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# taz.de -- Russischer Biker über NS-Gedenken: „Wir verteidigen uns gegen Sa…
> Der Präsident des Rockerclubs „Nachtwölfe“ über eine Bikerreise von
> Moskau nach Berlin zum Jahrestag des Kriegsendes 1945.
Bild: Demonstration von Saldostanows „Anti-Maidan“-Bewegung in Moskau.
taz: Herr Saldostanow, am Samstag kommen Ihre „Nachtwölfe“ zusammen, um
nach Berlin aufzubrechen, anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes.
Ist das eine Werbetour für Putins Russland?
Alexander Saldostanow: Um uns wird wegen einer banalen Reise so ein Wirbel
gemacht. Ich würde gerne fahren. Ob ich fahre, hängt davon ab, ob ich ein
Visum bekomme. Es wird eine Gedenkfahrt, keine Propagandaveranstaltung oder
Machtdemonstration. Wie auch? Wir sind 20, 30 Biker. Die Idee entstand
schon 2007, als eine Veteranin erzählte, wie sie dem Kriegsverlauf auf dem
Motorrad von Russland bis Prag folgte. Leider ist sie inzwischen
verstorben. Wir machen es ihr zu Ehren.
Die Behörden in Berlin wollen eine Fahrt in der Kolonne nicht zulassen.
Auch viele Polen haben schon protestiert.
Wenn der politische Wille fehlt, uns in Kolonne fahren zu lassen, soll
jeder für sich in Berlin zum Mahnmal in Treptow fahren. Die Hetze und
Hysterie zeigt uns, dass wir wieder als Feinde wahrgenommen werden. Aber
auch wir haben Überzeugungen, und viele Menschen vertrauen uns. In Polen
warten alte Freunde auf uns, die uns durch das Land begleiten wollen, auch
in Deutschland gibt es viele Bekannte.
Sie setzen sich für die Wahrung russischer konservativer Werte ein – was
ist das?
Grundlage der „Rus“ ist der orthodoxe Glaube. Eine zweite Säule sind die
Geschichte und die militärischen Siege, die ständigen Schmutzangriffen
ausgesetzt sind, zuletzt besonders aus der Ukraine. Der 9. Mai ist neben
dem Osterfest unser wichtigster Feiertag. Beide untermauern die russische
Staatlichkeit.
Aber Russland ist ein säkularer Staat.
Der uns aufgezwungene Atheismus war auch ein Grund für den Zerfall der
Sowjetunion. Zugegeben, ich habe den Atheismus etwas anders erlebt. Meine
Mutter war eine „verdiente Lehrerin“ der Ukraine und eine überzeugte
Kommunistin. Der Tag begann für sie dennoch mit einem Gebet vor der
Hausikone. Wir hatten auch enge Verwandte, die Opfer der stalinschen
Repressionen wurden. Trotzdem stand bei meiner Großmutter Stalins Foto im
Zimmer. Das gehört in den Bereich der Mystik, es existieren Dinge außerhalb
unseres Verstands, die sich einer Erörterung entziehen. Für Europa ist das
sicherlich unbegreiflich, bei uns ist es eine Gesetzmäßigkeit, von der wir
alle genetisch durchdrungen sind.
Der Glaube an Gott und die Verehrung eines Massenmörders unter einem Dach
sind miteinander vereinbar? Ohne dass Vernunft und Moral rebellieren?
Genau, ein übermenschlicher Mystizismus ist in unserem Verhältnis zu Stalin
am Werk. Einerseits der Stalin der Repressionen, andererseits der Stalin
des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg. Um Moskau zu retten, flog er
mit der Ikone über die Stadt. Obwohl unsere Väter Stalin verfluchten,
verehrten sie ihn und gingen für ihn in den Tod wie für Jesus Christus. Es
muss Schluss damit sein, Stalin mit Dreck zu überhäufen. Obwohl seither
Generationen das Gehirn gewaschen wurde, bleibt er ein Idol der russischen
Geschichte und ein unübertroffener Führer. Er schuf einen grandiosen Staat
und bewahrte die russische Zivilisation nach dem Niedergang des Zarenreichs
vor dem Abgrund. Alles, was wir besitzen, verdanken wir ihm. Daher haben
wir kein Recht, ihn zu kritisieren, und auch unsere Wortführer
amerikanischer Demokratie, die viel größeres Übel anrichtet, sollten sich
zurückhalten.
Waren Sie nicht schon mal in Berlin?
Ich war schon während Michail Gorbatschows Perestroika in Berlin. Damals
wollte ich den Westen, wo ich vorher nicht hindurfte, mit eigenen Augen
sehen. Die Welt der Rocker und der Biker wollte ich unbedingt kennenlernen.
In Berlin war ich auch, als die Mauer fiel. Ich habe mich zusammen mit den
Deutschen darüber gefreut. Berlin ist nach Moskau und Sewastopol die Stadt,
in der ich gerne leben würde. Unser Biker-Club in Moskau trägt nicht
zufällig den Namen der Kneipe am Winterfeldtplatz, in der ich damals als
Türsteher gearbeitet habe – Sexton. Nach einem Geschenk wie der
Wiedervereinigung dachte ich, Deutschland würde auf Dauer zu unserem
Verbündeten. Umso enttäuschter war ich, als Deutschland unsere
Wiedervereinigung mit der Krim nicht anerkannte. Es war keine Annexion,
sondern die Beseitigung einer Ungerechtigkeit. Die einfachen Menschen
verstehen das. Sewastopol ist russischer als Moskau.
Die Gebiete des sogenannten Neurusslands (Noworossija) in der Ostukraine
gehören für Sie zu Russland. Sie wollen aber weitermarschieren, wenn
möglich bis Kiew …
Natürlich, die Auflösung der Sowjetunion 1992 war ein Rechtsbruch und
künstlich. Heute bezahlen wir dafür mit Blutvergießen, was sich zu einem
ewigen Krieg auswachsen könnte. Ich bin in der Ukraine geboren und in
Sewastopol aufgewachsen. Mein Vater war Ukrainer, meine Mutter Russin. Als
Arzt sage ich Ihnen: Das Minsker Abkommen doktert an den Symptomen herum,
die Ukraine gehört zu Russland.
Russland heizt den Krieg doch an. Sie machen auch kein Hehl daraus, dass
Sie bei der Besetzung der Krim dabei waren und Ihre Biker im Donbass
kämpfen.
Ich bin verwundert, dass Deutschland der US-amerikanischen Politik ohne
Murren folgt. Wo die USA auftauchen, herrscht Chaos und fließt Blut. Die
Amerikaner verfügen über eine neue Waffe: Ich nenne sie die Theorie des
lenkbaren Chaos, die nicht weniger wirksam ist als ein Atomsprengkopf. Ich
hasse Amerika nicht, seine Politiker verachte ich aber. Die amerikanische
Weltanschauung ist sehr begrenzt, sie besteht aus Phrasen und Losungen.
Unsere Bildung geht in die Breite, wir sind keine engstirnigen oder
hochgezüchteten Fachidioten.
Aber Sie sind auch kein Steppenwolf mehr, oder? Bedeutet Ihnen Freiheit
noch etwas?
Natürlich, mein ganzes Leben habe ich für sie gekämpft. Nur führt der
Teufel den Freiheitssuchenden häufig auf Abwege. Nach dem Kommunismus
kämpfen wir wieder für die Freiheit, diesmal verteidigen wir uns gegen den
Satan, die Weltregierung und das demokratische System.
Sie meinen den Westen?
Den Westen.
Sie haben die Bewegung „Antimaidan“ gegründet. War Putin der Auftraggeber?
Was soll sie bezwecken?
Das war meine Idee. Wir wollen dem Zusammenbruch des Staats und einem
Umsturz vorbeugen. Unsere Aufgabe ist es, das Vaterland zu retten. Sonst
verkommt es zu einer Landmasse mit Menschen. Die farbigen Revolutionen
führen in den Untergang. Unsere Demokratie ist echter, substanzieller als
die des Westens.
Verteidigt Putin Russland etwa nicht effektiv?
Doch, aber die fünfte Kolonne versucht weiterhin, ihre Agenda zu verfolgen.
Das sind Kräfte, die im Auftrag ausländischer Auftraggeber in Russland ihr
Unwesen treiben. Sie waren erst überzeugt, Russland sei nur noch ein
Selbstbedienungsladen. Glücklicherweise erschien Putin und bewies ihnen das
Gegenteil. Dafür müssen wir ihn auf Händen tragen. Gott sei Dank für so
einen Präsidenten.
Was bedeutet Putin für Sie?
Ich verehre ihn und tue alles, damit diese Typen (demokratische Opposition,
d. Red.) ihn niemals anfassen. Was ich bin, verdanke ich ihm.
Ist Putin ein Biker?
Nein, er ist Präsident. Er wäre wohl gerne ein Biker. Unseretwegen hat er
sich auch mal Stunden zu einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten
Wiktor Janukowitsch verspätet. Zweimal ist er wieder aus seinem Wagen
ausgestiegen und kam zu uns rüber und meinte: Ich würde lieber bei euch
bleiben, muss mich aber mit langweiligen Sachen beschäftigen.
Sehen Sie ihn oft?
Ich habe keine Standleitung in den Kreml. Manchmal will er uns sehen, und
das weiß ich natürlich zu schätzen. Das letzte Mal sah ich ihn im
vergangenen Jahr. Ich bin stolz, dass er sich nicht zum Vasallen der
Weltregierung machen lässt und Selbstständigkeit beweist, ohne Blut zu
vergießen.
Haben Sie eigentlich dem Patriarchen der Orthodoxen Kirche ein Motorrad
geschenkt?
Ein Quad. Zu Ostern.
24 Apr 2015
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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