# taz.de -- Medienprojekte und Gemeinnützigkeit: Im Dienste der Gesellschaft? | |
> Die Non-Profit-Medienmacher in Deutschland haben ein Problem: | |
> Journalismus wird von den Behörden nicht als gemeinnützig anerkannt. | |
Bild: Jahrestagung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche – links: Mo… | |
Vor ein paar Wochen stand Moritz Tschermak wieder vor einer Schulklasse. | |
Der Journalist, der auf den Webseiten [1][„Bildblog“] und [2][„Topf voll | |
Gold“] die Verfehlungen seiner Branche aufdeckt, zeigte den SchülerInnen | |
mit dem [3][„Schlagzeil-O-Mat“], der automatisch reißerische Überschriften | |
ausspuckt, wie Boulevardjournalismus funktioniert. Außerdem rief er dazu | |
auf, in sozialen Netzwerken zurückhaltend zu sein – immerhin stöberten | |
darin Journalisten, um ihren Hunger nach Opferfotos zu stillen. | |
„Dieser Vortrag war wie immer spannend“, sagt Tschermak. „Aber wenn ich | |
auch die Vorbereitung mit einrechne, dann geht dafür einfach zu viel Zeit | |
drauf, die mir für das Wesentliche fehlt: den Journalismus.“ | |
Vor gut einem Jahr schlagzeilte „Topf voll Gold“ noch „In eigener Sache: | |
Der Topf ist jetzt gemeinnützig“. Wer Medienkritik finanzieren wollte, | |
konnte seine Investition von der Steuer absetzen. Aber: Als gemeinnützig | |
anerkannt wurden nur die Bildungsangebote, die Tschermak und Konsorten | |
entwickelt hatten – aber eben nicht jene Berichterstattung, für die | |
Tschermak gern mehr Zeit hätte. Denn Journalismus an sich dürfen die | |
Finanzbehörden nicht als gemeinnützig anerkennen. | |
Dieser anhaltende Zustand dürfte die Euphorie bremsen, wenn sich am 28. | |
Oktober die Anhänger der noch jungen Bewegung auf dem [4][„Tag des | |
Non-Profit-Journalismus“] in Berlin treffen. Thomas Schnedler hat die | |
Fachkonferenz organisiert. Er ist Referent für das Thema beim [5][Netzwerk | |
Recherche] – gefördert von der GLS Treuhand, einem Unternehmensteil der GLS | |
Bank. Schnedler verweist auf erfolgreiche Projekte wie das gemeinnützige | |
Recherchezentrum [6][Correctiv], das die Brost-Stiftung mit mehreren | |
Millionen Euro angeschoben hat und das inzwischen im Zusammenspiel mit | |
kleinen wie großen Medien berichtet sowie Bürgern in | |
Informationsfreiheitsseminaren hilft, die Aktenschränke deutscher Behörden | |
zu öffnen. | |
## Das kommt | |
Das Netzwerk Recherche wird zudem – gefördert von der Schöpflin-Stiftung – | |
schon bald mehreren Projekten Starthilfe geben, die „einen | |
Recherche-Schwerpunkt haben und die Gemeinnützigkeit anstreben“. Für diese | |
Stipendien seien „tolle Bewerbungen eingegangen, die uns die Auswahl schwer | |
machen“, sagt Schnedler und zeichnet – wenn auch verhalten – ein | |
optimistisches Bild: „In dem Bereich ist mehr Dynamik drin als noch vor | |
zwei Jahren.“ | |
Doch nicht nur bei „Topf voll Gold“, sondern auch anderswo funktioniert der | |
Non-Profit-Journalismus nicht so wie gedacht. „Ernüchtert“ sind Wolfgang | |
Messner und Thomas Schuler, die im vergangenen Jahr [7][ProRecherche] | |
gegründet haben. Die Idee dahinter: Exzellente JournalistInnen wie die | |
Autorin Julia Friedrichs und der einstige Chefredakteur von Spiegel und | |
Süddeutscher Zeitung, Hans Werner Kilz, helfen KollegInnen über einen | |
langen Zeitraum dabei, Missstände offenzulegen und so den Staat sauber zu | |
halten. | |
Schuler und Messner sind selbst herausragende Journalisten. Der eine | |
seziert seit Jahren das Medienimperium von Bertelsmann, der andere hat | |
Skandale im Südwesten der Republik aufgedeckt. Mit Geld etwa der | |
Rudolf-Augstein-, der Otto-Brenner- und der August-Schwingenstein-Stiftung | |
haben sie auch erste Lehrredaktionen gegründet. Andere Stiftungen hätten | |
allerdings abgewunken oder gar nicht erst auf Anfragen reagiert. Immer | |
wieder seien Rechercheprojekte zudem gar nicht mit dem Stiftungszweck | |
vereinbar – und das alles, obwohl Stiftungsvertreter sich in Sonntagsreden | |
gerne für den Journalismus einsetzten und das Thema besetzten. | |
Das Problem: Wenn denn Geld von Stiftungen floss, mussten Messner und | |
Schuler das eins zu eins – da zweckgebunden – in ihre Lehrredaktionen | |
stecken. Der ganze Aufbau drumherum, die Errichtung von ProRecherche, sei | |
damit „im Grunde ein unbezahltes Hobby“, das überdies „vor allem Kosten | |
verursacht“ habe, etwa für den Internetauftritt und den Notar. „Wir haben | |
ProRecherche deshalb nie so aufbauen können, wie wir uns das gewünscht | |
hätten.“ Da sind sich beide einig. | |
All diese Schwierigkeiten beobachtet auch Marcus von Jordan. Dabei ist er | |
selbst einer, der es erst mal gut getroffen hat: Seine Autorenplattform | |
[8][Torial] wird von der August-Schwingenstein-Stiftung gefördert, bei der | |
– ähnlich wie bei Brost und Augstein – das Kapital letztlich vor allem von | |
einstigen Medienmachern stammt, hier einem der Mitgründer der Süddeutschen | |
Zeitung. Die Szene fördert sich so vor allem selbst. | |
## Nichts Nachhaltiges | |
Allerdings bezeichnet Jordan die Förderpolitik vieler journalistischer | |
Projekte offen als „kontraproduktiv“. Namhafte Geldgeber förderten gezielt | |
„Prestigeträchtiges, das aber mit viel zu kleinen Summen“. Das bringe zwar | |
junge Leute dazu, unter „teils brutaler Selbstausbeutung“ ein paar Monate | |
hart zu arbeiten, schaffe aber nichts Nachhaltiges – von wenigen Projekten | |
wie Correctiv, [9][Finanztip] und seinem Torial abgesehen. | |
Außerdem behagt es Jordan kaum, dass man, um für Journalismus die | |
Gemeinnützigkeit zu beantragen und zu erlangen, Umwege über den | |
Verbraucherschutz oder Bildungsangebote beschreiten muss. Auch wenn er | |
selbst diesen Weg gegangen ist. Aber: „Es weiß doch niemand, ob nicht in | |
zwei Jahren ein Münchner Finanzbeamter der Meinung ist, ich hätte doch zu | |
viel Geld für Torial ausgegeben statt für unsere Akademie. Projekte | |
brauchen Rechtssicherheit, vor allem bei der steuerlichen Einordnung.“ | |
Jordan fehlt das Lobbying für eine Gesetzesänderung: Er will, dass das | |
Kerngeschäft des Journalismus – das Recherchieren und Veröffentlichen – | |
selbst als gemeinnützig anerkannt werden kann. Non-Profit-Referent Thomas | |
Schnedler sagt dazu, das Netzwerk Recherche habe sich „nie als große | |
politische Lobbyorganisation verstanden“. Er glaube auch nicht, dass man | |
Politiker mit dem Thema „nerven“ müsse. Dass sein „Tag des | |
Non-Profit-Journalismus“ in der Hamburger Landesvertretung zu Gast sei, | |
zeige doch, dass das Thema „im politischen Kosmos auf Interesse“ stoße. | |
## Das war’s | |
Jordan reicht das allerdings nicht. Er mahnt: „Auf Lobbyseite ist das | |
totales Stückwerk.“ Für gemeinnützigen Journalismus werde „nicht laut ge… | |
geschrien“. Den richtigen Weg kenne er zwar nicht, doch am Abend der | |
Fachkonferenz will er mit Gleichgesinnten eine Konferenz für April 2017 | |
planen – für nachhaltige „Biomedien“, wie er das lieber nennt, und | |
alternative Finanzierungswege. | |
ProRecherche will unterdessen versuchen, durchzuhalten – wenn auch auf | |
niedrigem Niveau, denn die Macher müssen selbst Geld verdienen. | |
„Topf voll Gold“-Blogger Tschermak wiederum wird demnächst ein zweites Mal | |
zum Notar gehen und die Gemeinnützigkeit abwickeln. Er selbst kümmert sich | |
ohnehin zunehmend um „Bildblog“. „Topf voll Gold“ hat zudem gerade als … | |
des abofinanzierten Portals [10][„Übermedien“] eine neue Heimat gefunden. | |
Für Tschermak ist das Kapitel „Gemeinnützigkeit“ heute nicht viel mehr als | |
ein „lehrreiches Experiment“. | |
16 Oct 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bildblog.de/ | |
[2] http://www.topfvollgold.de/ | |
[3] http://www.bildblog.de/schlagzeilomat.html | |
[4] https://tnpj16.sched.org/ | |
[5] https://netzwerkrecherche.org/ | |
[6] https://correctiv.org/ | |
[7] http://www.prorecherche-lehrredaktion.org/ | |
[8] https://www.torial.com | |
[9] http://www.finanztip.de/ | |
[10] http://uebermedien.de/ | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
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