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# taz.de -- Ukrainer in Russland: Vorwurf Volksverhetzung
> Die Direktorin einer ukrainischen Bibliothek wird in Moskau festgenommen.
> Sie soll „antirussische“ Propaganda verbreitet haben.
Bild: Ukrainische Bibliothek in Moskau: Hier fand am Mittwoch eine Razzia statt.
Moskau taz | An der ostukrainischen Front ist es in den letzten Wochen
etwas ruhiger geworden. Nur vereinzelt kommt es noch zu Schusswechseln.
Erstmals beteiligt sich auch der Kreml aktiv an der Umsetzung der Minsker
Vereinbarungen. Nach einem Jahr zeigen westliche Sanktionen Wirkung.
Unterdessen machen Russlands Strafverfolger im Innern mobil. In Moskau
durchsuchten Ermittler die Bibliothek für ukrainische Literatur. Am
Mittwoch wurde auch deren Direktorin Natalja Scharina festgenommen. Ihr
wird zur Last gelegt, „ Hass und Feindseligkeit auf nationaler Grundlage“
entfacht zu haben. Wladimir Markin, Chef des russischen
Ermittlungskomitees, beantragte für Natalja Scharina Untersuchungshaft.
Sollte es zu einem Prozess kommen, drohen der Bibliothekarin fünf Jahre
Lagerhaft.
Die Bibliothek untersteht der staatlichen Kulturverwaltung der Stadt
Moskau. Sie ist keine Einrichtung der ukrainischen Diaspora. Bei der
Durchsuchung wurden Bücher und Zeitschriften konfisziert, die „Aufrufe zu
antirussischer Propaganda“ enthalten und „russophoben Charakter“ tragen,
teilte das Ermittlungskomitee mit. Darunter waren Schriften Dmitro
Kortschinskijs, des Kopfes der ukrainisch-nationalistischen Vereinigung
„Bratstwo“. Kortschinskijin ist ein Rechtsradikaler, der bei der
Präsidentschaftswahl 2004 0,17 Prozent der Stimmen erhielt.
Die Strafverfolger beschlagnahmten auch die Zeitschrift der Partei Ruch
wegen vermeintlicher „Entstellung historischer Fakten“. Ruch war aus der
Unabhängigkeitsbewegung am Ende der UdSSR hervorgegangen.
## Literatur aus dem Giftschrank
Auch der „Giftschrank“ mit in Russland umstrittener Literatur aus dem
Umfeld der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung in den 1940er Jahren war
vor dem Zugriff der Ordnungshüter nicht sicher. Der Schrank war nur für
wissenschaftliche Zwecke zugänglich. Nun dient auch diese Vorsichtsmaßnahme
als Nachweis für Volksverhetzung. Obwohl auch die eingezogene Literatur
bislang nicht auf dem russischen Extremismus-Index stand.
In der Privatwohnung der Bibliothekarin wurde der Sammelband eines
internationalen Autorenkollektivs sichergestellt, der sich mit dem
ukrainischen Holodomor befasst. Dahinter verbirgt sich der von Stalin in
den 1930er Jahren bewusst herbeigeführte Hungertod von drei Millionen
Ukrainern.
Bereits 2010 gingen die Behörden gegen die Bibliothek vor, jedoch wurde das
Verfahren 2011 wieder eingestellt. Jetzt habe sich die politische Lage eben
wieder geändert, hätten Ermittler Scharina kurz vor deren Festnahme
erklärt.
Laut des Radiosenders Echo Moskau soll der Anstoß zu einer neuen
Durchsuchung von einem Bezirksabgeordneten der Partei „Gerechtes Russland“
ausgehen. Denunziation ist inzwischen an der Tagesordnung. Entmachtete und
inkompetente russische Volksvertreter versuchen immer häufiger, durch
Schüren von Hass auf sich aufmerksam zu machen.
## Mehrstündiges Verhör
Ins Fadenkreuz der Fahnder geriet auch Walerij Semenenko, einer der
Vorsitzenden der Organisation „Ukrainer in Moskau“. Semenenko wurde mehrere
Stunden von der Staatsanwaltschaft verhört, nachdem die Ermittler auch
seine Wohnung durchsucht und Dokumente sichergestellt hatten. Nebenbei
nahmen sie auch noch den Labtop der Tochter und den seiner Frau mit. Ein
Fernsehteam des berüchtigten Senders NTW versuchte überdies, sich Zugang
zur Wohnung zu verschaffen.
Noch ist es nur eine Vermutung. Doch es scheint, als gingen die Behörden
seit Oktober verschärft gegen Ukrainer vor. Mitte Oktober wies der
Geheimdienst Wiktor Girschow an der Grenze zu Russland zurück. Girschow ist
ein bekannter Vertreter der ukrainischen Diaspora in Moskau und Sekretär
des „Ukrainischen Kongresses Russlands“. Er lebt seit mehr als zwanzig
Jahren mit seiner Frau und Kindern in der russischen Hauptstadt.
Im südrussischen Krasnodar durchsuchte der FSB-Geheimdienst kürzlich eine
Internatsschule für Volkskunst, in der lernbehinderte Kinder betreut
werden.
Dort stieß der FSB auf Dutzende Bücher in Ukrainisch und Polnisch, die „die
Anführer der ukrainisch-nationalistischen Bewegung“ verherrlichen und
„Stempel einer in Russland verbotenen Organisation“ beinhalten, hieß es zur
Begründung. Der Besitzer der Bücher war der ehemalige Lehrer und
Ex-Vorsitzende der „Ukrainer im Kuban“ Nikolai Sergienko. Er ist inzwischen
in die Ukraine ausgewandert.
29 Oct 2015
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Ukraine
Moskau
FSB
Literatur
Russland
Memorial
Russland
Nationalismus
Moskau
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