# taz.de -- Genitalverstümmelung in Ägypten: Tod einer 17-Jährigen | |
> Beschneidungen sind in Ägypten seit 2008 verboten, finden aber weiter | |
> statt. Eine so tief verwurzelte Tradition lässt sich nur schwer | |
> verändern. | |
Bild: Explizite Pädagogik: mit solchen Bildkarten sollen ägyptische Frauen ü… | |
KAIRO taz | Unscheinbar sieht es aus, das Kanal-Krankenhaus in der | |
ägyptischen Stadt Suez. Die Pforten zu dem Krankenhaus sind versiegelt. Ein | |
weißes Band der Polizei hängt davor. | |
Hier starb vor wenigen Tagen die 17-jährige Majar Muhammad bei einer | |
Operation, in der ihre Genitalien verstümmelt wurden. Gegen die Ärztin, die | |
die Operation durchführte, und die Mutter, die im gleichen Krankenhaus als | |
Krankenschwester gearbeitet hat, hat die Staatsanwaltschaft ein Verfahren | |
eingeleitet. | |
Weibliche Genitalverstümmelung ist eine weit verbreitete Tradition in | |
Ägypten. Auch wenn sie eigentlich per Gesetz verboten ist, kommen diese | |
Fälle so gut wie nie zur Anzeige. Nur wenn das Mädchen stirbt, gerät die | |
Geschichte manchmal an die Öffentlichkeit. Dann müssen die Behörden | |
handeln, denn seit 2008 sind Mädchenbeschneidungen in Ägypten illegal. | |
„Dass es im Falle Majar zu einer Anzeige kam, ist eigentlich mehr Zufall“, | |
erklärt Marwa Radwan, eine 26-jährige Frauenaktivistin in Suez. „Die | |
Operation wurde in einem privaten Krankenhaus, von einer Ärztin | |
durchgeführt, die Mutter des Opfers arbeitet dort als Krankenschwester. Am | |
Ende war es einem Inspektor des Gesundheitsministeriums geschuldet, der das | |
Ganze zur Anzeige brachte“, schildert sie die Umstände. „Normalerweise“, | |
sagt sie „wenn etwa ein Nachbar zur Polizei geht und Anzeige erstatten | |
will, wird ihm dort erklärt, das sei eine reine Privatangelegenheit.“ | |
## 2015 musste erstmals ein Arzt ins Gefängnis | |
Erstmals in der Geschichte des Landes wurde letztes Jahr ein Arzt zu zwei | |
Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem die 14-jährige Sohair bei der | |
Operation verstorben ist. Erneut wurde eine Debatte entzündet, über Sinn | |
und Unsinn der jahrtausendealten, brutalen afrikanischen Tradition, die | |
vielleicht sogar schon in pharaonischen Zeiten ihren Ursprung hatte. | |
Wie auch jetzt, bei Majars Tod, traten Ärzte im Fernsehen auf und klärten | |
auf, welche körperlichen und psychologischen Schäden die Mädchen | |
davontrugen, und staatlich sanktionierte islamische Prediger erklärten die | |
Praxis als „haram“, als islamisch verboten. Und auch jetzt, mit Majars Tod, | |
ließ der Mufti des Landes eine Fatwa verbreiten, in dem die Praxis | |
untersagt wird. Aber alte Traditionen sind nur schwer auszurotten. | |
Sowohl muslimische als auch christliche junge Ägypterinnen werden zu | |
Opfern. Die Religion ist dabei keineswegs ausschlaggebend. Paradoxerweise | |
sind es oft die Mütter und Großmütter, die die Tradition weitertragen. Nur | |
noch ein Drittel der selbst beschnittenen Mütter geben heute an, ihre | |
Töchter die gleiche Prozedur durchleiden zu lassen. | |
Aber mit der Illegalisierung ist die Genitalverstümmelung auch in der | |
Heimlichkeit verschwunden. „Geht in die Armenviertel und schaut, was dort | |
passiert auf den Märkten und in dunklen dreckigen Hinterzimmern. Von | |
irgendjemandem, einer Krankenschwester oder einer Hebamme, die gerade | |
einmal ein Skalpell halten kann, oft nehmen sie aber auch nur eine | |
Rasierklinge“, beschreibt die Frauenaktivistin Marwa die brutale | |
Wirklichkeit. | |
Staatlicherseits steckt man auf lokaler Ebene gerne den Kopf in den Sand. | |
In seinem schmucklosen Büro geht der oberste Beamte des | |
Gesundheitsministeriums in Suez in Verteidigungsstellung. „Ich arbeite seit | |
14 Monaten hier, und mir ist noch kein einziger Fall von Frauenbeschneidung | |
zu Ohren gekommen, außer der des jetzigen Todesopfers Majar“, erklärt Lutfi | |
Abdel Samia allen Ernstes. | |
## Islamische Geistliche mit ambivalenter Haltung | |
Die Frauenaktivistin Marwa betont, dass die Religion bei der Tradition der | |
Genitalverstümmelung nicht die zentrale Rolle spiele. „Wenn du die Mütter | |
fragst, warum die das machen, sagen sie, sie wollen der Tochter die | |
sexuelle Lust nehmen, damit sie keusch bleibt und damit der Ehre der | |
Familie gerecht wird“, erläutert sie. | |
Aber auch wenn der Mufti der Al-Azhar-Universität betont, dass auch die | |
Töchter des Propheten nicht beschnitten worden seien, auf der unteren Ebene | |
bleiben viele islamische Geistliche ambivalent oder unterstützen die | |
Tradition gar. Daran hat sich trotz aller Aufklärung nur wenig geändert. | |
Scheich Kamal Barabri, Angestellter der Azhar-Universität, unterhält nicht | |
weit vom Kanal-Krankenhaus entfernt eine kleine Wohlfahrtorganisation in | |
Suez. Seine eigenen Töchter seien nicht beschnitten, behauptet er. Aber im | |
Gespräch will er sich dann doch nicht richtig festlegen. „Das muss jeder | |
für sich frei entscheiden. Es gibt sicherlich keine Pflicht im Islam, das | |
zu tun. Aber der Prophet hat es auch nicht explizit verboten“, sagt er. | |
Eine so tief verwurzelte Tradition lässt sich nur schwer verändern. | |
Bildung, vor allem der Frauen, ist dabei wohl der wichtigste Schlüssel, der | |
brutalen blutigen Praxis irgendwann einmal endgültig den Garaus zu machen. | |
Denn die Statistik besagt auch, je höher der Bildungsgrad der Mutter, umso | |
unwahrscheinlicher wird es, dass ihre Tochter beschnitten ist. | |
5 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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