Bundesverdienstkreuz.
31 Oct 2015
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Terre des Femmes
Feminismus
Menschenrechtsorganisation
Frauenrechte
Gewalt gegen Frauen
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