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# taz.de -- ARD-Film „Terror – Ihr Urteil“: Und was sagen Sie?
> Ein Soldat hat ein von Terroristen entführtes Flugzeug abgeschossen, nun
> steht er vor Gericht. Das Urteil fällt das Publikum vor den Fernsehern.
Bild: Burghart Klaußner fällt das Urteil, das vom Publikum gewünscht wird
164 Menschen sind getötet worden, um die Leben von 70.000 Menschen zu
retten. Darf man das? Um diese ebenso simple wie komplexe Frage dreht sich
„Terror – Ihr Urteil“. Das Gerichtsdrama ist eine Adaption des
erfolgreichen Bühnenstücks „Terror“ von Ferdinand von Schirach. Verhandelt
wird der Fall des Bundeswehrkampfpiloten Lars Koch (Florian David Fitz),
der ein Passagierflugzeug abgeschossen hat und somit den Tod ebenjener 164
Menschen zu verantworten hat. Das Flugzeug befand sich in der Gewalt eines
islamistischen Terroristen, der damit drohte, es auf das voll besetzte
Fußballstadion in München stürzen zu lassen. Soldat Koch entschied sich
eigenmächtig für den Abschuss. Für seinen Anwalt (Lars Eidinger) ist er ein
Held, die Staatsanwältin (Martina Gedeck) hält ihn für des Mordes schuldig.
Das Besondere: Am Ende entscheidet das Publikum online oder per Telefon
darüber, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht (bei den Aufführungen
des Stückes im Theater müssen die Besucher durch unterschiedliche Ausgänge
gehen). Währenddessen beginnt beim Talk „Hart aber fair“ eine Diskussion
zum Thema. Nach zehn Minuten wird diese unterbrochen, und der Richter
(Burghart Klaußner) spricht das Urteil, für das sich die Mehrheit
entschieden hat.
In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
kritisierten die FDP-Liberalen Gerhart Baum und Burkhard Hirsch dieses
Vorhaben scharf. Die beiden hatten mit ihrer Klage 2006 dafür gesorgt, dass
ein Gesetz, das den Abschuss erlaubt hätte, vom Bundesverfassungsgericht
kassiert wurde (siehe nebenstehenden Text). Das Stück manipuliere zunächst
die Zuschauer, meinen Baum und Hirsch, weil diese nur noch den
gewissensgeplagten Piloten sähen; und überhaupt dürfe man nicht über das
Grundgesetz abstimmen lassen.
Aber: In dem Stück geht es ohnehin nicht so sehr um Paragrafen, sondern um
die Gültigkeit von moralischen Errungenschaften in politisch unruhigen
Zeiten. Gerhart Baum forderte trotzdem: „Ich rate Herrn Herres, dem
Programmdirektor der ARD: Lassen Sie das!“
Doch Volker Herres lässt es nicht: „Die hier verhandelte Frage kann in der
Wirklichkeit natürlich niemals per Abstimmung durch die Bevölkerung oder
gar ein Fernsehpublikum entschieden werden. Wir wollen bestimmt keine
Volksabstimmungen über Verfassungsgrundsätze lancieren. Für die
Rechtsprechung haben wir die Judikative, das soll auch so bleiben.“ Im
Rahmen der Fiktion halte er eine Abstimmung aber für legitim: „Sie ist ein
dramaturgischer Kniff, um die Aufmerksamkeit bei den Zuschauern zu
verstärken, sie zum Mitdenken anzuregen, weil sie am Ende eine Entscheidung
treffen müssen. Das Publikum besitzt genug Medienkompetenz, um diesen
Unterschied zu erkennen.“
## „Das Wesen der Demokratie ist die Diskussion“
Ferdinand von Schirach geht noch weiter: „Die Abstimmung ist die eine
Sache, aber tatsächlich ist die Diskussion das Wichtige, und nur die
Diskussion. Es umtreibt uns ja alle gerade das Gefühl, dass wir nicht mehr
in Ruhe unsere Meinungen austauschen können. Die entscheidende Frage ist
deshalb für mich: Wie können wir ein solches Thema besprechbar machen? Und
zwar nicht nur für Intellektuelle, sondern für jedermann. Das Wesen der
Demokratie ist die Diskussion. Solange wir uns darüber unterhalten, wie wir
leben wollen, ist alles erreicht.“
Die Regie für die TV-Fassung übernahm Lars Kraume, der zuletzt für das
Kinodrama „Der Staat gegen Fritz Bauer“ zuständig war. „Wir üben mit di…
Fernsehspiel gewissermaßen spielerisch einen demokratischen Diskurs“, sagt
Kraume. „Eigentlich braucht ein Regisseur immer eine Haltung zu den
Hauptfiguren, zu seiner Geschichte und zu ihrer Philosophie, die sich am
Ende offenbart. Aber hier ist das Ende offen, und damit geht es um eine
größtmögliche Neutralität als Filmemacher. Ich musste bei jeder
Kameraposition, bei einer Veränderung des Lichts, bei jeder Inszenierung
der Schauspieler darauf achten, durch diese Entscheidungen nicht Partei zu
ergreifen und damit auch die Zuschauer zu beeinflussen. Für mich war das
ein sehr ungewöhnliches Experiment.“
## Darsteller nur bloße Aufsager
Die Theaterfassung hat er in Zusammenarbeit mit von Schirach und dem
Produzenten Oliver Berben leicht bearbeitet; abgesehen von einer kurzen
Anfangsszene bleibt die Geschichte im Gerichtssaal. Durch die Fenster ist
im Hintergrund der Reichstag zu sehen, was der Produktion vermutlich
Bedeutung verleihen soll, aber aufgeblasen wirkt. Bei der Arbeit mit den
Schauspielern war Kraume durch seine Neutralitätsverpflichtung
möglicherweise gehemmt, denn immer wieder sind die Darsteller bloße
Aufsager von Positionen.
Insgesamt aber überzeugt Kraumes Film. Gerichtsdramen können schnell
langweilen, aber hier ist das Timing optimal, von Beginn an wird Spannung
gehalten. Jeder, der bei diesem Thema keine feste Meinung hat, dürfte bei
seiner Urteilsfindung mehrmals schwanken. Genau in den richtigen Momenten
werden neue Fragen aufgeworfen, Zweifel geschürt. Faszinierend ist dabei
die angesichts des Verhandelten bisweilen fast schon unanständig lakonische
und trocken-juristische Sprache. Und wann wurde in einer
Primetime-Produktion zuletzt Immanuel Kant zum Thema?
„Generell habe ich das Gefühl, dass es im Fernsehen bei den
Öffentlich-Rechtlichen oft etwas seicht zugeht“, sagt Lars Kraume. „Vieles
soll leicht konsumierbar und unterhaltsam sein, es darf bloß nicht zu
kompliziert werden. Deshalb bin ich umso erfreuter, dass die ARD die
Zuschauer mit diesem durchaus komplexen Thema konfrontiert.“ Bereits am
Freitag wurde der Film in mehr als 100 Kinos gezeigt, ARD-Radiosender im
ganzen Land haben Diskussionsrunden zu „Terror“ im Programm. Außerdem wird
der Film am Abend zeitgleich auch im österreichischen ORF und im
schweizerischen SRF ausgestrahlt. Der öffentlich-rechtliche Verbund zeigt,
welche Alleinstellungsmerkmale und Stärken er einsetzen kann. Wenn er denn
will.
17 Oct 2016
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
Terrorismus
Bundesverfassungsgericht
Fernsehfilm
Abstimmung
Ferdinand von Schirach
Ferdinand von Schirach
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Lesestück Recherche und Reportage
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