# taz.de -- Nationalistische Rockergruppe: „Wo wir sind, ist Russland“ | |
> Die Moskauer Rockergruppe Nachtwölfe ist die informelle Leibgarde Putins | |
> – und will mit einer Biker-Tour an den Sieg über Nazideutschland | |
> erinnern. | |
Bild: Dicke Buddys: Wladimir Putin und der Chef der Nachtwölfe, Alexander Sald… | |
MOSKAU taz | Alexander Saldostanow ist eine imposante Figur. Er sieht aus | |
wie ein Rurikide, einer der Urväter der Rus. Hoch gewachsen, mit wallendem | |
Bart und langem Haupthaar, mit Armen wie Baumstämmen und Händen wie eine | |
Metallpresse. | |
Der Chef der Moskauer Rockergruppe Nachtwölfe steckt meist in einer | |
abgetragenen dunklen Ledermontur mit dem Schriftzug: „Wo wir sind, ist | |
Russland.“ Seit Kurzem hängt neben dem Motto der Wölfe noch ein Orden, den | |
Präsident Wladimir Putin seinem Freund Saldostanow verliehen hat – für | |
dessen gesellschaftliches Engagement und unverbrüchliche Treue. Seit | |
Saldostanow im Januar mit einem Putin-Vertrauten die Bewegung „Anti-Maidan“ | |
gegen Abweichungen von der Kremllinie ins Leben rief, übernahmen die | |
Notschnije Wolki (Nachtwölfe) auch so etwas wie die Funktion einer | |
informellen Leibgarde des Präsidenten. | |
Der Kremlchef hat sich die Ausgestaltung der „russischen Welt“ seit der | |
Annexion der Krim vor einem Jahr auf die Fahnen geschrieben und den | |
Verdacht erweckt, dass für ihn alles dazugehört, wo ethnische Russen leben. | |
Vor diesem Hintergrund stimmt denn das Vereinsmotto der Wölfe – „Wo wir | |
sind, ist Russland“ – auch nachdenklich. Bikerfreunde waren nicht nur bei | |
der Einverleibung der Krim zugegen, sie machen auch kein Hehl daraus, dass | |
ihre Leute im Donbass auf der Seite Russlands mit der Waffe in der Hand | |
kämpfen. | |
Anlässlich des 70. Jahrestags des Sieges über Hitlerdeutschland planen die | |
Rocker eine Erinnerungstour an den Vormarsch der Roten Armee über 6.000 | |
Kilometer. Sie soll am 25. April in Moskau beginnen und am 9. Mai in Berlin | |
mit einer Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal in Treptow zu Ende | |
gehen. Der Gedenkkorso führt über Minsk und Brest durch Polen, Tschechien, | |
die Slowakei bis Wien und München. Unterwegs machen die Biker auch an | |
Konzentrationslagern halt. | |
## Nicht immer die passende Medizin | |
Saldostanow hört auch auf den Spitznamen „Chirurg“. Noch in der Sowjetunion | |
studierte er Medizin und arbeitete in einem Krankenhaus, wo er Unfallopfer | |
wieder zusammenflickte. Von der Sichtweise des Chirurgen hat er auch | |
einiges ins Lebensweltliche übernommen. Für ihn gibt es nicht immer eine | |
passende Medizin, manchmal müsse man eben die eiternde Wunde aus dem | |
Fleisch schneiden, sagt er. | |
Der russischen Opposition drohte er wiederholt mit Gewalt. „Wenn die Feinde | |
Russlands sich versammeln, rufe ich dazu auf, sich um den Präsidenten zu | |
versammeln“, sagte er dem russischen Propagandasender RT. | |
Für alles, was von der Norm abweicht, bringt der Chirurg nicht viel | |
Verständnis auf. Als „Mai-downs“ bezeichnete er im Februar auf einer | |
Kremlveranstaltung den Protest auf dem Kiewer Maidan und verunglimpfte | |
damit Menschen mit Downsyndrom. Es sei eine unglückliche Wortwahl gewesen, | |
räumte er nach Protesten ein, entschuldigte sich aber nicht. Bei derselben | |
Veranstaltung ließ er auch Porträts bekannter Oppositioneller von Anhängern | |
zerstören. Als Programmpunkt sozusagen. | |
In Polen regen sich bereits Proteste gegen den Konvoi der russischen Biker. | |
Mehrere Tausend Facebook-Nutzer fordern das Außenministerium auf, den | |
Rockern die Einreise zu verweigern. Sie fürchten Provokationen auch von | |
polnischen Bürgern, die von der russischen Seite später wieder gegen Polen | |
verwendet werden könnten. | |
Ob der Chirurg an der Tour teilnimmt, ist noch offen. In die EU dürfte er | |
noch einreisen, aber in den USA steht er bereits auf einer Sanktionsliste. | |
## Hinwendung zum Patriotismus | |
Saldostanow ist inzwischen eine Ikone des Patriotismus. In den 1990er und | |
Nullerjahren schwärmten die Rocker noch für den Steppenwolf, waren | |
proamerikanisch eingestellt und hatten Kontakte zu Gleichgesinnten im | |
Westen. Die Hinwendung zum orthodoxen Glauben und Patriotismus war das | |
Ergebnis einer Offenbarung. Ein orthodoxer Priester soll dem Chirurgen | |
eröffnet haben, er müsse Russland retten. Die hierarchische Organisation | |
der Gang kam dabei zupass. Wenn der Chef verordnet: Wir sind jetzt | |
orthodox, halten sich die Mitglieder auch daran. 5.000 sind es in Russland. | |
Danach kümmerte sich Wladimir Putins ideologischer Mastermind, Wladislaw | |
Surkow, um die Betreuung des Ordens. Er organisierte und finanzierte ihre | |
Konzerte, brachte sie ins Fernsehen und machte sie mit Wladimir Putin | |
bekannt. Der verspätete sich sogar drei Stunden mit einem Besuch beim | |
damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Die Spritztour mit | |
den Motorradfreunden war ihm wichtiger. | |
Deren Konzerte mit zirzensischen Showeinlagen, Stalin-Reden und klirrenden | |
Waffenschauen avancierten zu Ereignissen, die Hunderttausende anziehen. | |
Megakitsch aus Glauben, Kirche und Personenkult. Mit Historie haben diese | |
Inszenierungen nichts zu tun. Die Wölfe wollen nun die Geschichte des | |
Großen Vaterländischen Krieges vor der vermeintlichen Vereinnahmung durch | |
den Westen bewahren. Fatal jedoch: In Russland kennt kaum jemand die wahre | |
Geschichte. Sie war stets ein Entwurf der Machthaber. | |
17 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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