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# taz.de -- Nato-Strategie in Osteuropa: Die Sache mit Russland
> Außenminister Frank-Walter Steinmeier schlägt eine Rüstungsobergrenze für
> das Baltikum vor. Beifall von dort hat er nicht zu erwarten.
Bild: Steht vor Ort mit seinem Vorschlag allein da: Steinmeier in Riga
Berlin taz | Der litauische Außenminister versucht es mit den Grundlagen
der Verkehrserziehung. „Wenn jemand die ganze Zeit rote Ampeln missachtet,
ist es keine Lösung, die Ampeln einfach abzubauen“, sagt Linas Linkevicius
und lacht.
Zwei Stühle weiter sitzt sein Amtskollege aus Estland und grinst, ihm
gefällt der Spruch. Zwischen ihnen sitzt Frank-Walter Steinmeier, presst
die Lippen zusammen und zieht die Mundwinkel gequält nach oben. Kein
Wunder: Der Scherz ging auf seine Kosten.
Der deutsche Außenminister ist zu Gast in Riga, um mit seinen Kollegen aus
den baltischen Staaten zu feiern. Vor 25 Jahren haben sich Estland,
Lettland und Litauen von der Sowjetunion gelöst und diplomatische
Beziehungen mit Deutschland aufgenommen. Mittlerweile arbeiten alle vier in
der EU zusammen, der Handel boomt, der Tourismus floriert. Was die
Feierstimmung trübt: die Sache mit Russland.
Seit der Annektion der Krim fürchten die Balten um ihre Sicherheit. Sie
sorgen sich, dass es der Kreml auch auf sie abgesehen haben könnte. Für den
litauischen Außenminister ist Wladimir Putin der notorische Rotsünder, der
gestoppt werden muss – und Steinmeier derjenige, der stattdessen die Ampeln
abbaut.
## Das System der Rüstungskontrolle ist tot
Immer wieder ist der SPD-Politiker in den vergangenen Monaten auf Russland
zugegangen. Er wirbt für den Abbau der europäischen Sanktionen und für eine
Rückkehr Russlands in den Kreis der G8-Staaten. Zwei Wochen vor seiner
Reise nach Riga brachte er dann auch noch ein Vorhaben ins Spiel, dass den
Russen besser gefallen dürfte als den Partnern im Osten der EU: eine
Rüstungsobergrenze fürs Baltikum.
Anfang September hatte Steinmeier die Außenminister der OSZE-Staaten nach
Potsdam eingeladen und ihnen dort einen Vorschlag gemacht: Russland und der
Westen sollen sich auf ein neues System der Rüstungskontrolle einigen. Auf
dem Papier existiert so ein System zwar seit Ende des Kalten Krieges.
Spätestens die Ukraine-Krise hat aber gezeigt: Es funktioniert nicht mehr.
Zentrales Element ist der sogenannte KSE-Vertrag: Im Jahr 1990, nur sechs
Wochen nach der deutschen Einheit, vereinbarten die Staaten der Nato und
des Warschauer Pakts ein Abrüstungsprogramm. Beide Seiten zerstörten
freiwillig tausende Panzer, Raketen und Kampfflugzeuge. Später
aktualisierten sie den Vertrag und legten neue Obergrenzen fest. Das
funktionierte mehr oder weniger – bis die baltischen Staaten 2004 der Nato
beitraten, ohne den KSE-Vertrag zu unterzeichnen.
Das westliche Militärbündnis rückte damit an Russlands Grenzen, ohne dass
die vereinbarten Kontrollmechanismen griffen. In der Folge setzten die
Russen den Vertrag erst aus. Unter dem Eindruck des Ukraine-Konflikts
erklärten sie ihn mittlerweile offiziell für tot. Ausgerechnet in der
schwersten sicherheitspolitischen Krise seit dem Ende des Kalten Kriegs
steht Europa somit ohne funktionierende Rüstungskontrolle da.
## Neuer Anlauf in Potsdam
Hier setzt Steinmeiers Potsdamer Vorschlag an. Ein neues Kontrollsystem
soll moderne Waffen wie Kampfdrohnen einbeziehen, an die 1990 noch niemand
dachte. Es soll anders als bestehende Abkommen auch für abtrünnige Gebiete
wie die besetzte Ost-Ukraine gelten. Vor allem aber soll es Obergrenzen für
Waffen im Baltikum beinhalten.
Ein Plan, der nicht gerade Begeisterung auslöste – auf keiner Seite. Nette
Idee, heißt es aus der Opposition in Deutschland, nur passe sie so gar
nicht zur Politik der Bundesregierung: Die große Koalition erhöht den
Verteidigungsetat und schickt im Januar voraussichtlich mehrere hundert
Bundeswehrsoldaten nach Litauen. Der Außenminister billigt beide Maßnahmen.
Kein Widerspruch, sagt Steinmeier in Riga: Seit Jahrzehnten fahre die Nato
eine Doppelstrategie: Abschreckung und Dialogbereitschaft. „Auf Seite der
Abschreckung haben wir sehr konkrete Entscheidungen mit deutscher
Beteiligung getroffen. Jetzt geht es darum, auch konkrete Angebote zum
Dialog zu machen“.
## Skepsis in Riga und Washington
Das wiederum sieht eine ganze Reihe von Nato-Partnern anders. Die USA
äußerten sich bereits skeptisch zu Steinmeiers Plänen. In Riga legt nun
also der litauische Außenminister Linkevicius nach. „Wir sollten Russland
nicht auch noch dabei unterstützen, die europäische Sicherheitsarchitektur
zu zerstören“, sagt er. In der Vergangenheit habe Russland ähnliche
Angebote zur Zusammenarbeit ausgeschlagen. Warum solle es nun also anders
sein?
„Es gibt natürlich keine Garantie für Erfolg“, sagt Steinmeier. „Aber es
wäre wenig verantwortlich, es deshalb gar nicht erst zu versuchen.“ Im
Dezember empfängt er seine Außenminister-Kollegen zu einem OSZE-Gipfel in
Hamburg. Bis dahin will er weiter für seinen Plan werben. Mit Unterstützung
aus dem Baltikum, das ist nach dieser Reise klar, sollte er dabei aber
nicht rechnen.
13 Sep 2016
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Außenpolitik
Osteuropa
Baltikum
Waffen
Nato
Russland
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