# taz.de -- Ein Jahr Correctiv: Anleitung zum Piesacken | |
> Nach einem Jahr hat das Recherchebüro Correctiv einen neuen | |
> Chefredakteur. Markus Grill kommt vom „Spiegel“. Er setzt auf mehr | |
> Vernetzung. | |
Bild: Beim Grimme Online Award gab es einen Preis fürs Team. | |
Markus Grill hat die Gabe, Krisen gar nicht erst an sich heranzulassen. | |
Grill war Tageszeitungsredakteur, da entdeckte ihn der Stern, bevor seine | |
bisherige Branche ins Jammertal hinabstieg. Bevor sich der Stern in | |
Richtung Bedeutungslosigkeit bewegte, rief ihn der Spiegel. Und nun ist er | |
auch dort abgehauen – womöglich gerade noch rechtzeitig. Grill leitet jetzt | |
[1][Correctiv], das „Recherchen für die Gesellschaft“ verspricht und auf | |
Spenden und Mitglieder setzt statt auf Abos und Anzeigen. | |
„Natürlich, ich hätte noch irgendwie 20 Jahre bis zu meiner Rente als Autor | |
oder Reporter dort bleiben können“, sagt Grill, zumal der Spiegel „so gut | |
bezahlt wie kein anderes Medienunternehmen“. Bei Correctiv aber könne er | |
nun selbst gestalten. Das soll wohl heißen: Hier kann er auch mal | |
Chefredakteur sein. | |
Correctiv hat bislang vor allem mit Recherchen zu MH17, dem über der | |
Ostukraine abgeschossenen Flugzeug, auf sich aufmerksam gemacht, der Mafia | |
nachgespürt und Schlampereien beim Umgang hiesiger Krankenhäuser mit der | |
Hygiene aufgearbeitet. Grill, der einst mit seinen Recherchen die deutsche | |
Pharmaindustrie in Aufruhr versetzt hat, will sich stärker um das Thema | |
Gesundheit kümmern. Vor allem will er, dass sich Correctiv fokussiert. | |
Grill hat von seinem bisherigen Beobachterposten aus erkannt, dass sich | |
manch ein Journalist mitunter in Details verloren hat. „Im ersten Jahr | |
wurde viel versucht“, sagt Grill. Etwa 40 Themen stünden auf der Agenda. | |
Das soll sich ändern, sagt der neue Chef: „Wir werden uns auf Wichtiges | |
konzentrieren und nicht mehr so viel Kleinteiliges machen.“ | |
## Finanzielle Sicherheit | |
Sein Team soll nun zu den multiresistenten Erregern eine europaweite | |
Datenbank aufbauen. Grill, der für den Spiegel aus den USA berichtet hat, | |
will Vernetzung. Auch zum Klimawandel sucht er Kooperationen, zum Beispiel | |
mit dem Climate Desk, über den sich Medien wie der Guardian, The Atlantic | |
und Mother Jones vernetzt haben. | |
Was der neue Chef mitgebracht hat, ist finanzielle Sicherheit. Die Kasse | |
füllt bislang vor allem die Essener [2][Brost-Stiftung], ursprünglich aber | |
nur die ersten drei Jahre lang. „Meine Bedingung war eine längere | |
Perspektive“, sagt Grill. Inzwischen ist klar: Die Stiftung verlängert ihr | |
millionenschweres Engagement. Dazu kommen Projektmittel etwa von der | |
[3][Bundeszentrale für politische Bildung] und der | |
[4][Rudolf-Augstein-Stiftung] sowie Mitgliedsbeiträge, denn Correctiv ist | |
gemeinnützig. | |
Für die Gemeinnützigkeit touren die Redakteure durch die Republik und | |
erklären jedem Interessenten, wie er mithilfe der | |
Informationsfreiheitsgesetze in die Aktenschränke der Behörden schauen | |
kann. Grill plant nun noch mehr: eine mobile Lokalredaktion, die aktiv | |
wird, wenn Correctiv-Mitglieder vor Ort Missstände wittern. | |
„Die Idee ist, dass wir dann wie eine Art Task-Force in eine Stadt | |
einreiten“, sagt Grill. Correctiv will im akuten Fall zeigen, wie Bürger an | |
Dokumente und Informationen kommen und „die Stadtverwaltung ein bisschen | |
piesacken“ können. | |
## Journalistisches Festival im Ruhrgebiet | |
In den vergangenen Monaten hatte der einstige WAZ-Redakteur David Schraven | |
Correctiv aufgebaut und war in Personalunion für das Geschäftliche ebenso | |
zuständig wie für den Inhalt. Schraven zieht sich nun auf den Posten des | |
Herausgebers zurück und baut gerade in seiner Heimat, dem Ruhrgebiet, ein | |
journalistisches Festival auf. Zum Start hatte David Schraven erklärt, alle | |
gut 400 Sparkassen in Deutschland flächendeckend unter die Lupe nehmen zu | |
wollen. Dieses Projekt zieht sich, ist aber noch nicht aufgehoben, heißt es | |
bei Correctiv. Wie geplant sollen interessierte Bürger geschult und | |
eingebunden werden. | |
Markus Grill wird auch das mitbetreuen. Er ist jetzt 47 Jahre alt und in | |
dem guten Dutzend fester Mitarbeiter bei Correctiv am Stammsitz in Essen | |
und im Berliner Außenbüro der Zweitälteste. „Das ist mir so noch nicht | |
passiert“, sagt der neue Chefredakteur. „Aber so ist das eben bei | |
Startups.“ | |
29 Jun 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://correctiv.org/ | |
[2] http://www.broststiftung.ruhr/ | |
[3] http://www.bpb.de/ | |
[4] http://www.rudolf-augstein-stiftung.de/ | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
## TAGS | |
Journalismus | |
Correctiv | |
Recherche | |
Schwerpunkt Zeitungskrise | |
Journalismus | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Informationsfreiheitsgesetz | |
RTL | |
Medienwandel | |
Krautreporter | |
Correctiv | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Stiftungsfinanzierter Journalismus: Dranbleiben am Thema | |
Correctiv bekommt Konkurrenz: Ilan Greenberg, der Mitbegründer von Coda | |
Story, recherchiert über Flüchtlingsbewegungen in Deutschland. | |
Medienprojekte und Gemeinnützigkeit: Im Dienste der Gesellschaft? | |
Die Non-Profit-Medienmacher in Deutschland haben ein Problem: Journalismus | |
wird von den Behörden nicht als gemeinnützig anerkannt. | |
Auskunftsrechte bei Behörden: Informationen ohne Freiheit | |
Am 28. September ist der „Right to know day“. Bei behördlicher Transparenz | |
rangiert Deutschland sehr weit hinten. | |
Kolumne Liebeserklärung: RTL ganz investigativ | |
Alte Liebe, neu entfacht: Der Privatsender setzt auf investigativen | |
Journalismus und kooperiert mit dem Recherchebüro Correctiv. | |
Alternative Finanzierung für Watchblog: Die Oma-Offensive | |
Das Medien-Watchblog „Topf voll Gold“ ist gemeinnützig. Künftig wollen die | |
Macher etwa Senioren über „Quatsch“ in der Regenbogenpresse aufklären. | |
Ein Jahr „Krautreporter“: „Gute Recherche ist Mangelware“ | |
Die Macher des Onlineportals sind zufrieden. Mit dem Berliner „Correctiv“ | |
sammelt die lokale Konkurrenz gerade Geld ein. | |
Journalist über rechten Terror: „Nazis lesen keine Comics“ | |
David Schraven hat über die Dortmunder Neonazi-Szene berichtet. Im Comic | |
„Weiße Wölfe“ wird seine Recherche nun nacherzählt. |