# taz.de -- Militärexperte über Syrienkrieg: „Dem Westen fehlt ein Konzept�… | |
> Westliche Politiker realisieren, dass sie Russland bei der Konfliktlösung | |
> brauchen, sagt der Alexander Golz. Aber sie hätten kein Konzept. | |
Bild: Umgeben von russischen Soldaten: Wladimir Putin | |
taz: Herr Golz, werden Russland und die USA in Syrien gemeinsam vorgehen? | |
Alexander Golz: Es sieht danach aus. Vor zwei Wochen gab sich Washington | |
noch unbeugsam: Russland solle sich heraushalten. Inzwischen führten die | |
Verteidigungsminister Gespräche. Der Prozess steht erst am Anfang. Dennoch: | |
De facto stimmten die USA einer Beteiligung Russlands bei der | |
Konfliktlösung zu. | |
Wie erklärt sich der rapide Sinneswandel? | |
Dem Westen fehlt immer noch ein Konzept, wie er mit Wladimir Putin umgehen | |
soll. Bei den führenden Politikern im Westen liegen jedes Mal die Nerven | |
blank. Ihr „Darm ist schwach“, heißt es bei uns. | |
Die USA wollen mit Assad nur über dessen Rücktritt reden. | |
Für Russland und den Iran ist Assad der rechtmäßige Präsident. Entscheidend | |
ist jedoch, dass der Westen Putin die Führungsrolle überlässt. Putin | |
braucht Syrien nicht. Er wird diese Rolle nutzen, um sich aus der | |
weltweiten Isolation zu befreien. Letztes Jahr in Brisbane beim G-20-Gipfel | |
wollte niemand mit ihm reden. Vor den UN am Montag soll sich das nicht | |
wiederholen. Dank der russischen Syrien-Initiative wird er im Mittelpunkt | |
der Aufmerksamkeit stehen. | |
Sie behaupten, der Westen weiche zurück. | |
US-Außenminister John Kerry will den Rücktritt Assads unbedingt | |
durchsetzen. Gleichzeitig verzichtet er aber darauf, ein konkretes Datum | |
festzusetzen. So lassen sich die Verhandlungen bis zum | |
Sankt-Nimmerleins-Tag ausdehnen. | |
Putin hat wie schon vor zwei Jahren, mit dem Vorschlag, die Chemiewaffen zu | |
vernichten, die Initiative wieder an sich gerissen . . . | |
. . . und nun verlangt Putin auch den Lohn für seine unbezahlbaren Dienste. | |
Wie der Westen sich auch dreht und wendet, er kommt an Präsident Putin | |
nicht vorbei. | |
Moskau triumphiert schon. | |
Kurz vorher hatte der Westen den Kreml noch mit der unverzüglichen | |
Stationierung militärischer Kontingente im Baltikum, Polen und Rumänien | |
beeindruckt. Diese Entschlossenheit hatte in Moskau niemand erwartet. Jetzt | |
rudert der Westen aber schon wieder zurück und will das Leben seiner | |
Soldaten in Syrien nicht aufs Spiel setzen. Im Gegensatz zu Putin. Der | |
Kreml glaubt, er hätte das Recht, für die Sicherung des Großmachtstatus | |
Soldaten zu opfern. | |
Was ist für den Kremlchef so entscheidend an der Figur Assad? | |
Das Allerwichtigste im Syrienkonflikt ist Putins persönliche Wahrnehmung | |
Assads. Im Kreml vermutet man hinter jedem Vorgehen gegen Diktatoren eine | |
CIA-Verschwörung. Putin ist kein Gefühlsmensch, aber er reagierte sehr | |
emotional auf den Tod Gaddafis. Er sah sich an dessen Stelle. Seither ist | |
es Ziel der Außenpolitik, bunte Revolutionen im Keim zu ersticken, wo immer | |
sie sich rühren. | |
Wie kann eine Koalition gegen den IS aussehen? | |
Ich habe keine Ahnung. Für Washington ist Assad nicht die Lösung, sondern | |
Teil des Problems. Wer wird sich mit Ausnahme Assads von der syrischen | |
Seite auf eine Koalition einlassen? Noch 2014 war man im US-Generalstab | |
gegenüber der syrischen Opposition und ihrer Demokratiefähigkeit sehr | |
skeptisch. Hier hat Putin recht: Die USA können sich auf keine politische | |
Kraft stützen. Es geht nicht mehr um Demokratie, sondern um einen Maßstab, | |
wer von allen der größte Barbar ist. Wie soll die Auseinandersetzung mit | |
dem IS militärisch funktionieren, wie lässt sich im Felde der IS von | |
anderen Organisationen unterscheiden? Ich halte die Koalitionsidee für sehr | |
zweifelhaft. | |
Es gibt kaum verlässliche Informationen über das russische Engagement in | |
Syrien. Erinnert Sie das an die hybride Kriegsführung gegen die Ukraine? | |
Wir wissen nicht viel. So gut wie nichts über die Situation in den | |
umkämpften Gebieten. Alle lügen. Die Lage ist völlig unübersichtlich. Jeder | |
kämpft gegen jeden. Wenn Russland Flugabwehrraketensysteme dort aufstellt, | |
obwohl der IS keine Flugzeuge besitzt, stellt sich die Frage: Mit wem will | |
Assad denn nun tatsächlich kämpfen? Auch Abfangjäger MIG-31 sollen | |
geliefert worden sein, die für die Luftabwehr bestimmt sind und am Boden | |
nichts nützen. Einen Sieg hat Moskau auf jeden Fall errungen: Man | |
kooperiert und verhandelt wieder mit dem Kreml. | |
Bereitet Moskau einen langen Einsatz in Syrien vor? | |
Wenn ja, würde daraus ein langes qualvolles Unternehmen. | |
Die 810. Marineinfanteriebrigade wurde nach Syrien verlegt. Für den | |
Bodenkrieg? | |
Ich hoffe, der Kreml ist vernünftig genug, um eine Bodenoffensive zu | |
vermeiden. Solche Kriege sind nicht zu gewinnen. Wahrscheinlich soll die | |
Brigade nur militärische Objekte bewachen. Eine Wiederholung des | |
Afghanistankriegs wäre fatal. Damals hatten wir wenigstens eine gemeinsame | |
Grenze mit Afghanistan. | |
Das Manöver „Zentrum 2015“ stellte vor Kurzem ein syrisches Szenario nach. | |
Der russische Generalstab kam danach zu dem Schluss, dass eine Truppe von | |
90.000 Soldaten eingesetzt werden müsste, um 10.000 IS-Kämpfer zu | |
vernichten. | |
Wie würde die russische Öffentlichkeit auf einen Einsatz in Syrien | |
reagieren? | |
Das Volk reagiert auf Verluste empfindlich. Beim Angriff auf Mariupol in | |
der Südukraine zeigte sich das zuletzt. Die Operation wurde abgebrochen, | |
als die Verluste in die Höhe schnellten. | |
Verliert der Donbass gegenüber Syrien an Bedeutung? | |
Putin möchte das Unternehmen Ukraine abschließen, jedoch zu seinen | |
Bedingungen. Zurzeit verfügt er weder über wirtschaftliche noch | |
militärische Mittel für eine Fortsetzung der Aggression. | |
Wird die Gefahr des IS für Russland nicht übertrieben? Solange die | |
Islamisten in Syrien kämpfen, bleiben sie dem Nordkaukasus fern. | |
Nein, das ist kurzsichtig. Die jungen Kämpfer kehren eines Tages in den | |
Kaukasus zurück. Schon der kleinste Erfolg des IS zieht die radikal | |
gesinnte islamische Jugend in anderen Regionen an. | |
Was wird Putin vor den UN erzählen? | |
Hauptthemen dürften die Ukraine und Syrien sein, gefolgt von dem Vorhaben, | |
eine Union zivilisierter Staaten ins Leben zu rufen. Dieser würde dann auch | |
Russland wieder angehören. | |
28 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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