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# taz.de -- Gedenken am 8. Mai: Tag des Sieges und der Niederlage
> Viele Polen haben den Eindruck, heute vermehrt an allen Fronten kämpfen
> zu müssen. Gegen Russland, Deutschland und Geschichtsrevisionisten.
Bild: Gedenken an ermordete Soldaten auf dem Friedhof in Kostrzyn.
WARSCHAU taz | Am 8. Mai, dem „Tag des Sieges“, werden Regierungs- und
Staatschefs in Danzig des deutsch-sowjetischen Überfalls auf Polen 1939 und
des Kriegsendes 1945 gedenken. Anders als in Moskau ist der „Tag des
Sieges“ in Polen auch ein „Tag der Niederlage“. Denn die Rote Armee brach…
den Polen 1945 nicht die ersehnte Freiheit, sondern eine neue
Schreckensherrschaft.
Wer in den letzten Wochen aufmerksam die Nachrichten in Polen verfolgte,
konnte den Eindruck gewinnen, dass der Zweite Weltkrieg noch immer
andauert. So titelte ein rechtsnationales Magazin „Überfall auf Polen“ und
zeigte Russlands Präsidenten Wladimir Putin auf einem Motorrad. Angeblich
sei Polens Regierung unfähig, mit dem russischen Bikerclub „Nachtwölfe“
klarzukommen, der von Moskau aus auf einer „Siegestour“ bis nach Berlin
fahren will.
Fakt aus dem Hause Springer titelte: „Ich mache Euch hier ein zweites
Auschwitz – so ein Deutscher zu polnischen Arbeitern“. Angeblich hätten die
Arbeiter bei rund drei Grad Celsius in einer Kühlhalle ohne warme Kleidung
arbeiten müssen. Auf der Toilette hätten sie die Türe offen stehen lassen
müssen, sodass ein Begleiter zugucken konnte.
Viele Polen haben den Eindruck, heute mehr denn je an allen Fronten kämpfen
zu müssen. Zum einen gegen die alten Feinde Russland und Deutschland, zum
anderen gegen Geschichtslügner und Verleumder. So löste vor kurzem der
US-amerikanische Polizeichef James Comey eine Staatsaffäre aus, als er im
Holocaust-Museum in Washington von den „Mördern aus Deutschland und ihren
Komplizen aus Polen, aus Ungarn und so vielen anderen Ländern“ sprach.
Dabei ging es Comey darum, die FBI-Mitarbeiter für das Böse zu
sensibilisieren, das auch Leute tun konnten, die auf der Seite der
moralisch Guten stünden.
## Die Welt gegen Polen
Polens Außenminister Grzegorz Schetyna bestellte den amerikanischen
Botschafter ein und forderte eine förmliche Entschuldigung Comeys oder
eines Mitglieds der US-Regierung. Angeblich habe Comey die polnische Nation
mit den Nazi-Deutschen auf eine Stufe gestellt und sie der Mitschuld am
Holocaust bezichtigt.
Comey bedauerte lediglich, dass er überhaupt zwei Staaten explizit benannt
hatte. Denn Kollaborateure habe es in allen besetzten Staaten gegeben. Auf
einem Kärtchen mit FBI-Briefkopf bestätigte er, dass „der polnische Staat
keine Verantwortung für den Nazi-Horror“ trage. Kurz nach der Comey-Affäre
deckte die polnische Botschaft in den USA die nächste Affäre auf: In einem
Quiz tauchte auf einer der Spielkarten das Wort „Nazi-Polen“ im
Zusammenhang mit dem Film „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg auf.
Wieder schlug die Empörung Wellen, bis sich herausstellte, dass die Karte
schon vor zwei Jahren aus dem Verkehr gezogen wurde. Am letzten Freitag
entsetzten sich die Polen über den Vergleich „syrische Wüste“ und
„polnische Gaskammer“ in der Jerusalem Post in Israel. Zwar wurde aus der
„polnischen Gaskammer“ schnell eine „Nazi-Gaskammer“, doch die
Internet-User konnten sich lange nicht beruhigen.
Schon vor Jahren änderte die Unesco auf Forderung Polens den Namen des
Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ab. Offiziell steht nun auf der
Weltkulturerbe-Liste: „Auschwitz-Birkenau – deutsches
nationalsozialistisches Konzentrations- und Vernichtungslager“. Geändert
hat dies nicht viel. Zwar tauchen fehlerhafte Bezeichnungen in den Artikeln
über Krieg und Schoah nur äußerst selten auf, doch in Polen ist der
Eindruck entstanden, als hätte die Welt sich gegen die Polen verschworen
und wolle ihnen den Holocaust in die Schuhe schieben.
5 May 2015
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Russland
Deutschland
Geschichtsrevisionismus
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Polen
Vernichtungslager
Präsidentschaftswahl
Konzentrationslager
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
70 Jahre Befreiung
Erinnerung
Wladimir Putin
Rote Armee
Polen
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