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# taz.de -- Weltkriegsende: Die Krux mit dem Gedenken
> Der 8. Mai ist als "Tag der Befreiung" Anlass für viele Gedenkfeiern.
> Welcher Opfer gedacht werden soll, und wie das auszusehen hat, darüber
> scheiden sich die Geister.
Bild: Imposante Gedenkstätte: Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Est…
ESTERWEGEN taz | Wenn sich am heutigen Samstag die ehemaligen
„Moorsoldaten“ der Arbeitslager im Emsland treffen, um ihrer ermordeten
Mitgefangenen zu gedenken, dann werden sie das wie immer in Bockhorst tun,
der Begräbnisstätte der Emslandlager. Dabei gibt es seit 2011 nicht weit
von Bockhorst, auf dem Gelände des ehemaligen KZ Esterwegen, eine imposante
zentrale Gedenkstätte.
Dort wurde bereits am 24. April an das Weltkriegsende erinnert, doch kaum
jemand der dort anwesenden Vertreter der offiziellen Politik wird heute in
Bockhorst anzutreffen sein – womöglich, weil die ehemaligen „Moorsoldaten�…
zu einem guten Teil alte Kommunisten sind?
Lange tat sich das Emsland schwer mit der Erinnerung an seine
Konzentrationslager. Denn neben den politischen Gefangenen saßen dort auch
normale Strafgefangene ein. Letztere, so argumentierte die Kreisverwaltung,
seien rechtmäßig verurteilte Kriminelle gewesen – so als ob die Tötung
durch Zwangsarbeit bei Strafgefangenen in Ordnung ginge und als ob von
„Rechtmäßigkeit“ in der NS-Zeit überhaupt die Rede sein könne.
1955 ließ der Landkreis die Leichen von KZ-Häftlingen auf der
Begräbnisstätte Bockhorst exhumieren und umbetten. Als dort 1963 mit
privaten Spenden eine „Sühnekapelle“ gebaut werden sollte, lehnten
Landkreis und Bezirksregierung das Vorhaben ab: Seit den Umbettungen würden
hier schließlich nur noch Strafgefangene ruhen – also angeblich keine
NS-Opfer.
Bis heute existiert im Emsland diese Unterscheidung: In einem taz-Interview
sagte ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Esterwegen über
die Lager-Gefangenen: „Da waren einmal Menschen, die wegen politischer
Straftatbestände wie Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung verurteilt waren.
Es gab aber auch Kriminelle, die wegen herkömmlicher Straftaten wie
Diebstahl dort saßen – ein Delikt, das auch heute geahndet worden wäre.“
Insgesamt kamen in den Emslandlagern rund 25.000 Menschen ums Leben. Die
Gefangenen mussten Entwässerungsgräben anlegen, Torf stechen und Straßen
bauen – eine Arbeit, die nach dem Krieg weiterging, nur dass nun Maschinen
eingesetzt wurden. Als Landrat Hermann Bröring (CDU) am 31. Oktober 2011,
einen Tag vor seinem Ruhestand, die Gedenkstätte Esterwegen eröffnete,
sprach er nicht ohne Stolz über den großen „Emslandplan“ von 1950, der
diese Kultivierungsbemühungen festschrieb.
Mit ihrer Nazigeschichte dagegen will die emsländische Bevölkerung bis
heute möglichst wenig zu tun haben. Aus dem „Armenhaus der Nation“ ist nach
dem Krieg ein florierender Wirtschaftsstandort geworden, die
Arbeitslosenzahlen liegen stabil unter drei Prozent. Darauf ist man stolz –
Erinnerungen an schlechte Zeiten stören da nur.
Hinzu kommt das schlechte Gewissen: Das Emsland ist traditionell
katholisch, die NSDAP war dort, anders als im benachbarten evangelischen
Ostfriesland, nicht gewählt worden, sondern die Zentrumspartei. Und dennoch
nahmen die ansässigen Handwerker und Bauern gern Aufträge für die Lager an.
Firmen wie die Griendtsveen Torfstreu AG in Papenburg, das Torfkokswerk
Mohnhaupt & Seidensticker und auch die Meyer-Werft ließen Gefangene für
sich arbeiten. Da machte man mit oder schaute weg – und mochte später nicht
mehr drüber reden.
Als 1985 in Papenburg endlich das von den „Moorsoldaten“ geforderte
„Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager“ eröffnete, wurde es
weniger frequentiert als billigend zur Kenntnis genommen: In den Schulen
sprach man über die deutsche, nicht aber über die emsländische
NS-Geschichte, Klassenfahrten ins Dokumentationszentrum oder an die Orte
der Lager fanden nur auf Initiative Einzelner statt.
Und so setzt sich das Schweigen bis heute fort – so wie es der Bildhauer
Stefan Hempen erzählt, der in nächster Nähe der ehemaligen KZ Esterwegen
und Börgermoor aufgewachsen ist. Erst drei Jahre vor Eröffnung der
Gedenkstätte, sagt er, habe er von der Existenz der Emslandlager erfahren.
Weder in der Familie des 42-Jährigen noch in seiner Schule sei je darüber
geredet worden.
Hempen hat aus Baumstämmen grobe „Moorsoldaten“ gehauen, mit denen er von
2012 bis 2014 auf „Emsland-Tour“ gegangen ist: Seine „mobile Galerie“ s…
auf Dorfplätzen und in Einkaufszonen – sie sollten auch in den kleinsten
Örtchen des Emslands die Menschen an ihre Geschichte erinnern.
Vielleicht sind solche Aktionen wirkungsvoller als imposante Gedenkstätten
wie die in Esterwegen. Zwar wird die von Reisebussen angesteuert, der
lokale Umgang mit der Geschichte aber kommt dort kaum vor. „Hier wurde eine
Gedenkstätte auf Weltniveau errichtet“, sagte bei der Eröffnung der
Hamburger Journalist Gerhard Kromschröder, der in den 60er-Jahren als
Lokalredakteur im Emsland über die Lager schrieb und dafür gefeuert wurde.
„Bleibt bloß zu hoffen, dass hier auch die Erinnerung einziehen wird.“
Immerhin hält die Erinnerung nun Einzug in den Geschichtsunterricht der
emsländischen Schulen: Ein Besuch der Gedenkstätte Esterwegen steht dort
mittlerweile auf fast allen Lehrplänen.
Mehr auf unserem Schwerpunkt in der gedruckten taz SEITE 43-45
8 May 2015
## AUTOREN
Simone Schnase
## TAGS
Konzentrationslager
Erinnerungskultur
Erinnerung
Denkmal
Gedenken
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Befreiung
Bundestag
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
70 Jahre Befreiung
Russland
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